Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Wien – Wie sollen Journalisten über einen Terroranschlag live berichten? Was verbreiten sie in solchen Extremsituationen, wie gehen sie mit Gerüchten um? Und welche Fehler in der Berichterstattung wurden gemacht?

"Das wäre für uns nie infrage gekommen", sagte Puls-4-Infodirektorin Corinna Milborn über die Veröffentlichung von Anschlagsvideos auf oe24.tv und krone.at, mehr als 1.500 Beschwerden gingen dazu beim Presserat ein, zahlreiche Unternehmen kündigten an, ihre Werbung dort und teils auch auf krone.at zu stornieren. Laut einer aktuellen Gallup-Umfrage lehnt mehr als die Hälfte (58 Prozent) der österreichischen Bevölkerung die Veröffentlichung von Fotos und Videos, die Szenen des Attentats in der Wiener Innenstadt zeigen, ab.

"Tempo rausnehmen" war ihre erste Handlung, sagt Milborn in einer von Stefan Apfl moderierten Diskussion des Presseclubs Concordia über die Berichterstattung in der Terrornacht. Neben Milborn erzählten "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk, ORF-Journalist Martin Thür und Heute.at-Chefredakteur Clemens Oistric, wie sie die Terrornacht erlebt haben. Wegen der geplanten Berichterstattung zum Lockdown war ein Team direkt vor Ort im ersten Bezirk, so Milborn, Puls-4-Reporter also direkt am Ort des Geschehens.

Leitfaden zur Terrorberichterstattung

Schon länger gebe es bei Puls 4 Leitlinien zur Terrorberichterstattung, die hätten an diesem Abend sehr geholfen. "Wir wollen nicht das Instrument des Terrors sein, wollten keine Menschen triggern." Es gehe darum, gesicherte Informationen zu liefern, Gerüchte zu kennzeichnen und nicht "das Geschäft des Terrors zu verrichten, indem man sich zum Instrument von Angst und Spaltung macht", so Milborn. Bildmäßig habe sich Puls 4 schnell auf eine große Totale zurückgezogen.

Die "Falter"-Redaktion liegt in unmittelbarer Nähe des Attentats, Chefredakteur Florian Klenk hatte an diesem Abend mehrere Rollen, erzählt er. "Als Vorgesetzter eines Teams, das ich in Sicherheit bringen musste" – und auch jene als Journalist mit rund 270.000 Followern auf Twitter, der auf diesem Weg den Menschen sagen konnte, dass sie sich in Sicherheit bringen, keine Bilder und Videos posten sollen, um die Arbeit der Polizei nicht zu behindern und um die Heldenerzählung nicht zu bedienen.

Angebliche Geiselnahme

Klenk twitterte auch über eine Geiselnahme im 7. Bezirk, die sich später als unwahr herausstellte. "Alles, was ich getwittert habe, war eine bestätigte Information der Polizei. Polizeifunk meldet: Einsatz wegen Geiselnahme", so Klenk. "Das war aber eine Polizeimeldung, es wäre fahrlässig gewesen, die Leute nicht darüber in Kenntnis zu setzen, dass es auch außerhalb der Innenstadt möglicherweise eine Gewalttat gab."

"Die Bevölkerung hat ein Recht zu erfahren, was genau da passiert", so Klenk. "Ich muss die Informationen transportieren, ohne die Heldenerzählung zu bedienen, das ist die schwierige Gratwanderung." Dass oe24.at und auch krone.at Videos des Anschlags gezeigt haben, sei ein schwerwiegender Missbrauch, auch weil Innenminister Karl Nehammer persönlich in Redaktionen angerufen und gesagt habe: "Bitte keine Videos."

Für Clemens Oistric, er ist Chefredakteur von heute.at, war die "Entscheidung klar, dass wir rohe Gewalt nicht zeigen, keinen Heldenepos nacherzählen". Als "modernes Boulevardmedium" will heute.at auch Mitgefühl transportieren, zeigen, dass Wien zusammenhält. "Das ist stärker als ein Blutbad." Als Boulevardmedium habe man die Aufgabe, das Leben der Menschen zu verstehen.

Namensnennung des Täters

Klenk verstehe nicht, warum die Polizei kein Foto des Attentäters veröffentlicht habe – auch, um herauszufinden, mit wem er in Kontakt stand. Auch über die Namensnennung des Täters wurde diskutiert. Der "Falter" nennt den Vornamen und abgekürzten Nachnamen des Attentäters, andere Medien wie auch DER STANDARD schreiben nur die Initialen. "Die 'Zeit', 'Guardian', BBC haben ihn alle mit Vor- und Nachnamen genannt", argumentiert er. Er würde eher die Namen von Hasspredigern abkürzen. Milborn widerspricht, sie hält die Veröffentlichung des vollen Namens für falsch. Auch aus Rücksicht auf die Familie des Täters – und auch, weil man ihn dann googeln könne.

ORF-Reporter Martin Thür kann keinen Mehrwert für die Zuschauer erkennen, wenn man den Täter mit Namen nennt. Thür: "Wozu soll ich ihn nennen, es ändert nichts an der Geschichte oder wie ich über ihn berichte." Thür war in der Terrornacht als Außenreporter im Einsatz und berichtete von der Salztorbrücke aus. "Mein Job war immer zu sagen, das wissen wir, das wissen wir nicht, das sehen wir, das hören wir, das bekommen wir vor Ort mit." Die Aufgabe eines öffentlich-rechtlichen Senders in so einer Situation sei zu informieren, aber auch, sich zurückzunehmen. "Ich glaube nicht, dass Schnelligkeit für den ORF in erster Linie entscheidend ist", so Thür.

Mehr Terror- und Sicherheitsexperten

Und was sind die Lehren aus der Berichterstattung über den Anschlag? "Manchen Tweet muss man präziser formulieren", so Klenk. Und es brauche mehr Terror- und Sicherheitsspezialisten. Er geht nicht davon aus, dass das der einzige Anschlag in Wien bleiben wird. Man müsse mehr in die Szene hineingehen, Leute finden und ausbilden, die verstehen, was da passiert.

"Wir sind in Wahrheit nicht vorbereitet gewesen, es hat Übersichtlichkeit gefehlt auf unserer Seite", sagt Oistric. Wichtig sei, dass Fehler transparent gemacht werden, so Thür. Und bei Puls 4 würde man Bilder einer Trage, die zu einem Rettungsauto gebracht wird, nicht mehr bringen, sagt Milborn. Wichtig sei jetzt auch psychologische Beratung für jene Mitarbeiter, die an diesem Tag gearbeitet haben. "Ein Trauma setzt sich fest, ein Gespräch schadet da nie." (ae, 11.11.2020)

Diskussion zum Nachsehen auf Youtube:

Presseclub Concordia