Bild nicht mehr verfügbar.

Republikaner-Chefin Ronna McDaniel mit "Betrugsbelegen".

Foto: getty/Corum

Schier Unglaubliches hat sich bei der US-Wahl vorige Woche im Bundesstaat Michigan zugetragen. "Ich finde es merkwürdig, dass von mehreren Dutzend Militär-Wahlzetteln, die ich im Laufe des Tages gesehen habe, rund 80 Prozent für Joe Biden waren", berichtet ein republikanischer Beobachter aus einem schwer demokratischen Bezirk nahe Detroit. "Mir wurde immer gesagt, Soldaten seien konservativ." Anlass genug für den Trump-Anhänger, eine Beschwerdenote bei der Wahlkommission einzureichen.

So und ähnlich klingen viele der insgesamt 234 "Hinweise auf Unregelmäßigkeiten", die die Trump-Kampagne am Mittwoch veröffentlicht hat – und mit denen sie erreichen will, dass das Ergebnis des Bundesstaates, den Joe Biden mit 150.000 Stimmen Vorsprung gewann, vorerst nicht zertifiziert wird. Ein Wahlhelfer etwa habe sich dadurch verdächtig gemacht, dass er "von einschüchternd großer Statur" gewesen sei und verdächtigerweise ein Black-Lives-Matter-T-Shirt getragen habe; ein anderes Mal wurde der Wahlbrief eines Wählers aus Detroit in einer anderen Stadt in den Briefkasten geworfen – ein nicht ganz unüblicher Vorgang bei einer Briefwahl.

Nicht alle Vorwürfe sind so harmlos – ein Beobachter etwa behauptet, ein Wahlhelfer habe einen Stimmzettel mehrfach eingescannt. Aber Belege für "umfangreichen Wahlbetrug", wie der US-Präsident ihn seit einer Woche beanstandet, finden sich in der Sammlung nicht.

So ist es auch in weiteren Episoden, die das Wahlkampfteam des amtierenden US-Präsidenten in anderen Staaten vorgebracht hat. In Pennsylvania entpuppte sich eine Geschichte, die Trump-nahe Medien seit Tagen verbreiten, als Fabrikation. Ein Postmitarbeiter hatte dem rechten Rechercheportal Project Veritas gesagt, er habe Anweisung bekommen, Wahlbriefe mit einem falschen Datum zu stempeln. Als ihn Ermittlungsbehörden dazu befragten, nahm er diese Anschuldigungen nun aber wieder zurück. Später behauptete er in einem Onlinevideo, er wolle diese Rücknahme selbst wieder zurücknehmen.

Keine guten Karten in Nevada und Pennsylvania

Auch in Nevada wies ein Richter die Beschwerde einer Trump-Anhängerin zurück. Diese hatten einen Wahlbrief bestellt, sich dann aber entschieden, doch im Wahllokal abzustimmen. Sie beschwerte sich, weil ihr dort – den Regularien entsprechend – nur ein provisorischer Wahlzettel gegeben wurde. Und in Pennsylvania blitzte die Trump-Kampagne in der Nacht auf Mittwoch mit dem Versuch ab, Stimmen ungültig erklären zu lassen. Auf die Frage des Richters, ob man Beweise für Fälschungen oder unrechtes Verhalten vorlegen könne, musste ein Anwalt zugeben: "Nein, die gibt es derzeit nicht."

Rudy Giuliani, persönlicher Anwalt Trumps, gibt dennoch nicht auf. Via Twitter kündigte er eine Klage an, mit der "hunderttausende Stimmen im westlichen Michigan für ungültig erklärt werden sollen". Wie genau, sagte er nicht. Um das Ziel zu erreichen, müsste bei jeder zehnten abgegebenen Stimme in dem Gebiet Betrug nachgewiesen werden.

Keine Beweise

Und genau da, beim Nachweis, gibt es Probleme. Trotz einer Armee von rund 40.000 Wahlbeobachtern hat Trumps Team bisher keine Belege vorweisen können. Gesucht wird aber weiter: Der republikanische Vizegouverneur von Texas, Dan Patrick, etwa bietet für Hinweise eine Million Dollar an. In Georgia fordern hochrangige Republikaner den Rücktritt des Wahlleiters Brad Raffensperger. Sie werfen ihm vor, er habe zu wenig gegen Betrug unternommen. Dieser, selbst Republikaner, weist das zurück. Es gebe keine Belege für Unlauterkeiten.

Gleiches sagten Donnerstag auch Wahlhelfer aus allen Bundesstaaten, die die New York Times in einer Recherche befragt hatte. Und bisher glauben die Bürger Trumps Beteuerungen auch nicht: Nur drei Prozent gaben in einer Ipsos/Reuters-Umfrage an, sie glaubten, der Präsident sei wiedergewählt worden. 78 Prozent halten Joe Biden für den Wahlsieger. 70 Prozent schließen zudem Wahlbetrug aus aktueller Sicht aus. (Manuel Escher, 11.11.2020)