Der Off-Space Die Schöne hinter der Wiener Ottakringer Brauerei ist aktuell auch vom Kulturstillstand betroffen. Im Untergeschoß sprudeln indes kreative Ideen.
Foto: Zoe Opratko

Ganze 300 Quadratmeter stehen hier momentan leer. Eigentlich hätte die ehemalige Industriehalle des Projektraums Die Schöne hinter der Ottakringer Brauerei anlässlich der Vienna Art Week mit einer Gruppenausstellung bespielt werden sollen. Das jährliche Kunstfestival startet zwar trotz der aktuellen Situation wie geplant morgen, Freitag, und läuft dann bis 20. November, findet aber als komplett digitale Veranstaltung statt – Atelierbesuche, Rundgänge und Talks werden in den virtuellen Raum verlegt. Viele Ausstellungen wurden hingegen abgesagt, so auch jene in Ottakring.

Vor allem kleinere Projekträume sahen sich dazu gezwungen. Allein die Anreise internationaler Kunstschaffender, der Aufbau oder die Online-Umsetzung hätten nicht funktioniert.

Von den erneuten Schließungen im Kulturbereich scheint die freie Szene mit ihren unabhängigen und nicht kommerziellen Kunsträumen besonders betroffen. Das diesjährige Independent Space Festival musste Ende Oktober storniert werden. Aufmerksamkeit bekommen sie als einzelne Ausstellungsorte neben den großen Kunsteinrichtungen ohnedies oft weniger.

Aus der Fabrik zum Pop-up-Store

Dabei listet der Independent Space Index allein in Wien knapp 70 solcher alternativer Institutionen auf: Sie nennen sich Alternative Spaces, Off-Spaces, Projekträume oder Artist-Run-Spaces, wenn sie von Künstlern betrieben werden. Als Orte der Begegnung und des Austauschs geben sie Kunstschaffenden eine wichtige Bühne, bevor diese beispielsweise von einer Galerie vertreten werden. Viele Arbeiten entstehen hier erst durch direkte Interaktion und das Experimentieren mit dem Publikum. Dieses fehlt aktuell. Wann es wiederkommt, weiß gerade niemand.

Vor allem für junge Künstler sei die aktuelle Lage problematisch, sagen Florian Appelt und Richard Petz von Die Schöne. Seit fünf Jahren bieten sie den Raum in der ehemaligen Fabrik als freien Ort für diverse Kunstprojekte an – von Theater über Performances bis Kunstfestivals kann hier alles stattfinden. "Bis vor kurzem hat das gut funktioniert, momentan geht aber nichts mehr", sagen sie.

"Kunst ab Hinterhof": Hier gehen 70 Prozent des Gewinns an die Künstler und Künstlerinnen.
Foto: Zoe Opratko

Umso wichtiger sei es gerade jetzt, den Künstlerinnen mit kreativen Strategien Perspektiven aufzuzeigen. Mit ihrem zweiten Projekt, das sie im Erdgeschoß des Gebäudes betreiben, unterstützen sie junge Positionen.

Mit "Kunst ab Hinterhof" bieten sie online und in ihrem Showroom Kunstwerke von mittlerweile etwa 200 Künstlerinnen zum Verkauf an, die meisten davon studieren an einer der Kunst-Unis. Die Preise liegen zwischen 30 und maximal 5000 Euro. Anders aber als bei einer Galerie gehen hier 70 Prozent des Gewinns an die Künstler, 30 an die Einrichtung.

Um ihre Künstlerinnen aktuell noch sichtbarer zu machen, haben sie diese Woche einen kleinen Pop-up-Store gleich beim Naschmarkt eröffnet, in dem preiswerte Kunst angeboten wird. Immerhin stehe die Geschenkesaison vor der Tür.

Fenster zur Welt

Kunst trotz geschlossener Türen und diverser Einschränkungen sichtbar zu machen ist es auch, was der Off-Space Philomena+ seit dem ersten Lockdown versucht. Die prominente Vitrine des Ausstellungsraums am Praterstern ist dafür eine geeignete Bühne: Performances fanden im Innenraum statt, das Publikum konnte sie von draußen mitverfolgen.

Auch jetzt, wo die Räume nur als Büro genutzt werden und die für die Art Week organisierte Ausstellung verschoben wurde, wandelt sich das Schaufenster zur Leinwand: Darauf hat die in Pakistan geborene Künstlerin Tazeen Qayyum immer wieder das Wort "Stille" geschrieben, wie ein Strudel drehen sich die Schriftzeichen ineinander. "Eine aktuelle Botschaft", findet Christine Bruckbauer.

Das Publikum bleibt draußen: Die Vitrine des Kunstraums Philomena+ wurde zur Bühne. Hier Kosta Tonev mit "Mime the Gap".
Foto: Bárbara Palomino-Ruiz / philomena+

Gemeinsam mit Negar Hakim hat sie den Raum 2017 gegründet. Dorthin lädt sie vor allem Kunstschaffende aus dem Mittleren Osten und Nordafrika sowie lokale Künstler ein und tritt mit der Nachbarschaft in Interaktion.

Unter dem aktuellen Stillstand leide nicht nur dieser intensive Austausch vor Ort. Auch die Organisation des Projektraums wird durch erneute Verschiebungen belastet. Als noch junge Einrichtung beantragt Bruckbauer für jedes Projekt neue Förderungen. Eine große Unterstützung sei da die mit 4000 Euro dotierte Auszeichnung der Stadt Wien gewesen, so Bruckbauer, die ihrem und vier weiteren Off-Spaces heuer erstmals verliehen wurde.

Finanziell stelle die Krise für den Ausstellungsraum aber keinen allzu großen Einbruch dar – ohne Umsatz gäbe es ja auch keinen Verlust. Dieser sei vielmehr ein inhaltlicher.

Raus mit der Kunst

Oliver Hangl hatte bereits Einladungen verschickt, die Timeslots waren ausgebucht. Anlässlich der Art Week hätte bei ihm eine Performance stattgefunden. "Klar trifft es uns, aber wir müssen versuchen, kreativ damit umzugehen", so der Künstler. Was geht, werde ins nächste Jahr geschoben, zum Glück können die Förderungen übertragen werden.

Seitdem er seinen 2008 gegründeten Projektraum K48 nicht mehr als Treffpunkt nutzen kann, bespielt auch er seine Fensterscheibe, durch die man auf die belebte Kirchengasse im siebenten Bezirk blickt. Für Window Words dürfen Künstlerinnen hier das Glas beschreiben. Aktuell sieht man dort kryptische Buchstaben von Raphaela Edelbauer. Davor hatte sie der Nino aus Wien bekritzelt. Ein Format, das es auch in Zukunft geben soll.

"Window Words": Raphaela Edelbauer hat ein kryptisches Pamphlet in der Kirchengasse hinterlassen.
Foto: Oliver Hangl

Als Künstler ist Hangl bekannt für seine performativen Aktionen im öffentlichen Raum: Guerillawalks, Baulückenkonzerte und Gehsteigdiscos. Seine Silent-Bootskonzerte boten im Sommer eine der wenigen Gelegenheiten, live Musik zu erfahren. Plötzlich hätten viele erkannt, so Hangl, was Kunst im öffentlichen Raum alles könne – und wie wichtig diese dort sei, wo sie Publikum jederzeit erreichen kann.

Genau dahin wird es die Projekträume der Stadt in naher Zukunft drängen. Genügend Ideen scheint es schon zu geben. (Katharina Rustler, 12.11.2020)