In Linz beginnt’s: In Oberösterreich trotzt man den Widrigkeiten der Corona-Pandemie.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Stellen Sie sich vor, es ist ihr dreißigster Geburtstag und niemand kommt hin. Also niemand darf hin. Das Frauentennisturnier in Linz feiert heuer sein dreißigjähriges Bestehen, auf einem großen Plakat hinter dem Schiedsrichterstuhl stehen die Teilnehmerinnen der vergangenen Jahre: Maria Sharapova, Venus Williams, Simona Halep, Petra Kvitova, Mary Pierce, Justin Henin sind nur einige, die in Linz spielten.

Das Who’s who der vergangenen Tennisjahrzehnte soll Stolz vermitteln, soll Gästebuch sein, wirkt an diesem grauen Novembertag aber fast wie ein Kondolenzbuch. In der Halle sind gerade einmal rund vierzig Personen: inklusive Spielerinnen und Ballkinder. Es ist das Gerüst, das Skelett des Sports. Zwei Spielerinnen, zwei Schläger, ein Ball. Hätte die Veranstaltung eine Seele und hätte diese Seele eine Farbe, es wäre das Grau des Courts, das Grau des Himmels über Linz und des Verputzes der Tips-Arena.

Zwischen den Ballwechseln ist es fast mucksmäuschenstill in der Halle. Nur ein monotones Surren kommt von der Belüftung oder der großen Videoanzeige. Sssssssrrrrrrr. Dann Bekanntes, ja Gewohntes: Schläger trifft Ball, Schuhe quietschen auf dem Belag, Gestöhne. Alles irgendwie im stillen Kämmerlein. Die Ballwechsel verschwimmen, es wirkt von der Tribüne aus fast egal, ob das ein dramatischer Punkt oder ein Doppelfehler war. Selten klatscht ein einzelner Betreuer, der Stuhlschiedsrichter gibt den Spielstand durch. Vielleicht für die Spielerinnen, vielleicht weil man das eben so macht. Zwischen den Matches stellt ein Platzsprecher mit einem Mikrofon die Spielerinnen vor: "Meine Damen und Herren." Das macht man eben so.

Sicherheit mit Konzept

"Es ist komisch", sagt Turnierdirektorin Sandra Reichel. Aber: "Wir sind froh, dass das Turnier überhaupt stattfinden kann. Es ist ein wichtiges Zeichen, dass Sport während einer Pandemie existiert." Es ist Reichels bisher ungewöhnlichstes Turnier als Chefin. Der Tennisverband WTA setzte ein 90-seitiges Sicherheitskonzept auf, das es zu befolgen gilt. Spielerinnen und Betreuer werden abgeschirmt, Medientermine finden virtuell statt, so wenig Kontakte wie nur möglich. Die oberste Prämisse heißt Sicherheit.

Die Mitarbeiter werden laufend getestet, es gibt ausreichend Hygienestationen, auf Abstand wird penibel geachtet. Das Schlimmste das passieren könnte, wäre, dass eine Spielerin positiv getestet wird.

Spätestens seit dem Verkünden des zweiten Lockdowns war klar, dass das Turnier ohne Zuschauer stattfinden muss. "Es ist, wie es ist", sagt Reichel. Auf die Ausfinanzierung habe sich der weggefallene Ticketverkauf freilich ausgewirkt, Reichel verweist aber auf die Treue der Sponsoren, denen sie mehr Präsenz auf dem Center-Court und in den sozialen Medien anbieten konnte. Eine vorgezogene Bilanz? "Leicht rote, vielleicht schwarze Zahlen." Also irgendwie auch grau.

Auf der Tribüne hat man während der Spiel- und Konzentrationspausen Zeit für die großen Fragen des Lebens. Wie viele Pflanzen stehen rund um den Platz? Was hätte Tamira Paszek in ihrer Karriere ohne Verletzungen erreichen können? Wenn man nur eine Autobahn auf eine einsame Insel mitnehmen könnte, welche wäre es? Es ist eine puristische Einsamkeit, die einen beschleicht. Leute schauen geht nicht, mit Leuten reden auch nicht.

Ein bisschen einsam wirkt auch Marta Mrozińska. Die Polin ist eine von drei Schiedsrichtern, die in Linz die Matches leiten. Schwarze Hose, weißes Hemd, schwarzes Sakko. Die Uniform ist schick. Vor ihrem nächsten Einsatz steht sie wartend neben dem Court. "Out!", schallt es aus der Box direkt hinter ihrem Kopf. Mrozińska zuckt zusammen und hält sich den Kopf. Blöder Platz.

Technik ohne Event

Linz kommt ohne Linienrichter aus, die Outrufe wurden aufgezeichnet und hallen aus Boxen. Die Linien werden von zig Kameras überwacht, man fühlt sich auf der Tribüne ein bisschen so, als würde man unter einer Section-Control auf der Autobahn sitzen. Menschliche Linienrichter wären als Ersatz da.

Es ist eine neue Tenniswelt, die sich in Linz präsentiert und an die man sich gewöhnen müssen wird. Draußen vor dem Eingang, wo normalerweise ein Zelt steht, in dem man Tenniszubehör kaufen oder seinen Aufschlag messen kann, ist heuer nur der graue Parkplatz. Keine Nebenevents, keine Stadlatmosphäre, keine Autogrammstunden. Das neue "Live is Life" – ohne "Na, na, na, na, na". Es ist der Sport und nur Sport. Reichel sieht das nicht nur negativ: "Die vergangenen Jahre musste ich von Termin zu Termin hetzen. Der Eventcharakter war schon zu viel. Die Menschen fehlen aber sehr." (Andreas Hagenauer, 12.11.2020)