Die heimische Szene rund um mutmaßliche Unterstützer der Muslimbruderschaft und der Hamas ist derzeit im Visier der Ermittler.

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Hunderte Polizeibeamte durchsuchten am Montag unter dem Codewort "Operation Luxor" 60 Wohnungen, Häuser und Vereinslokale im Umfeld der Muslimbruderschaft und deren mutmaßlicher Strukturen in Österreich. Gegen 70 Personen wird nun ermittelt – wegen unterschiedlicher Delikte. Darunter Verdacht der Terrorfinanzierung, der terroristischen Vereinigung, der staatsfeindlichen Verbindungen oder Gründung einer kriminellen Organisation und Geldwäsche.

Bei den Razzien wurden auch große Mengen an Vermögen sichergestellt. Laut diversen Medienberichten soll es sich um 25 Millionen Euro handeln. Laut der "Presse" stehen zwei Immobilienfirmen im Zentrum der Ermittlungen. Das wollte die federführende Staatsanwaltschaft Graz so allerdings nicht bestätigen – und auch nicht preisgeben, woher das Geld stammt.

Mehrere Vereine betroffen

Durchsucht wurde jedenfalls auch eine Stiftung des ehemaligen Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ), Anas Schakfeh. Auf dem Gelände der Stiftung sind auch die Islamische Religionspädagogische Akademie (IRPA) und die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ) angesiedelt. Schakfeh selbst wird von Wissenschafter Lorenzo Vidino in einer Studie nachgesagt, der syrischen Bruderschaft nahezustehen. Schakfeh betonte allerdings, dass keine Verbindung zur Muslimbruderschaft oder einer anderen politischen Organisation bestehe.

Wie der STANDARD erfuhr, soll es auch rund um den islamischen Friedhof in Liesing einen Großeinsatz gegeben haben. Offiziell bestätigen wollte das die Staatsanwaltschaft jedoch nicht. Die IGGÖ selbst war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Zuvor betonte die Glaubensgemeinschaft, dass keine Kontaktaufnahme seitens der Behörden stattgefunden habe. Ebenso betroffen sind zwei einschlägige Kulturvereine in Wien und Graz.

Auch ehemalige Funktionäre der MJÖ zählen laut STANDARD-Informationen zu den Einvernommenen. In einer Stellungnahme verwehrt sich die MJÖ jedoch gegen Behauptungen, es gebe Verstrickungen in diese Richtung. "Es gibt keine personelle, ideologische oder organisatorische Verbindung zur Muslimbruderschaft", heißt es.

"Ich kann mir noch nicht wirklich einen Reim auf diese Razzia machen", sagt Politikwissenschafter Thomas Schmidinger. Es sei noch unklar, welche Materialien mitgenommen worden seien. Auffallend sei, dass sich die Razzia "gegen einen signifikanten Teil der islamischen Glaubensgemeinschaft gerichtet hat. Das ist wahrlich keine Randgruppe. Es ging aber offenbar nicht gegen die türkischen Strukturen wie die AKP", sagt Schmidinger.

Keine Überraschung

Dass es zu den Razzien in diesen Kreisen kam, sei "überhaupt nicht überraschend", sagt ein Insider. Dass man hier jetzt genauer hinschauen wolle, sei schon bei der Präsentation der Dokumentationsstelle Politischer Islam klar gewesen.

Getroffen worden seien jedenfalls diejenigen, "wo es Sinn macht, hinzuschauen". Innerhalb der IGGÖ würden "Probleme nicht besprochen, sondern ignoriert".

Experte Schmidinger vermutet, dass der Vorwurf der Terrorfinanzierung eher in Richtung Finanzierung von Milizen in Syrien oder der Hamas gehen könnte. Da es sich um eine außergewöhnlich große Razzia gehandelt habe, könnte dies auch für einen Zusammenhang mit einem ausländischen Geheimdienst sprechen, wo die Muslimbruderschaft als terroristische Organisation eingestuft werde.

Betroffen von der Razzia dürften auch mehrere Hilfsorganisationen gewesen sein, die unter anderem Spenden für die palästinensischen Gebiete sammeln.

Zurückweisung der Vorwürfe

Andreas Schweitzer, Anwalt einer von der Polizei ins Visier genommenen Obfrau zweier Wiener Vereine, hält die Razzia, zumindest im Falle seiner Mandantin, für "überzogen". Ihr werde ein Telefonat mit einer Person zur Last gelegt, "die im Verdacht steht, der Muslimbruderschaft oder der Hamas anzugehören". "Inhalt des Gespräches war, ob sie die 1.000 Euro bekommen hat", sagt Schweitzer.

Dieses Geld sei als Spende für die Vereine, die muslimische Frauen unterstützen, gedacht gewesen. "Meine Mandantin hat den Vereinen das Geld geborgt, und die Rückzahlung ist dann aus dem Ausland gekommen." Die Hilfsvereine würden über das Ausland finanziert. "Die Community ist ja nicht groß, und da kennt jeder jeden. Kann gut möglich sei, dass da auch ein Muslimbruder dabei ist", sagt Anwalt Schweitzer. Die Vereinsobfrau sei jedenfalls österreichische Staatsbürgerin mit libanesischen Wurzeln. Ihr verstorbener Mann sei UN-Diplomat gewesen, die beiden Söhne arbeiten nach Auskunft Schweitzers bei der Opec und der UN.

Der Grazer Völkerrechtsexperte Wolfgang Benedek, dessen ehemalige Diskussionsreihe an der Grazer Uni zum Thema "Islam in Österreich" für Diskussionen sorgte, weil der Co-Organisator nun im Fokus der Ermittlungen steht, möchte unterstrichen wissen, dass in den Reihen der damaligen Referenten keine ihm bekannten Mitglieder der Muslimbruderschaft gewesen seien. (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, Walter Müller, 11.11.2020)