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Für den eigenen Schmutz bezahlen: Das ist keine neue Idee. Im Kampf gegen den Klimawandel erfreuen sich CO2-Steuern aber gerade so hoher Beliebtheit wie noch nie.

Foto: Reuters/Chris Helgren

Das London, in dem Arthur Cecil Pigou Anfang des 20. Jahrhunderts aufwuchs, war dreckig und stickig. Der "London Nebel" oder "Erbsensuppe", wie die Bewohner die Luftverschmutzung damals nannten, lag wie ein Teppich über der Stadt, drang in Wohnungen ein und belegte Möbel und Wände. Und Arthur Cecil Pigou, der in seiner Freizeit liebend gerne wandern ging, verdeckte der Nebel obendrein die Sicht.

Als Ökonom machte sich Pigou Gedanken über die Kosten der Luftverschmutzung: Gesundheitsprobleme, Auswirkungen auf Pflanzen und Tiere, Schäden an Möbeln. Schuld an dem Problem waren für Pigou die Fabriken und Bewohner, die mit Kohle heizten. Sie verursachten damit Kosten, die auch jene zu tragen hatten, die mit Kohle überhaupt nichts am Hut hatten. Pigous Idee: Man müsse herausfinden, wie viel Schaden die Luftverschmutzung anrichtet, und dann die Fabriken dazu bringen, für diesen Schaden zu zahlen.

Negative Externalitäten

Ökonomen bezeichnen das Phänomen heute als negative Externalitäten. Darunter fallen alle Kosten, die Menschen für Unbeteiligte verursachen und die nicht kompensiert sind. Beispiele gibt es zuhauf: Wer Zigaretten raucht, schadet damit häufig Mitmenschen durch Passivrauchen, wer zu laute Musik hört, stört damit den Schlaf der Nachbarn, wer viel CO2 ausstößt, treibt den Klimawandel auf der ganzen Welt voran.

Für Pigou war die Sache eindeutig: Ohne einen Aufpreis, ohne ein Limit, werden Unternehmen und Menschen die Meere überfischen, die Luft verschmutzen und zu viel CO2 ausstoßen. Werden alle diese Tätigkeiten teurer, zum Beispiel durch eine Steuer, würde der Anreiz steigen, weniger Schaden anzurichten und auf umwelt- und klimafreundliche Alternativen umzusteigen. Damit war die Idee für eine CO2-Steuer geboren.

Hohe Subventionen

100 Jahre später werden rund 20 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen bepreist – für viele Experten zu wenig, um Emissionen sinnvoll senken zu können. Und nicht nur das: CO2-Emissionen werden weltweit fast genau im gleichen Wert besteuert, wie fossile Energieunternehmen subventioniert werden. Ein Grund für Ökonomen, weshalb Flugtickets nach wie vor um wenige Euro zu haben sind, Kohleabbau gewinnbringend ist und Öl in vielen Haushalten noch immer massenweise verheizt wird.

Dabei muss die CO2-Bepreisung, also der Preis, der für jede Tonne emittiertes CO2 von Unternehmen oder Konsumenten gezahlt werden muss, nicht unbedingt über eine CO2-Steuer erfolgen. In der EU gibt es seit 15 Jahren den europäischen Emissionshandel. Unternehmen können Emissionszertifikate kaufen und verkaufen, die sie zu einem bestimmten CO2-Ausstoß berechtigen. Das Problem: Bisher waren so viele Zertifikate im Umlauf, dass der Preis für die "Verschmutzungsrechte" zu niedrig ist, um Emissionen wirklich bedeutend senken zu können.

Nicht nur "eine" Steuer

Tatsächlich ist auch die CO2-Steuer alles andere als klar. Vor allem deshalb, weil es nicht "die eine" Steuer gibt. Zwar hat eine Tonne CO2 den gleichen Effekt auf das Klima, egal ob durchs Fliegen, Autofahren oder Heizen verursacht – in der Praxis wird CO2 aber je nach Land und Sektor völlig unterschiedlich besteuert. Laut Industriestaatenorganisation OECD werden beispielsweise sehr wenig Steuern auf Kohle erhoben, der Flug- und Schiffsverkehr wird beinahe überhaupt nicht besteuert, der Autoverkehr hingegen mehr als alles andere.

Auch bei der Höhe des Preises von CO2 sind sich Ökonomen nicht immer einig. Schon Pigou kannte das Problem: Um zu wissen, wie viel teurer klima- und umweltschädliches Verhalten sein soll, sollte man wissen, wie hoch der Schaden ist, den das Verhalten verursacht. Im Falle der Erderwärmung kann diese Herangehensweise allerdings äußerst komplex sein: Welche Kosten verursacht der Klimawandel? Wie viel Wert misst man zukünftigen Generationen und anderen Lebewesen bei? Lässt sich der Schaden überhaupt in Geld bemessen?

Steuer sollte spürbar sein

Nicht zuletzt deshalb weichen Schätzungen zur "optimalen" Höhe der Steuern oft hunderte Dollar voneinander ab. Laut OECD sollte eine Tonne CO2 auf jeden Fall mehr als 30 Dollar kosten, um Klimaschäden gerecht zu werden. Der Internationale Währungsfonds schätzt in einem Bericht, dass eine Steuer von 75 Dollar pro Tonne die CO2-Emissionen um 35 Prozent senken könnte und damit am effektivsten wäre, um das Pariser Klimaziel zu erreichen. "Die Steuer sollte auf jeden Fall hoch genug sein, dass sie von Unternehmen und Konsumenten wahrgenommen wird", sagt Angela Köppl, Ökonomin am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Zudem sollte sie planbar sein und gegebenenfalls kontinuierlich steigen.

In der EU haben bisher 15 Staaten eine CO2-Steuer eingeführt. In Schweden, wo es schon seit 1991 eine CO2-Steuer gibt, liegt der Preis bei 114 Euro pro Tonne. Im Vergleich dazu werden in Finnland 62 Euro, in Portugal sieben Euro und in Estland nur rund zwei Euro fällig. Für Befürworter einer Steuer hat es Schweden vorgemacht: Dort sind die Steuern für CO2 schrittweise gestiegen, während die Emissionen seit 1995 um 25 Prozent gefallen und die Wirtschaft in der gleichen Zeit um 75 Prozent gewachsen ist.

Widerstand aus Bevölkerung

Die größte Hürde für CO2-Steuern liegt für viele Experten im Namen. Neue Steuern sind selten populär, die Befürchtung in der Bevölkerung groß, dass es zu einer Mehrbelastung für sozial schwache und ärmere Haushalte kommt. Bei nicht wenigen Menschen wird die Erinnerung an die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich wach, wo gegen die geplante höhere Sprit-Besteuerung demonstriert wurde. Auch im türkis-grünen Regierungsprogramm spricht man lieber von der "Herstellung von Kostenwahrheit bei den CO2-Emissionen" als von Steuern.

Allerdings entgegnen Befürworter, dass CO2-Steuern keine generelle steuerliche Mehrbelastung sein müssen. Die Einnahmen der Steuern könnten zum Teil an die Bevölkerung und insbesondere an ärmere Haushalte rückerstattet werden oder für klimafreundliche Investitionen verwendet werden – wie zum Beispiel in der Schweiz, wo das Geld von den Abgaben auf Heizöl und Erdgas in die Gebäudesanierung und über die Krankenversicherung zurück in die Gesellschaft fließt.

Verteilungseffekte

Welchen Effekt eine CO2-Steuer hat, hängt daher von einer Reihe von Faktoren ab: wie hoch die Steuer ist, wie Konsumenten, Haushalte und Unternehmen auf die höheren Preise reagieren, welche umweltfreundlichen Alternativen es gibt und was mit den zusätzlichen Einnahmen passiert.

Beispielsweise könnte es sein, dass durch eine CO2-Steuer insbesondere PKW-Besitzer tiefer in die Tasche greifen müssen. Faktisch gibt es in Österreich durch die Mineralölsteuer bereits eine CO2-Besteuerung im Autoverkehr. Betreffen würde das eher Landbewohner und besonders Pendler. Diese müssten infolgedessen auf E-Autos oder öffentliche Verkehrsmittel umsteigen können.

Ähnliches gilt beim Wohnen: Wer noch mit Gas oder Öl heizt, würde stärker von der Steuer betroffen sein. Laut einer Studie zu den Verteilungswirkungen einer CO2-Steuer in Österreich, die vom früheren Abgeordneten der Grünen, Bruno Rossmann, vergangenes Jahr beim Budgetdienst in Auftrag gegeben wurde, wären Pensionisten am stärksten von einer CO2-Steuer betroffen: weil sie meist allein leben und ihre Häuser mehr mit Öl oder Gas heizen.

Steuer allein nicht genug

"Wenn CO2 teurer wird, heißt das nicht immer, dass jeder auch CO2 vermeiden kann", sagt Köppl. Beispielsweise können Mieter selten das Heizsystem ihrer Wohnung bestimmen. Eigentümer hätten hingegen wenig Anreiz, in ein emissionsarmes Heizungssystem zu investieren. Eine CO2-Bepreisung sei zwar sinnvoll, im Kampf gegen die Klimakrise aber nicht genug. Darüber hinaus müsse auch in öffentliche Verkehrsinfrastruktur, energieeffiziente Gebäude und erneuerbare Energien investiert werden.

Arthur Cecil Pigou konnte nicht wissen, dass mit dem Klimawandel einmal ein weit größeres Problem als die Luftverschmutzung auftaucht. Ein Problem, das seine Idee einer Steuer 60 Jahre nach seinem Tod so relevant macht wie noch nie. Auch deshalb ehren einige Ökonomen seinen Namen bis heute: Der Pigou-Klub – ein informeller Zusammenschluss namhafter Ökonomen – setzt sich seit Jahren für höhere CO2-Steuern ein. Innerhalb der neuen US-Präsidentschaft von Joe Biden könnten ihre Vorschläge schon bald auf offene Ohren stoßen. (Jakob Pallinger, 26.12.2020)