Die Auswirkungen einer prominent besetzten Corona-Party haben der Republik Irland eine Verfassungskrise beschert. Weil ein frischgebackener Richter am Supreme Court, dem höchsten Gericht des Landes, zu den Teilnehmern des feucht-fröhlichen Treffens gehörte, hat ihn nun der Gerichtspräsident zum Rücktritt aufgefordert. Doch Séamus Woulfe weigert sich – und stellt damit die große Koalition in Dublin unter Premierminister Micheál Martin vor ein beispielloses Dilemma.

Das zweitägige Fest des parlamentarischen Golfklubs im westirischen Clifden (Bezirk Galway) mit Miniturnier, mehrgängigem Festessen und anschließender Tombola war monatelang geplant gewesen. Vielleicht fiel deshalb weder den Veranstaltern noch einem der politisch glänzend vernetzten Teilnehmer, darunter hochrangige Politiker, Journalisten und Richter, auf: Ihr frohes Gezeche verstieß eklatant gegen erst tags zuvor erlassene Verschärfungen der Corona-Regeln. Beispielsweise hätten sich lediglich sechs Personen aus drei verschiedenen Haushalten im gleichen Raum aufhalten dürfen statt der – je nach Bericht – drei Dutzend oder mehr als 80.

Öffentliche Entschuldigung

Der Entrüstungssturm in der von Covid-19 heftig gebeutelten Bevölkerung fegte rasch zwei Minister, mit einwöchiger Verspätung auch EU-Handelskommissar Phil Hogan, aus ihren Ämtern. Richter Woulfe aber beließ es bei einer halbherzigen öffentlichen Entschuldigung, woraufhin Gerichtspräsident Frank Clarke seine Vorgängerin Susan Denham im Amt mit einer internen Prüfung beauftragte. Auch in diesen Gesprächen zeigte sich der Richterneuling nicht sonderlich zerknirscht, ließ sogar Kritik an der Corona-Politik der Regierung laut werden. Der hochangesehenen ersten Frau im Amt der Verfassungsgerichtspräsidentin habe Woulfe "glasklare Arroganz" entgegengebracht, lautet das Urteil von Kathy Sheridan, einer Kolumnistin der liberalkonservativen "Irish Times".

Während sich viele Irinnen und Iren an die geltenden Corona-Maßnahmen hielten, feierte Richter Séamus Woulfe in einem Golfklub.

Offenbar sah Clarke dies ebenso. Denhams Schlussfolgerung empfahl einen strengen Verweis für Woulfe sowie einen Gehaltsabzug für die Monate, in denen er seiner Aufgabe nicht nachgehen konnte. Hingegen wäre ein Rücktritt "ungerecht und unangemessen". Das sah der amtierende Gerichtsvorsitzende, offenbar unterstützt von seinen Kolleginnen im Amt, anders: Woulfe habe dem Supreme Court "sehr schweren und nicht behebbaren Schaden" zugefügt und solle deshalb zurücktreten. Der 58-Jährige weigert sich.

"Festgestelltes Fehlverhalten"?

Was nun? Die Verfassung der 99 Jahre alten Republik enthält zwar mit Artikel 35 die Möglichkeit, einen Höchstrichter vom Parlament abwählen zu lassen. Erfüllt Woulfes Corona-Party aber die Voraussetzung des "festgestellten Fehlverhaltens"? Das sei schwer zu beantworten, glaubt Professor Tom Hickey von der Dubliner City University: "Selbst Juristen wissen nicht, was das bedeutet." Einen Präzedenzfall gibt es nicht.

Das Gezanke der Spitzenjuristen kommt für die ohnehin wackelige Koalition aus Premier Martins nationalkonservativer Fianna Faíl (FF), der liberalkonservativen Fine Gael (FG) des Vizepremiers Leo Varadkar und der Grünen zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Eigentlich fordern die Bekämpfung von Sars-CoV-2 und die Endphase der EU-Verhandlungen mit Großbritannien gerade Dublins volle Aufmerksamkeit.

Misstrauensvotum

Damit nicht genug: Diese Woche musste die Regierung ein Misstrauensvotum gegen Varadkar abwehren, nachdem dieser vertrauliche Unterlagen an einen befreundeten Geschäftsmann weitergegeben hatte. Eigentlich ein Rücktrittsgrund – doch der frühere (2017–2020) – und nach der Koalitionsvereinbarung auch zukünftige – Premierminister ist für den Zusammenhalt der Regierung zu wichtig, als dass man ihn über die Klinge hätte springen lassen.

Premier Micheál Martin stellt die Woulfe-Affäre vor ein beispielloses Dilemma.
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Premier Martin will noch diese Woche die Spitzen der Oppositionsparteien zusammenrufen und über den Fortgang der Woulfe-Affäre beraten. Die eleganteste Lösung wäre wohl ein anderer schöner Posten für den 58-jährigen früheren FG-Politiker und Generalstaatsanwalt, der im Sommer bei der Regierungsbildung sein Amt verloren hatte. Dass sich die Kolleginnen am Supreme Court so heftig seiner Rehabilitierung widersetzen, dürfte auch mit dem Eindruck zu tun haben, Woulfe sei mit dem Sitz am höchsten Gericht für den Verlust des Kabinettspostens entschädigt worden. (Sebastian Borger aus London, 12.11.2020)