Käme selbst ein sofortiger CO2-Stopp womöglich schon zu spät?

Imago/Ralph Peters

Im Normalfall denken wir nicht allzu weit in die Zukunft, wenn es um den Klimawandel geht. Fast alle Prognosen laufen auf das Jahr 2100 zu. Die Kernbotschaft: Bis dahin müssen wir es schaffen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Dazu müsste der CO2-Ausstoß der Menschheit vor 2030 deutlich zu sinken beginnen und ab etwa dem Jahr 2050 netto null Emissionen erreichen.

Sollten wir das wirklich schaffen wollen, wären dafür große Anstrengungen nötig: Aktuell blasen wir täglich nämlich noch rund 115 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre und roden eine Fläche tropischen Regenwalds, die so groß ist wie fast 13.000 Fußballfelder.

Sollten wir tatsächlich die Emissionskurve bis 2050 kratzen und keine Treibhausgase mehr ausstoßen, wäre dann der Klimawandel auch langfristig gestoppt?

Nein, behaupten zwei (Zukunfts-)Forscher in einem Artikel, der am Donnerstag im Fachblatt "Scientific Reports" erschien. Zumindest langfristig betrachtet hätten wir bestimmte Kipppunkte bereits überschritten, argumentieren Jørgen Randers (BI Norwegian Business School) und Ulrich Golüke. Bis zum Jahr 2500 wird sich laut ihren Berechnungen die Erde in jedem Fall um drei Grad Celsius erwärmen, selbst wenn wir die Treibhausgasemissionen sogar schon 2020 auf null reduzieren würden.

Unaufhaltsame Prozesse?

Basis ihrer aufrüttelnden Prognosen ist ein vereinfachtes Modell, mit dem sich abschätzen lässt, wie sich verschiedene Reduktionen der Treibhausgasemissionen auf Veränderungen des globalen Klimas von 1850 bis 2500 auswirken. Konkret liefert es Daten, wie stark die globale Temperatur und der Meeresspiegel ansteigen werden. Für den Meeresspiegel prognostizieren die Forscher einen Anstieg um 2,5 Meter. Sollten wir es erst bis zum Jahr 2100 schaffen, die Emissionen völlig zu reduzieren, dann würde die Temperatur ebenfalls um drei Grad steigen, der Meeresspiegel aber gleich um drei Meter.

Die Forscher nennen drei selbstverstärkende Prozesse, die diese Entwicklung laut ihrem Modell unaufhaltsam machen: Erstens würde wegen der schwindenden Eisflächen die sogenannte Albedo zurückgehen, also die Reflexion des Lichts zurück ins All. Zweitens gäbe es mehr Wasserdampf in der Atmosphäre, und drittens würden die Permafrostböden über Jahrhunderte auftauen und massiv CO2 und Methan abgeben.

Aufzuhalten sei diese Entwicklung nur dann, so die Autoren, wenn umgehend begonnen würde, CO2 aus der Atmosphäre abzuscheiden – in einer Größenordnung von 33 Gigatonnen pro Jahr. Zum Vergleich: 2019 wurden 36,7 Gigatonnen in die Atmosphäre emittiert.

Kritik von Kollegen

Diese neuen Modellrechnungen stoßen bei Fachkollegen freilich auch auf Kritik. So etwa meint Stefan Hagemann vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht, dass die Studie zwar interessante Ergebnisse und Anregungen liefere. Ihr vereinfachtes Modell sei aber nicht geeignet, um daraus irgendwelche relevanten Schlüsse abzuleiten.

Holger Kantz (Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme) wiederum verweist darauf, dass es im 2014 veröffentlichten fünften Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) mehrere Prognosen der globalen Durchschnittstemperatur bis zum Jahr 2300 gebe, die auf besseren Modellen beruhen: "In allen drei betrachteten Szenarien endet der Temperaturanstieg bis 2300, im optimistischsten Emissionsszenario geht die Temperatur bis auf den Wert im Jahr 2000 zurück." (tasch, 13.11.2020)