Der Handel dürfte bald wieder zusperren, heißt es aus Regierungskreisen.

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Zehn Tage wollte die Regierung abwarten, ehe sie sich ein Bild über die Wirksamkeit des am 3. November in Kraft getretenen Lockdowns macht – so lange dauert es wegen der Inkubationszeit und anderer Effekte, bis klare Schlüsse möglich sein sollten. Nun ist diese Frist verstrichen. Wenn nicht schon am Freitag, so werde die Koalition bis spätestens Samstag zu einem Urteil kommen, heißt es aus dem Kanzleramt – und daraus entsprechende Konsequenzen ziehen.

Doch an welchen Schrauben können und wollen ÖVP und Grüne drehen? Noch verrät kein Regierungsmitglied, welche Pläne – sofern überhaupt ausdiskutiert – in den Schubladen liegen. Dass der Handel und Dienstleistungsbetriebe schließen werden, zeichnet sich jedoch ab. So waren auch im ersten Lockdown die meisten Betriebe geschlossen, Ausnahmen gab es etwa für Trafiken, Apotheken und Supermärkte.

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) macht kein Hehl daraus, dass er mit dem Shoppingverhalten der Österreicherinnen und Österreicher unglücklich ist. Am Donnerstag sprach er von "besorgniserregenden Bildern von größeren Menschenansammlungen" in den Einkaufszentren, von engem Gedränge und dem gemeinsamen Konsum von Essen und Getränken. Er appellierte daher an Betreiber wie Besucher, sich an die vorgeschriebenen Maßnahmen zu halten. Ansonsten werden neue kommen, schwingt da mit.

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Datenchaos und zu viel Freizeitvergnügen

Was die Regierung unter Zugzwang bringt: Der Lockdown II scheint nicht richtig zu greifen. Aktuell lasse sich aus den Daten nur eine bescheidene Dämpfung der Infektionskurve ablesen, sagt der Simulationsforscher Niki Popper, der im Prognoseteam des Gesundheitsministeriums sitzt: "Die Auswirkungen der Maßnahmen sind sehr gering – viel geringer als erhofft."

Dies könne, so Popper, zwei Ursachen haben. Im erfreulicheren Fall liegt es am Umstand, dass die verfügbaren Daten veraltet sind: Weil die Erfassung der laufend auftretenden Fälle eine Zeitlang dauert, hinkt die Statistik hinterher. In den letzten Tagen habe sich das Problem noch verschärft, sagt Popper, zumal die Behörden mit dem Einmelden immer mehr überlastet seien. Dazu gesellten sich IT-Probleme.

Fast ein Dreivierteljahr nach der ersten bestätigten Infektion mit Sars-CoV-2 ringen Ages, Innen- und Gesundheitsministerium stärker als zuvor mit der Verlässlichkeit ihrer Zahlen. Im Dashboard wurden etwa Anfang der Woche – nun nachträglich berichtigt – weniger als die Hälfte der tatsächlichen Neuansteckungen angezeigt. Umgekehrt wurde die Zahl der Intensivpatienten am Dienstag von zunächst 580 auf 495 nach unten korrigiert, ohne weitere Erklärung. Die falschen Ergebnisse und "kurzfristigen Verzögerungen" führt man im Gesundheitsministerium auf die "hohe Auslastung der Server durch die zahlreich einlangenden Labormeldungen" zurück.

Was kostet uns dieser zweite Lockdown – und wie lange können wir uns das leisten? Vizekanzler Werner Kogler, SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und Wifo-Chef Badelt diskutierten darüber am Donnerstag bei STANDARD mitreden.
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Popper und sein Team versuchen allerdings, den Verzögerungseffekt herauszurechnen. Für entscheidend hält der Experte deshalb den zweiten möglichen Grund für die ausbleibenden Lockdown-Effekte. "Die Menschen haben ihre Freizeitkontakte nicht stark genug reduziert", sagt er. "Offenbar gibt es einen Verlagerungseffekt. Die geschlossenen Wirtshäuser führten dazu, dass sich die Menschen stattdessen in Einkaufszentren drängen." Conclusio: Natürlich seien auch andere Maßnahmen möglich, aber ohne Einschränkung des Freizeitverhaltens würde alles nicht reichen.

Bewegungsdaten von Google zeigen, dass die Besucherzahl in Restaurants, Einkaufszentren und Unterhaltungseinrichtungen mit bis zu minus 67 Prozent aktuell zwar weit unter dem Vorkrisenniveau liegt. Im ersten Lockdown lag der Wert aber bei 90 Prozent.

Selektive Lockdownregeln denkbar

Denkbar sind auch selektive Lockdownregeln. Das gilt für die Schulen, wo zwischen Volksschulen und Unterstufe unterschieden werden könnte, ebenso wie für den Handel. Wäre es rechtlich etwa zulässig, die gescholtenen Einkaufszentren zu sperren, die einzelnen Geschäfte in den Straßen aber offen zu halten? Solange es sachlich, in diesem Fall also medizinisch begründbar ist, sei dies möglich, sagt der Anwalt und Rechtsprofessor Georg Eisenberger.

Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des Einkaufszentrenverbandes, sieht allerdings keinen Grund für irgendeine Schließung. "Es gibt europaweit nachweislich keine Clusterbildung in Shoppingzentren", sagt er und warnt: "In 14 Tagen beginnt das Weihnachtsgeschäft. Haben die Geschäfte da noch zu, werden viele Firmenleichen den Wegesrand pflastern."

Donnerstag ist neben alledem auch der traditionelle Tag der Ampelschaltung. Schon seit einer Woche ist ganz Österreich auf der Corona-Ampel auf Rot gestellt, daran hat die aktuelle Schaltung am Donnerstagabend nichts geändert. Wie die "Oberösterreichischen Nachrichten" berichteten, wurden von der Kommission weitere Maßnahmen eingemahnt, um einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern – nicht aber die Schließung der Schulen für unter 14-Jährige. Vor Monaten, als einer Ampelschaltung noch konkrete Maßnahmen folgten, bedeutete Rot übrigens: Homeschooling, Besuchsverbot in Heimen und Krankenhäusern – und bis auf die nötigsten Geschäfte auch ein geschlossener Handel. (Gerald John, Michael Matzenberger, Gabriele Scherndl, 12.11.2020)