Foto: Kärnten heute ORF Screenshot

Abstand ist in Österreich (zumindest für die meisten) eine Frage des Anstands beziehungsweise zur Selbstverständlichkeit geworden. Fehlendem Anstand wurde mittlerweile rechtlich nachgeholfen, weshalb die Gastronomie inzwischen geschlossen bleiben muss, woraus folgt, dass der Besuch von Kaffeehäusern in Österreich derzeit untersagt ist.

Kleiner Grenzverkehr

Im Norden Italiens (Friaul) ist das bislang anders, dort sind die Lokale bis 18 Uhr geöffnet. Da im Grenzgebiet der kleine Grenzverkehr seit jeher beliebt ist, sind Grenzgänge daher auch keine Seltenheit, wie am vorigen Wochenende zu beobachten war, als viele Österreicher im Süden (Kärnten) die Gelegenheit nutzten, über die Grenze Tarvis zu fahren, dort eine Kleinigkeit zu essen, einen Cappuccino in der Sonne zu genießen, Tisch an Tisch und eng beisammen zu sitzen.

Der ORF (Kärnten) hat sie dabei begleitet und das Geschehen in einem Beitrag ("Kärnten heute") dokumentiert. Erika Linnemeyer erzählt etwa, was ihr fehlt: "Das Treffen mit Freunden, das gehört dazu zum Leben. Und auch, dass man mal Essen geht."

"Sie haben Angst gehabt"

Francesco Piussi, Gastronom an der italienischen Grenze, berichtet erfreut davon, dass er in den vergangenen Tagen um 30 Prozent mehr Gäste begrüßen konnte. Ähnlich Renzo Zanette, der Bürgermeister von Tarvis: "Das ist für unsere Wirtschaft eine positive Entwicklung, weil wir somit weiterhin das Angebot garantieren können, das sonst auch tagtäglich unsere Freunde aus Österreich gerne in Anspruch nehmen, sei es in den Restaurants, aber auch in den Kaffeehäusern und Bars."

Die Gastronomin Benvenuta Plazzotta berichtet hingegen von anderen Gästen aus Österreich: "Viele unserer Gäste sind den ganzen Sommer nicht gekommen. Das heißt, sie haben Angst gehabt."

Unmittelbar bevor der ORF von den maskenlosen österreichischen Sonnenanbeterinnen und Sonnenanbeter in Friaul und deren Beitrag zum Florieren der italienischen Gastronomie berichtete, wurden noch rasch die aktuellen Coronavirus-Zahlen für Kärnten verlesen (Anstieg der Todesfälle auf 42, 195 Neuinfektionen, 145 Menschen im Spital, zwölf davon auf der Intensivstation).

Widersprüche

Die Beiträge hätten widersprüchlicher nicht ausfallen können, die zentrale Botschaft nicht unklarer bleiben.

Abstand zu halten gehört von jeher auch zum journalistischen Anstand. Qualitätsjournalismus lebt von kritischer Distanz, Ausgewogenheit der Berichterstattung ist eines seiner zentralen Kennzeichen. Grenzgängerinnen und Grenzgänger medial zu begleiten ist das eine, nicht kritisch nachzufragen das andere. Die Grenzgänge wurden dokumentiert, allerdings an keiner Stelle kommentiert. Die Stimmen der Kaffeehausbesucher in Tarvis wurden gehört, kritische Gegenstimmen nicht. Der Bericht war so sonnig wie das Wetter in Tarvis und so distanzlos wie die Besucherinnen und Besucher im Café. Hart an der Grenze zum Seichten, abseits kritischer Beobachtung und Nachfrage.

Kurz: ein medialer Grenzgang. (Larissa Krainer, 13.11.2020)