"Weiße Bänder" wie hier in Mittersill von vergangenem Jahr lösen regelmäßig Diskussionen über die Nachhaltigkeit im Skitourismus aus. Heuer kommt mit der Pandemie noch eine Krise dazu.

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In Kitzbühel gehört man gern zu den Ersten. So gern, dass es mitunter für Aufregung sorgt. Wie im vergangenen Jahr, als eine Pisteneröffnung Umweltschützer in Raserei versetzte. Grund für die Empörung war eine 700 Meter lange und 60 Meter breite Skipiste, die die Bergbahnen letzten Oktober in der noch grünen Landschaft ausbreiteten. Möglich wurde das durch Schnee aus der Vorsaison, der über den Sommer konserviert wurde.

Bei diesem sogenannten Snowfarming wird Schnee zu einem großen Haufen zusammengeschoben und abgedeckt. Schichten aus Hackschnitzeln, Sägespänen, Dämmplatten, Vlies oder Folien isolieren den Haufen vor Sommerhitze oder Regen – eine Praxis, wie sie in vielen Wintersportorten Europas mittlerweile gängig ist.

Heuer wollte man sich in Kitzbühel den Ärger sparen – und startete erst später in die Saison. Doch nach einer Woche war auch damit Schluss. Hotels, Lifte und Pisten sind aufgrund der Corona-Maßnahmen nur noch für Profisportler geöffnet. An einen normalen Winter glaubt keiner mehr.

Weshalb die Touristiker eine bange Frage umtreibt: Was, wenn auch in Zukunft nichts mehr ist, wie es einmal war?

"Weg vom Vollgas"

"In 250 Jahren Familienbetrieb hatten wir noch nie einen freiwilligen Ruhetag", sagt Maria Hauser vom Stanglwirt in Going am Wilden Kaiser, nahe Kitzbühel. Heuer musste das sonst meist ausgebuchte Hotel Lockdown-bedingt gleich zweimal alle Buchungen absagen. Jetzt räumt Familie Hauser erneut hunderte Minibars aus, senkt die Temperatur in den Pools oder lässt gleich das Wasser aus und redet mit den 320 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den dutzenden Tennis-, Ski-, Golfcoaches, die mit dem Hotel zusammenarbeiten, über die Lage in den nächsten Wochen. "Wir sind demütig", sagt Maria Hauser. "Vielleicht müssen wir in Zukunft weg vom Vollgas, etwas mehr zur Ruhe kommen."

Dabei symbolisiert das Hotel wie kaum ein anderes den Aufstieg des heimischen Ski- und Wintertourismus. In den vergangenen Jahrzehnten baute die Familie Hauser den einfachen Bauernhof in ein Fünf-Sterne-Luxushotel um, das seither Gäste aus aller Welt anzieht, bis zu 400 bei Vollbetrieb. Authentisch will man sein, und gleichzeitig immer weiterwachsen.

Das Skigebiet sei "das beste der Welt", heißt es auf der Website von Kitzbühel. 188 Pistenkilometer, 57 Lifte, 200 Skitage pro Saison, zig Funparks und Rodelbahnen: Der Skitourismus hat aus dem einst beschaulichen Bergdorf eine wohlhabende Kleinstadt gemacht und beschert Millionenumsätze. Mittlerweile wird jeder dritte Euro in Tirol im Tourismus verdient. Rund 15 Milliarden Euro setzte der Wintertourismus in Österreich 2019 um.

Millionen für Ausbau

"Ohne Größe und entsprechendes Angebot geht heutzutage nichts mehr", sagt Erik Wolf, Geschäftsführer des Fachverbands der Seilbahnen der Wirtschaftskammer Österreich. "Das entscheidet, ob die Leute dort buchen. Selbst wenn sie das Angebot am Ende nicht nutzen." Schneegarantie sei ein Muss, ebenso künstliche Beschneiung.

Das bestätigt auch Egon Smeral, Tourismusforscher an der Privatuniversität Modul University Vienna. "Es sind zunehmend nur noch größere Skigebiete wettbewerbsfähig." 70 Prozent der österreichischen Pisten sind bereits künstlich beschneit. 420 Speicherseen sorgen für das nötige Wasser. Rund 750 Millionen Euro investierten österreichische Skigebiete 2019 laut Seilbahnverbänden in Lifte, Pisten und Schneeanlagen.

Wettrüsten in den Bergen

Für die Tourismussprecherin der Grünen, Barbara Neßler, sind das nicht unbedingt Zeichen einer starken Wettbewerbsfähigkeit, sondern eines gewaltigen Wettrüstens in den Bergen. "Der Wachstumswahn, gekoppelt mit einem Konzentrationsprozess und Konkurrenzdruck, führt letztlich nur in eine Abwärtsspirale", sagt Neßler. Es sei viel verabsäumt worden in der österreichischen Tourismuspolitik der vergangenen Jahrzehnte.

Für ihre Kritik am Skitourismus erntete Neßler böse Kommentare vom Koalitionspartner ÖVP. Der Tiroler ÖVP-Nationalratsabgeordnete, Hotelier und Ex-Wirtschaftsbundobmann Franz Hörl unterstellte ihr, "Hetzerei" zu betreiben. Von der Tiroler Wirtschaftskammer hieß es, durch solche Kommentare mache man den "eigenen Tourismus in der Darstellung nach außen kaputt".

Fehlende Gäste

Am Image-Knacks, so meinen Kritiker, seien jedoch eher die Verantwortlichen des Tiroler Krisenmanagements schuld, als sie nach dem Ischgl-Cluster auf ihrer "Alles richtig gemacht"-Attitüde beharrten. Und nun könnten aufgrund der Corona-Maßnahmen und Reisebeschränkungen auch noch überall die Gäste ausbleiben.

"Die Lage ist für viele Hoteliers dramatisch. Im besten Fall verlieren sie in diesem Jahr 20 bis 30 Prozent bei den Nächtigungen im Vergleich zur Saison vor zwei Jahren. Im schlimmsten Fall droht die Kernschmelze im alpinen Tourismus", sagt der Tiroler Tourismusexperte Günther Aigner. Denn wer ein großes Angebot hat, muss mit laufenden Investitionen rechnen. Ohne Gäste fehlt dafür das Geld.

Nach dem Schnee

Das könnte sich auch in Zukunft nicht ändern. "Kommt es durch die Pandemie zu einer globalen Rezession, könnte das die Nachfrage nach Skitourismus noch über viele Jahre dämpfen", sagt Aigner. Die hohe Arbeitslosigkeit könne dazu führen, dass Familien, die bisher zu den größten Gästegruppen zählten, sich das Skifahren in Zukunft nicht mehr leisten können und wollen.

Und schließlich kommt mit dem Klimawandel auch noch ein langfristiger Trend hinzu. "Besonders in niedrigeren und kleineren Skigebieten wird der Klimawandel zu Pro blemen bei der Schneesicherheit führen", sagt Smeral. Das könnte dazu führen, dass in Zukunft weniger Kindern das Skifahren lernen. "Jüngere wollen nicht mehr so viel Ski fahren, fragen sich, wozu sie das eigentlich brauchen." Bleibt die Anzahl der Skigäste gleich oder sinkt diese sogar, könnte ein harter Kampf zwischen den Skigebieten um die verbliebenen Gäste einsetzen.

"Pause von Skizirkus"

Wohl nicht alle wären über ein Schrumpfen des Skitourismus besonders traurig. Ob neue Zufahrtsstraßen, Schneekanonen oder Speicherseen: Umweltschützer kritisieren seit Jahren die Eingriffe in die Natur, die der Massentourismus verlangt. Laut Studien entfallen rund drei Viertel der CO2-Emissionen beim Skitourismus auf die An- und Abreise sowie die Mobilität vor Ort. Der Rest verteilt sich auf Beschneiung, Pistenpräparation, Liftanlagen, Restaurants und Hotels. Das Problem dürfte im zuständigen Ministerium zumindest bekannt sein. Bezüglich Anfahrt und Beschneiung heißt es, dass man dieses "Spannungsverhältnis im Blick haben und ein vernünftiger Interessenausgleich gefunden werden muss".

"Durch die Pandemie ist endlich eine Pause vom überdrehten Skizirkus möglich", sagt der deutsche Alpenforscher Werner Bätzing. In den letzten Jahren habe sich der Skitourismus auf immer weniger Gemeinden konzentriert. Die starke Verstädterung einiger Gebiete habe zu großen Umweltproblemen wie der Verschmutzung von Böden, Wasser und Luft geführt. In Gebieten, in denen der Skitourismus in großem Stil ausgebaut wurde, sei die Ökologie durch Liftanlagen, Pistenaufbereitung und Beschneiung bereits "komplett verändert", sagt Werner Bätzing.

"Viele Vorurteile"

In der Branche selbst kann man die Kritik nicht nachvollziehen. "Skifahren ist eine der CO2-sparsamsten Urlaubsformen. Besser ist nur das Wandern", sagt Wolf von der Wirtschaftskammer. Man werde seit Jahren immer nachhaltiger, beispielsweise indem man in erneuerbare Energien investiere. Verbesserungsbedarf gebe es laut Wolf lediglich bei den Angeboten für eine umweltfreundliche Anreise.

Auch der Tiroler Tourismusforscher Aigner kann die Kritik nicht verstehen: "Besonders die urbanen Bildungsbürger sind sich sicher, dass wir in Zukunft keinen Schnee mehr haben, dass durch das Skifahren und die technische Beschneiung die Natur zerstört wird oder dass auf den Bergen schon alles zubetoniert ist." Das seien viele Vorurteile. Man kenne die Zukunft des Schnees nicht, künstliche Beschneiung zerstöre den Almboden nicht, Schneedepots seien zum großen Teil aus Naturschnee und daher nicht schädlich, und "Overtourism" sei beschränkt auf einige wenige Gebiete. "Würden wir alle in kleine Skigebiete fahren, müssten diese nicht zusperren", sagt Aigner. "Wir sollten uns stattdessen darüber Gedanken machen, was mit Gegenden passiert, wo der Tourismus wegbricht."

Welche Alternative?

Bätzing sieht einen solchen Wegfall nicht als großes Problem. "Der permanente Wachstumskurs der großen Skigebiete wäre sowieso irgendwann abgebrochen. Besser früher als später." Als Alternative käme für Bätzing ein kleinstrukturierter Wintertourismus ohne größere technische Eingriffe mit einem regionsspezifischen Angebot infrage. "Wir müssen zu den Anfängen des Skifahrens zurück, wo das eigene Körper- und Naturerlebnis noch im Vordergrund stand und man sich nicht alle Events und Erlebnisse kaufen konnte."

Aigner glaubt, dass auch in Zukunft das große Angebot zählen wird. Allerdings müssten die Skigebiete wieder mehr an ihrer Glaubwürdigkeit arbeiten.

Weniger Quantität, dafür mehr Qualität – so lauten viele Erwartungen. Aber nicht alle scheinen unter den Begriffen dasselbe zu verstehen. "Die Gäste, die kommen, wollen weniger lang anstehen, mehr Nachhaltigkeit und Regionalität", sagt Maria Hauser. Dafür seien sie auch bereit, mehr zu zahlen – etwa für eine der Luxussuites im Hotel.

Mehr Authentizität

"Qualität heißt sicher nicht nur, Luxusprodukte anzubieten", sagt Herta Neiß, Tourismusexpertin an der Johannes-Kepler-Universität Linz. Die Forscherin arbeitet dort aktuell an einem Interreg-Forschungsprojekt mit der FH-Salzburg und den Regionen St. Wolfang, Wagrain Kleinarl und Berchtesgadner Land zu Fragen, wie nachhaltiger Tourismus im Alpenraum aussehen kann. "Qualität heißt nicht teurer, sondern mehr Zeit, sich auf Einheimische, Kultur, Kulinarik und dem Brauchtum der Region einzulassen." Am wichtigsten sei eine gute Kommunikation zwischen den Einheimischen, den Hoteliers und Liftbetreibern darüber, was eine "gute" und nachhaltige Entwicklung für das Gebiet heißen kann und wie die Region für Einheimische gut lebbar sein kann. Zudem müssen künftig mehr Alternativprogramme, wie etwa Mountainbiking oder Schneeschuhwandern, neben dem Skifahren angeboten werden.

Bleibt die Frage, ob Regionen tatsächlich auf entschleunigten Tourismus umsteigen wollen. Denn die Pandemie ließe sich auch als Ausnahme in einem ansonst intakten Wachstumsmodell verstehen. Gibt es bald einen Impfstoff, kann der "Skispaß" wieder weitergehen. Fast so, als wäre nichts gewesen. (Jakob Pallinger, 13.11.2020)