Wie überaus passend, kann man da nur sagen. Da findet sich eine leider bereits abgelaufene Offerte für Rudolf Röschs Kochbuch So kocht man in Wien!, erste Auflage 1939, bei Ebay, und der Standort des Verkaufenden lautet ausgerechnet: Dachau, Deutschland.

Wie ein Bestseller arisiert wurde: Karina Urbach erinnert in ihrem neuen Buch an das Schicksal ihrer Wiener Großmutter, die eine Kochschule samt Lieferservice betrieb.
Foto: Dan Komoda

Der letzte Satz enthält gleich zwei Falschaussagen. Es war weder die Erstausgabe, noch gab es mit übergroßer Wahrscheinlichkeit jemals einen Wiener Koch mit Namen Rudolf Rösch. Dieses "Koch- und Haushaltungsbuch für gut bürgerliche Küche", ausgestattet mit 174 schwarz-weißen und 21 farbigen Abbildungen und 104 Kunstdrucktafeln, verlegt vom Verlag der Zentralgesellschaft für buchgewerbliche und graphische Betriebe A.G. Wien und in Deutschland ausgeliefert vom Ernst-Reinhardt-Verlag in München, war nämlich bereits drei Jahre zuvor erschienen.

Es hatte sich sehr gut verkauft. Und war von Alice Urbach geschrieben worden. Es war ein "Bücherraub". Indem man den Namen einer jüdischen Wienerin, die im Jahr 1939 seit einem knappen Jahr ärmlich im Exil im nordenglischen Newcastle lebte, ausradierte und überschrieb, war die Enzyklopädie mit dem köstlichen Schwerpunkt auf Kuchen, Keksen und Desserts "arisiert" worden.

So kocht man in Wien

Dass ihr Lebensweg die 1884 geborene Alice Urbach jemals in die Industriestadt im Norden Englands führen sollte, hätte sie wohl nie gedacht. Ihre Enkelin Karina Urbach erzählt nun ihre Geschichte und die ihres Kochbuchs.

Die 1968 geborene Historikerin forscht nach Stationen in München, London und Cambridge seit einigen Jahren am Institute for Historical Studies in London und ist Longterm Visitor am Institute for Advanced Study in Princeton im US-Bundesstaat New Jersey. Neben mehreren gewichtigen historischen Monografien schrieb sie auch einen entgegen den Kritiken und Preisen etwas matten Spionageroman über die Cambridge 5, den berühmt-berüchtigten kommunistischen Agentenzirkel um Kim Philby, Guy Burgess und Anthony Blunt.

Karina Urbach, "Das Buch Alice. Wie die Nazis das Kochbuch meiner Großmutter raubten". € 25,70 / 432 Seiten. Propyläen, Berlin 2020
Foto: Propyläen

Das Buch Alice ist eine hochspannende, sprachlich nicht immer ganz unsentimentale Geschichte, die anhand von Familienpapieren, Aufzeichnungen und Interviews ausgebreitet wird. Sie beginnt im jüdischen Ghetto von Pressburg, führt nach Wien, dort vom Cottageviertel nach Ottakring, zu einer unglücklich-tristen Ehe – Alice’ Vater, der enorm erfolgreiche Textilkaufmann Sigmund Mayer, ein wortgewaltiger Gegner Karl Luegers, hatte die Ehe patriarchalisch angeordnet – inklusive raschen sozialen Abstiegs. Die verwitwete Alice – ihr Mann, ein Mediziner, verzockte als Spieler ihr gemeinsames Vermögen – hatte in der ersten Hälfte der 1920er-Jahre kaum etwas anderes vorzuweisen als ein Talent für Kochen und Backen. Sie ging das Risiko einer Kochschule ein – und reüssierte!

Ihr Institut in der Goldeggasse beim Alpengarten des Belvedere war bald stadtweit berühmt, eine ihrer Kochelevinnen war Anna Freud. Alice Urbach, umtriebig, übersprudelnd, einfallsreich, führte als Erste in Wien auch etwas bis dato nicht Dagewesenes ein: die Lieferung gekochten Essens nach Hause. So brachte sie ihre zwei Söhne, Otto, geboren 1913, und Karl, Jahrgang 1917, einigermaßen durch die Weltwirtschaftskrise, weitaus weniger gut durch den Austrofaschismus. 1938 kollabierte alles, sie konnte gerade so nach England entkommen, Otto lebte seit 1933 in den USA, auch ein Jahr lang, 1937, im von den Japanern attackierten Schanghai.

Karl kam, mit gültigen Auswanderpapieren in der Tasche, ins KZ Dachau, nach mehreren Monaten wurde er, gefoltert, gequält, abgemagert, entlassen und gelangte 1939 auch nach Amerika, wo er Chemie und Medizin studierte. Alice Urbach leitete ab 1939 ein Kinderheim für unbegleitete minderjährige jüdische Flüchtlingsmädchen. Sie ging 1946 nach Chicago, später nach New York, wo sie im von deutschsprachigen Emigranten geprägten Washington Heights sehr bescheiden lebte.

So stahl man in München

Der Dreh- und Angelpunkt des Buches ist: dass der Ernst-Reinhardt-Verlag sich nach 1945 verbissen weigerte, sie als Autorin ihres eigenen Kochbuchs anzuerkennen und die Fehlbezeichnung "Rudolf Rösch" zu revidieren. Das zeigt Urbach, die gründlich recherchierte, auf. Beim seit 1937 amtierenden Verleger Hermann Jungck, der einen Schweizer Pass hatte und daher 1944, als alle Verlage in Nazi-Deutschland schließen mussten, sein Haus problemlos ins sichere Basel hatte verlegen können, stieß Alice Urbach lebenslang auf bitteren Widerstand und aggressive Renitenz.

Zwei Chroniken des Verlags, der sich seit langem auf Publikationen über Psychologie konzentriert – einst war er das Stammhaus der Individualpsychologie Alfred Adlers –, verschleierten elegant Opportunismus und antijüdische Kleingeistigkeit. Diese Familiengeschichte ist keineswegs so klein, wie sie Urbach am Ende nennt. Dort erwähnt sie auch, dass das Grausige in den 1950er-Jahren für die Emigranten nicht selten war, dass genau jene Beamten ihre Restitutionsanträge bearbeiteten und in der Regel kaltschnäuzig abschmetterten, die 1938 ff. administrativ die "Arisierungen" verantwortet hatten.

So ist jenes Bonmot von Alfred Polgar, der am Ende der 1940er-Jahre kurz aus Zürich nach Wien gereist war und dann wieder an die Limmat zurückkehrte, so böse wie wahr: "Ich muss über diese Stadt ein vernichtendes Urteil abgeben", sprach der blitzgescheite Feuilletonist: "Wien bleibt Wien."

Alice Urbach starb am 26. Juli 1983 im Alter von 97 Jahren in San Francisco. Dort war sie vierzehn Jahren zuvor hingezogen, um bei ihrem Sohn Karl zu leben, der nach 30 Jahren als Anästhesist im U.S. Public Health Service Hospital auf Staten Island, New York, zum Leiter des medizinischen Pendantspitals in San Francisco berufen worden war.

Der Kreis schließt sich

Das Pensionistenheim, in dem sie mit ihrer kargen Rente und der Unterstützung ihrer Söhne unterkommen konnte, langweilte sie aber. In den 1960er-Jahren hatte sie im amerikanischen Fernsehen verfolgen können, wie eine leicht chaotische bis schwer überkandidelte Köchin namens Julia Childs zur Ikone aufgestiegen war, die der amerikanischen Nation "la cuisine française" nahebrachte.

Was war, dachte sich Alice Urbach beim Anschauen, daran nur so bemerkenswert? Die legere Unordnung in der Küche, die jedes Mal entstand? Die Verflachung der delikaten Geschmacksrichtungen für die gröberen Zungen und Gaumen in den Vereinigten Staaten?

So klopfte sie kurzerhand und wortreich wie stets bei einer Kochschule an. Wurde genommen. Und gab bis kurz vor ihrem Tod Kurse in "Viennese cooking". Der Kreis schloss sich.

Vor wenigen Wochen wurden Alice’ von den Nazis ermordete Schwestern Sidonie, Karoline und Helene geehrt. Vor Helenes und ihres Mannes Georg Eissler einstiger Wohnung in der Ebendorferstraße 10/12 gleich hinter dem Universitätshauptgebäude wurde ihnen zum Gedächtnis ein "Stein der Erinnerung" gesetzt. Dass Kochen essenziell mit Erinnerung zu tun hat, das zeigt dieses Buch auf. (Alexander Kluy, ALBUM, 15.11.2020)