Diese Staffel wird speziell. Das signalisieren schon Warnhinweise, mit denen Netflix einige der neuen Folgen von The Crown versieht. Es wird auf verstörende Szenen im Zusammenhang mit Essstörungen hingewiesen und eine Adresse angeboten, an die man sich bei Problemen wenden kann. Mit dieser Aktion signalisiert die Plattform Verantwortung, gleichzeitig wird ein angenehmer Nebeneffekt erzielt, nämlich möglichst viele Menschen zu erinnern, dass am Sonntag neue Folgen abrufbar sind.

Olivia Coleman als Queen Elizabeth II.
Foto: Netflix

Dort ist also zu sehen, wie Emma Corrin als unglückliche Diana Spencer heimlich aus dem Kühlschrank Törtchen mampft und diese anschließend, über das WC gebeugt, wieder von sich gibt. Und weil es in den neuen Folgen um die 1980er-Jahre geht und um Ereignisse, an die ein Teil des Publikums Erinnerungen hat, ist mit größtmöglicher Aufmerksamkeit zu rechnen. Für ein Unternehmen, das seinen Erfolg damit bemisst, wie hoch das Pendel in sozialen Medien ausschlägt, ist das von unschätzbarem Wert.

Emma Corrin als traurige Prinzessin.
Foto: Netflix

Es wäre natürlich unfair, den seit rund einer Woche herumgereichten Warnhinweis ausschließlich als mäßig gut getarnten Marketinggag abzutun. Netflix hat aus Suizidvorwürfen nach 13 Reasons Why gelernt und will vorbeugen.

Serie und Kronjuwel

Zudem ist ein Fingerzeig auf dieses Kronjuwel unter den Serien durchaus nichts Unanständiges. Zumal Staffel vier seinem erprobten Konzept treu bleibt: Historische Ereignisse werden mit privaten Schicksalen im und um Buckingham Palace geschickt verwoben.

Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz

In der vierten Staffel sitzt somit die Queen – seit der dritten Staffel dargestellt von Oscarpreisträgerin Olivia Colman – fest im Sattel, nichts und niemand kann ihr Sosein stören. Auch nicht eine kleine Frau in den Fünfzigern, die beim Hofknicks tiefer in die Knie geht als alle anderen und dazu ergeben "Your Royal Highness" haucht. Gillian Anderson interpretiert die Figur der Margaret Thatcher überhöht bis zur Karikatur und demonstriert vor der Queen zum Amtsantritt als Premierministerin strenge Untertänigkeit. Anfangs sind sich die Frauen noch einig, etwa in ihrer Überzeugung, dass sich Frauen für Spitzenämter nicht eignen. Die Ironie solcher Aussagen entgeht beiden.

Gillian Anderson ist als Premierministerin Thatcher ein Highlight.
Foto: Netflix

In der Folge kühlt das Verhältnis ab. Diese Entwicklung beginnt nach dem Willen des Autors und besten Kenners royaler Geschichten Peter Morgan mit einer Einladung in die schottische Sommerresidenz der königlichen Familie, die auf köstliche Weise schiefläuft und in der getrennte Betten nur ein Detail am Rande sind. Draußen passieren Terroranschläge der IRA, Falklandkrieg, Arbeitslosigkeit, die Tragödie zwischen Charles und Diana und dazu eine Resignation im Land, die an gegenwärtige Stimmungslagen erinnert. Zu sehen sind Pomp und Prunk und satte Wiesen in den schottischen Highlands. The Crown kann beides – Kitsch und Geschichte erzählen, selbst wenn meistens Ersteres überwiegt.

Kokette Lady Diana

Öffentliche Szenen, die man ikonenhaft kennt, werden ausgeblendet, private Räume hingegen sorgfältig ausgeleuchtet. Etwa wie Diana, nach dem ersten Date mit Prinz Charles (Josh O’Connor) von Fotografen belagert, einerseits irritiert, aber andererseits doch auch ein wenig kokett und stolz wirkt. Das ändert sich freilich rasch.

Foto: Netflix

The Crown ist ein Relikt aus der Vergangenheit, als Serien noch als Markennamen für Sender taugten. Heute sind sie Sternschnuppen, die kurz für Aufmerksamkeit sorgen und in einer Woche vergessen sind. 500 Serien pro Jahr mit durchschnittlich acht Folgen zu je 45 Minuten ergeben 180.000 Minuten Bewegtbild, das ist verdammt viel Zeit. Bei The Crown sind sie gut investiert. (14.11.2020)

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