Der Archäologie-Krimi um die berühmte Himmelsscheibe von Nebra ist um eine Wendung reicher. Seit ihrer Entdeckung gilt sie mit einem Alter von zumindest 3.600 Jahren als die älteste Himmelsdarstellung der Welt und zählt zu den bedeutendsten archäologischen Funden Deutschlands. Doch um das tatsächliche Alter der Scheibe ist unter Experten jüngst ein Streit entbrannt: Im September hatten zwei deutsche Forscher nach neuen Analysen berichtet, dass die Darstellung deutlich jünger sei als zuvor angenommen – um ganze 1.000 Jahre. Demnach stamme die Himmelsscheibe nicht aus der Bronzezeit, sondern aus der Eisenzeit. Der Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt widersprach umgehend.

Die rund zwei Kilogramm schwere und im Durchmesser 32 Zentimeter große Himmelsscheibe zeigt Sonne, Mond und nach Annahmen von Archäologen vermutlich auch die Plejaden.
Foto: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie/J. Lipták.

Nun widerspricht auch eine Forschungsgruppe im Fachblatt "Archaeologia Austriaca" der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) nach neuerlichen Untersuchungen entschieden: Die Himmelsscheibe datiere eindeutig aus der Bronzezeit, die Kollegen hätten im September mit unvollständigen und teilweise falschen oder verfälschend wiedergegebenen Daten argumentiert.

Illegale Grabungen

Die Himmelsscheibe war im Sommer 1999 von zwei Raubgräbern auf dem Mittelberg bei Nebra in Deutschland entdeckt worden. Die rund zwei Kilogramm schwere und im Durchmesser 32 Zentimeter große Himmelsscheibe aus Bronze und Gold zeigt Sonne, Mond und nach Annahmen von Archäologen vermutlich auch die Plejaden. Sie befand sich in einem Ensemble mit anderen Artefakten aus der frühen Bronzezeit, das neben der berühmten Darstellung auch zwei Schwerter, zwei Beile, zwei Armspiralen und einen Meißel umfasste.

Die Himmelsscheibe mit den übrigen Funden.
Foto: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie/J. Lipták

Erst 2002 konnte dieser Schatz bei einem Hehler in Basel sichergestellt werden. Seither zähle der Fund zu den am besten untersuchten archäologischen Gegenständen Europas, wie die ÖAW mitteilte, deren Institut für Orientalische und Europäische Archäologie die Fachzeitschrift "Archaeologia Austriaca" herausgibt.

Hitzige Debatte

Im September kam dann neue Aufregung in den archäologischen Fall: Rupert Gebhard, der Direktor der Archäologischen Staatssammlung München und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität, sowie Rüdiger Krause, Professor für Vor- und Frühgeschichte Europas an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, hatten nach eigenen Angaben erneut Daten zur Rekonstruktion von Fundort und Begleitumständen analysiert. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Scheibe zwar echt, aber 1.000 Jahre jünger sei als bisher angenommen.

Rückseite der Himmelsscheibe von Nebra in unrestauriertem Zustand.
Foto: LKA Magdeburg

Es gebe keine überzeugenden Hinweise darauf, dass die angeblich zusammen mit der Scheibe gefundenen bronzezeitlichen Schwerter und Beile sowie der Armschmuck ein zusammengehöriges Ensemble bilden würden, argumentierten sie in einem Aufsatz. Zudem kritisierten sie Harald Meller, den Landesarchäologen von Sachsen-Anhalt, er habe bisherige Beweisdefizite mit einem "ausgeprägten rhetorischen Hintergrund" kompensiert. Dieser ortete wiederum unwissenschaftliche Beweggründe bei seinen Kollegen.

Zweifelhafte Zweifel

Eine 13-köpfige Forschungsgruppe um den am Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie in Mannheim tätigen Studien-Erstautor Pernicka weist dieses Ergebnis nun entschieden zurück. Demnach sei ohne Zweifel gesichert, dass es sich beim Mittelberg bei Nebra auch um den tatsächlichen Fundort handelt. Das dokumentierten auch aktenkundige Aussagen der Raubgräber und eines Hehlers.

Neben weiteren Anhaltspunkten fanden sich demnach im umliegenden Erdreich auch Gold- und Kupferkonzentrationen, die durch die lange Lagerung der Himmelsscheibe im dortigen Boden erklärt werden könnten. An den gehobenen Gegenständen gefundene Erdreste passten ebenfalls zum Fundort.

Das Kupfer, das bei der Herstellung der Himmelsscheibe und anderer Gegenstände verwendet wurde, stammt laut Analysen aus derselben Lagerstätte im heutigen Salzburger Land. Dort wurde das Metall nachweislich zwischen dem 18. und dem 9. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung produziert. Das verwendete Gold stamme aus dem Gebiet des Carnon River in Cornwall, hier sei der Abbau im 17. und 16. vorchristlichen Jahrhundert belegt.

Radiokarbondatierung stützt hohes Alter

Neben weiteren metallurgischen Befunden und Datierungen von organischen Resten an den Schwertern, die auf die Zeit um 1.600 v. u. Z. hinweisen, spreche auch die Herstellungs- und Verzierungstechnik der Scheibe gegen ein eisenzeitliches Alter. Die Darstellung eines Schiffes auf dem Artefakt sei jedenfalls Bronzezeit-typisch.

Kein Zweifel besteht für die Forschergruppe auch daran, dass die Scheibe mehrmals umgestaltet und lange verwendet wurde. Man könne aber detailliert zeigen, dass sie am Ende der frühen Bronzezeit vergraben wurde und daher zum Beginn der Eisenzeit schon lange im Boden lag.

Ob damit das letzte Wort im Streit um die Himmelsscheibe von Nebra gesprochen ist, wird sich erst zeigen. Zum Unesco-Weltdokumentenerbe zählt die berühmte Himmelsdarstellung jedenfalls schon längst, 2013 wurde ihr dieser Status zuerkannt. (red, APA, 13.11.2020)