Karl Wagner, Vorstand der Gesellschaft für Prozessmanagement: heuer digital am Kongress mit hunderten Prozessmanagern. Allerdings geht es jetzt zuerst um Menschen, dann erst um Prozesse.

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Das alljährliche Gipfeltreffen der heimischen Prozessmanager – es füllte in den Vorjahren jeweils das Kongresszentrum Schönbrunn – findet heuer so wie auch die anderen Branchenkongresse im digitalen Raum statt. Allerdings haben sich auch die Inhalte der Fachleute verändert, sagt Karl Wagner, Vorstand der Gesellschaft für Prozessmanagement. Er spricht von einem "Bruch in den vergangenen sechs Monaten".

Stand in den Vorjahren der technische Kontext, die jeweils beste Software und Infrastruktur im Vordergrund und wurde die tatsächliche Zusammenarbeit auf Basis solcherart definierter Prozesse in die Technologie abgeschoben, so habe sich dieses Verständnis nun umgedreht, sagt Wagner. "Was wollen wir als Menschen von den Menschen?", laute nun die Frage. Die Erkenntnis der vergangenen Pandemiemonate sei: " A fool with a tool is still a fool."

Wagner sieht im Bereich der Prozesse das Bestreben, wieder und wieder an Werkzeugen "herumzuoptimieren" und so die Verletzlichkeit und Fehleranfälligkeit der Menschen zu reduzieren oder auszumerzen, an einen Drehpunkt gekommen. Sehr vielen Unternehmen "dämmere", dass sie so unter den neuen Arbeitsbedingungen nicht mehr weiterkommen.

Auf Warum und Wie schauen

Allerdings sei dieser Trend auch noch geprägt von "einigen, die sich weiter in die Technik verkopfen". Was er selbst davon hält, macht er unmissverständlich – auch via Kongressprogramm – deutlich: "Jetzt ist der Zeitpunkt da, um sich von der Weitergabe des Alten zu befreien, auf das Warum des Unternehmens und auf das Wie des Miteinander zu schauen." Seiner Beobachtung nach seien derzeit auch jene Firmen erfolgreich unterwegs mit ihren Belegschaften, die den Schwerpunkt der Organisationsentwicklung eben darauf konzentriert haben.

Karl Wagner ist selbst Techniker mit naturwissenschaftlichem Hintergrund und freut sich, dass "jetzt die Arbeitsgestaltung als Hauptthema in den Vordergrund tritt" und dafür in sehr vielen Organisationen "soziokratische Lösungen" gesucht würden. Das heißt, die Menschen selbst dürfen und sollen sagen, wie sie arbeiten können und wollen.

Ob ein solcher Paradigmenwechsel die alte Prozessgläubigkeit, die Menschen untergeordnet hat als Produktionseinheiten, nun völlig gedreht habe? "Es hat sich eine Art Sud abgesetzt von alt organisiert Denkenden. Aber der Meeresboden ist ja bekanntlich voll von unsinkbaren Schiffen", formuliert er seine Zukunftssicht des Unabwendbaren, nämlich der Adaption.

Wie definiert er dann also jetzt einen Prozess? Wagner: "Ein Prozess ist die Wissensbasis und die Basis für die Spielregeln. Dann lässt sich auch der Sinn im Unternehmen und in der jeweiligen Arbeit finden." Jetzt werde daran gearbeitet, die Technik, die Prozesse, in jene Funktionalität zu bringen, die sie haben soll für Menschen. Wagner beobachtet eine Art "Entzaubern des technischen Mirakels, zumindest in Europa". Dass die Workshops und Seminare mit Inhalt Persönlichkeitsentwicklung gerade jetzt bei den Prozessmanagern an ihrem virtuellen Kongress boomen, wundert dann also nicht mehr. (Karin Bauer, 18.11.2020)