Die Übergabe des Festspielhauses St. Pölten von Brigitte Fürle an Bettina Masuch (im Bild) erfolgt 2022.

Foto: Festspielhaus/Schulte

Da musste auch eine ausgesprochen erfahrene Kulturmanagerin wie Bettina Masuch erst einmal durchatmen. Gerade bereitete die frisch gekürte neue Festspielhaus-Intendantin in St. Pölten ihre Vorstellungspressekonferenz vor, da erwischte sie kalt die Nachricht vom bevorstehenden Lockdown in Düsseldorf, wo sie noch bis Saisonende 2021/22 das Tanzhaus NRW leitet. Jetzt befinden sich beide Häuser im künstlichen Corona-Tiefschlaf.

Leicht zu erschüttern ist die heute 56-Jährige nicht. Auch wenn "ihr" Haus nicht im hektischen Berlin steht: Wo Tanz gemacht wird, kann es hoch hergehen.

So musste Masuch erst im vergangenen Jahr durch die Stürme eines internen Konflikts steuern, dessen Echos bis in die internationale Presse durchdrangen. Bettina Masuch wollte Reformen, die nicht allen am Haus behagten. Bereits zuvor hatte sie den Ruf genossen, in Fragen künstlerischer Qualität wenig kompromissbereit zu sein.

Streit in Düsseldorf

Anfang Februar dieses Jahres konnte der zähe Streit endlich beigelegt werden. Doch Masuch hat Konsequenzen gezogen, sich beim Festspielhaus St. Pölten beworben und gegen 47 weitere Interessenten am Intendanten-Job durchgesetzt. Damit weiß ihr künftiger Arbeitgeber, wie die Kuratorin aus Leidenschaft tickt: freundlich im Ton, konstruktiv, aber bestimmt im Durchführen ihrer Pläne und auch bereit, dafür etwas zu riskieren.

Gegen die Folgen der Pandemie kann auch sie zurzeit nicht viel tun. "Das stellt die Routinen, mit denen man im Kulturbetrieb arbeitet, extrem infrage", sagt Masuch mit belegter Stimme.

Diese "Routinen" – also die Organisationsabläufe für Aufführungsorte – hat sie sich von der Pike auf zugelegt. Nach ihrem Theaterwissenschaftsstudium verdiente sie sich erst ihre Sporen als Theater-Dramaturgin, bis hin zur Berliner Volksbühne bei Arbeiten von René Pollesch, Christoph Schlingensief und Frank Castorf.

Keine Sozialarbeit

Nach der Jahrtausendwende ging es ans Zürcher Schauspielhaus unter Christoph Marthaler, wo sie als Dramaturgin für die damalige Choreografin in Residence, Meg Stuart, arbeitete. Kein einfacher Job. Masuch musste sich erst einmal darüber klarwerden, was Dramaturgie im Tanz überhaupt sein konnte.

Aber es hat funktioniert, und Stuart, diese Überfliegerin im Tanz der Nineties, hat Masuch, wie sie heute sagt, "eine andere Welt geöffnet". Eine frühere Schlüsselfigur war Pina Bausch, die in den 1970er-Jahren mit ihrem Frühwerk für Entrüstung beim soignierten Tanzpublikum sorgte. Sie hat der jugendlichen Ballettschülern damals ein anhaltendes Interesse für "Kunst, die sich einmischt, eingepflanzt".

Als Schlüsselbegriffe für ihre Arbeit am Festspielhaus St. Pölten nennt Bettina Masuch "Empathie" und "Fürsorge". Nachfrage: Bekommt die Kunst jetzt einen sozialtherapeutischen Stempel aufgesetzt? "Ich finde die Schnittstelle zwischen Ethik und Ästhetik hoch spannend und glaube, dass Kunst heute in erster Linie inklusiv sein soll", wehrt Bettina Masuch freundlich, aber bestimmt ab.

Natürlich seien Künstler nicht für Sozialarbeit verantwortlich, "aber zentral ist die Frage, wen sie mit ihren Arbeiten ein- oder ausschließt oder für wen diese überhaupt gemacht werden". Darüber ließe sich schon einmal herrlich streiten.

Die Fähigkeit, eine große Institution für Musik, Musiktheater und Tanz wie das Festspielhaus St. Pölten zu leiten, bringt Bettina Masuch mit. Unter ihrer Ägide wird dieses wohl deutlicher als bisher in die Nähe eines choreografischen Zentrums rücken. Erfahrungen mit Musik – und mit Österreich – wird sie noch machen müssen, aber sie hat ja schon einmal den wesentlich schwierigeren Sprung vom Theater zum Tanz geschafft.

Beim Tanz geblieben

Es waren die revolutionären Stücke der neuen Choreografie zu Anfang des Jahrtausends, die "mich dazu verleitet haben, von der Volksbühne wegzugehen und am HAU die Tanzsparte zu übernehmen". Warum? Weil in dieser Zeit Themen und Ästhetiken im Tanz formuliert wurden, "die ich aufregender fand als das, was damals im Theater passierte". Masuch ist beim Tanz geblieben. Vor ihrer Intendanz am Tanzhaus NRW leitete sie mehrere Jahre lang das renommierte Springdance-Festival in Utrecht. Seitdem "hat sich unheimlich viel getan", resümiert Masuch: "Gerade befindet sich wieder eine ganze Bandbreite an herausragenden Choreografen am Start."

Als Beispiele dafür nennt sie die Österreicherinnen Florentina Holzinger und Doris Uhlich sowie die israelische Choreografin Yasmeen Godder, die sich mit Empathie auseinandersetzt, und die körperbehinderte Schottin Claire Cunningham. (Helmut Ploebst, 15.11.2020)