Wer ist für den Schaden verantwortlich, den Öllecks, wie jenes vor wenigen Monaten in Mauritius, regelmäßig an Natur und Mensch verursachen?

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Von oben sieht die Katastrophe wie ein abstraktes Gemälde aus: Ein Meer, das türkisblau schimmert, bunte Korallenriffe und darüber ein schwarzer Ölfilm – so, als sei dem Maler während der Arbeit die Tinte ausgeronnen. Die Luftaufnahmen zeigen die Küste von Mauritius, einer kleinen Insel im Indischen Ozean, vor rund drei Monaten. Ein japanischer Frachter krachte gegen das Riff, brach wenig später auseinander und entließ in den darauffolgenden Wochen tausend Tonnen Öl nahe einem Naturreservat ins Meer. Das Schiffsunglück war nicht das erste – immerhin liegt Mauritius quasi direkt an der Autobahn des internationalen Schiffsverkehrs –, geht aber wohl als eine der schlimmsten Umweltkatastrophen in die Geschichte des Staates ein.

Anstatt auf das nächste Unglück zu warten, fordern immer mehr Bewohner der Insel nun ihren eigenen Staat dazu auf, stärker gegen Umweltzerstörung vorzugehen und dafür zu kämpfen, diese auch nach internationalem Recht zu bestrafen. Für die Bewohner steht viel auf dem Spiel, denn neben den Schiffsunglücken ist die Insel auch dem steigenden Meeresspiegel und häufigeren Unwettern aufgrund des Klimawandels ausgesetzt. Indem Umweltzerstörung zu einem internationalen Verbrechen wird, sollen große Konzerne und Staaten zur Rechenschaft gezogen werden, so die Forderung.

Vor Strafgerichtshof

Die Forderung ist Teil einer internationalen Bewegung aus Aktivisten, Wissenschaftlern, Anwälten und Politikern, die mit der Kampagne Stop Ecocide Umweltzerstörung zu einem Straftatbestand des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag machen wollen. Der Strafgerichtshof kann derzeit vier Verbrechen, darunter Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression, strafrechtlich verfolgen. Umweltzerstörung kann lediglich innerhalb von Kriegsverbrechen verfolgt werden.

Stattdessen legen Staaten selbst fest, welche Umweltschäden auf eigenem Boden wie und wann zu verhindern und zu bestrafen sind. Die Zerstörung der Natur, worunter auch der Klimawandel fällt, habe jedoch weltweite Auswirkungen und könne deswegen laut Kampagne nur mithilfe internationalen Rechts gestoppt werden.

Beispiele für gezielte Umweltzerstörung gibt es für die Aktivisten einige: ob der Ölsand-Abbau in der kanadischen Provinz Alberta, die Abholzung des Regenwaldes, Öllecks, die Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll, der Rohstoffabbau am Meeresboden oder CO2-Emissionen aus Industrieanlagen. Gleichzeitig werde die Wissenschaft immer besser darin, bestimmte Umweltschäden oder Unwetterereignisse bestimmten Handlungen von Staaten, Unternehmen oder einzelnen Personen zuzurechnen.

Geldstrafen nicht genug

Für größere Umweltschäden müssen Unternehmen schon jetzt teils hohe Strafen zahlen. Bekanntes Beispiel ist die Explosion der Ölbohrplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko 2010, die zu einer der schwersten Umweltkatastrophen der Ölgeschichte führte. BP einigte sich mit der US-Regierung auf Schadenersatzzahlungen von 18,7 Milliarden Dollar. Allerdings seien Geldstrafen allein nicht genug, um Verantwortung zu übernehmen, kritisieren die Aktivisten. Vielfach würden Unternehmen die Strafen schon in das Geschäft einkalkulieren.

Wird Umweltzerstörung auch vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgt, könnten die Verursacher auch zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Laut der Kampagne würden darunter nur "umfangreiche Umweltschäden und Umweltzerstörung" fallen, die "die friedliche Wohlfahrt der Einwohner stark beeinträchtigt". Sobald ein Umweltschaden vorliegt, soll die Beweislast bei den Unternehmen liegen, zu zeigen, dass sie den Schaden nicht verursacht haben, anstatt, wie sonst Grundsatz, die Beweislast beim Kläger zu belassen.

Immer mehr Unterstützer

Während die Vorschläge innerhalb der Umweltbewegung anfangs noch als zu extrem abgetan wurden, bekommt die Bewegung nun immer mehr Auftrieb. Schon 2019 schlug Vanuatu, ein kleiner Inselstaat im Südpazifik, dem internationalen Strafgerichtshof vor, Umweltzerstörung als eigenes Verbrechen einzustufen.

In Frankreich ließ Präsident Emmanuel Macron in diesem Jahr eine Bürgerversammlung einberufen, die 150 zufällig ausgewählten französischen Bürgern die Möglichkeit gab, Strategien im Kampf gegen die Klimakrise vorzuschlagen. An vorderster Stelle stand, Umweltzerstörung zu einem Verbrechen zu machen. Zusammen mit Rechtsexperten soll nun diskutiert werden, wie Umweltzerstörung Teil des französischen Rechts werden kann. Zudem kündigte Macron an, Umweltzerstörung als Verbrechen auch in internationalem Recht verankern zu wollen.

In Belgien schlugen die beiden grünen Parteien vor, das Problem der Umweltzerstörung sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Rechtsebene anzugehen. Und auch Papst Franziskus forderte vergangenen November, dass Umweltzerstörung als "eines der schwerwiegendsten Verbrechen" gesehen und als fünfte Kategorie der Verbrechen gegen den Frieden anerkannt werden soll.

Papst Franziskus bezeichnete Umweltzerstörung vergangenes Jahr als Sünde.
Foto: EPA/VATICAN MEDIA HANDOUT

Große Hürden

Allerdings stehen dem Projekt einige Hürden im Weg. Innerhalb des internationalen Strafrechts können derzeit nur natürliche Personen (also Menschen) und keine Unternehmen oder andere juristische Personen verfolgt werden. Zudem müsste laut Rechtsexperten innerhalb des Verfahrens eine konkrete Absicht des Beschuldigten zur Zerstörung der Umwelt nachgewiesen werden. Welche Person soll für die Handlung zur Verantwortung gezogen werden, die Geschäftsführer eines Unternehmens oder auch ehemalige Staatspräsidenten und Regierungschefs, und wie kann im Einzelfall eine Absicht nachgewiesen werden?

Nicht zuletzt müsste sich die Mehrzahl der Staaten erst auf den Antrag einigen. Innerhalb des Internationalen Strafgerichtshofs bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit, was sich auf 82 Staaten belaufen würde. Da nach wie vor eine Vielzahl der Staaten in ihrem Wachstum von jenen wirtschaftlichen Aktivitäten abhängig ist, die ein Verbrechen der Umweltzerstörung darstellen könnten, wäre der politische Widerstand gegen einen solchen Antrag laut Experten groß. Die Aktivisten rechnen damit, dass es noch viele Jahre dauern könnte, bis es zu einer solchen Änderung im internationalen Strafrecht kommt.

Langfristige Schäden

Den Bewohnern von Mauritius wird das alles vorerst wohl wenig helfen. Umweltexperten befürchten, dass nicht nur das Ölleck an sich, sondern auch die derzeit laufenden "Reinigungsarbeiten" Korallen, Fische und andere Lebewesen bedeutend schädigen könnten. Die chemischen Substanzen, die dabei helfen sollen, das Öl zu zersetzen, können laut Umweltschützern zu langfristigen gesundheitlichen und ökologischen Schäden führen.

Im September forderten zehntausende Mauritier den Rücktritt ihrer Regierung.
Foto: AFP/FABIEN DUBESSAY

Auch deshalb richtet sich die Kritik der Bevölkerung nicht nur gegen das japanische Unternehmen hinter dem Frachter, sondern auch gegen die eigene Regierung, der Korruption und Vetternwirtschaft zulasten der lokalen Bevölkerung und Umwelt vorgeworfen werden. Die Suche nach Schuldigen für die Zerstörung der Umwelt scheint selbst auf einer kleinen Insel wie Mauritius eine schwierige. (Jakob Pallinger, 17.11.2020)