
Klaus Albrecht Schröder bei der Eröffnung der Albertina modern.
Die Albertina finanzierte sich zu einem bedeutenden Teil durch ihre vielen Besucher. Doch die Museen sind zu, die Besucher werden nicht so schnell wiederkommen.
STANDARD: Sie locken die Besucher regelmäßig mit Blockbuster-Ausstellungen. Werden solche Ausstellungen in Zukunft noch möglich sein?
Schröder: Ich mag den Begriff Blockbuster nicht. Er kommt aus der Kriegswirtschaft. Wir zeigen Ausstellungen von Bahnbrechern der Kunstgeschichte. Bei diesen Ausstellungen wollen wir keine Einsparungen vornehmen. Aber eines ist klar, wir können solche Ausstellungen nur machen, wenn wir die Leihgaben erhalten: Das ist derzeit nicht gewährleistet. Wir mussten deshalb die Ausstellung Edward Munch und die Folgen um ein Jahr verschieben.
STANDARD: Sie haben nicht nur Schwierigkeiten mit Leihgaben. Große Ausstellungen refinanzieren sich selbst durch die Besucher, die sie anlocken.
Schröder: Die Kosten für Ausstellungen dieser Dimension sind in einer Weise gestiegen, dass sie zwischen 200.000 und 400.000 Besucher brauchen, um finanziert werden zu können. Diese Besucherzahlen sind Corona-bedingt nicht zu erreichen. In dieser Überbrückungszeit muss der Eigentümer der Albertina helfen wie anderen Museen, die nicht den hohen Eigenfinanzierungsgrad von 60 bis 70 Prozent hatten.
STANDARD: Der Eigentümer hat vor zwei Tagen eine neue Spritze von 3,4 Millionen zugesichert.
Schröder: Wir verzeichnen heuer zwölf Millionen Mindereinnahmen, müssen aber monatlich fast zwei Millionen für Fixkosten überweisen.
STANDARD: Die Frage ist, wie lange Geld zugeschossen werden wird, wenn die Allianz zwischen Tourismus und Kultur nicht mehr funktioniert.
Schröder: Der Tourismus ist ein Pfeiler einer Globalisierung, der nicht wegbrechen darf. Müssen wir nachhaltiger denken? Ja. Aber wir werden auf Mobilität nicht verzichten können.
STANDARD: Wie ist Ihre Prognose?
Schröder: 2021 wird für viele wesentlich schwieriger werden als 2020, selbst wenn ein wirksamer Impfstoff angemessen verteilt wird. Ich rechne erst 2022 mit einer Erholung und ab 2023 mit Möglichkeiten, wie wir sie vor der Corona-Krise hatten. Insgesamt wird die Zahl der Touristen aber abnehmen, das Phänomen des Overtourism wird an ein Ende kommen.
STANDARD: Was wird sich in der Kunst ändern?
Schröder: Wenn wir in einem längeren Zeitraum denken, dann wird sich nicht viel ändern. Die Corona-Pandemie ist in der Geschichte ein Wimpernschlag. Gesellschaftlich ändert sich bereits seit zwei Jahrzehnten vieles dramatisch, mit gewaltigen Auswirkungen auf Kunst, Sammler, Kunsthandel und Museen.
STANDARD: Viele sagen, wir müssen lokaler denken. Wie könnte das in Ihrem Fall aussehen?
Schröder: Das halte ich für naiv. Die internationale Arbeitsteilung kann nicht von heute auf morgen revidiert werden. Das Publikum ist außerdem heute anspruchsvoller als je zuvor. Ich erwarte, dass die globale Mobilität aufrechtbleibt. Aber ja: Zumindest für die nächsten zwei Jahre werden wir eine lokalere Perspektive einnehmen und vorrangig auf unsere eigenen Sammlungen zurückgreifen. Wir mussten insgesamt zwölf Ausstellungen absagen bzw. verschieben. Der Vizekanzler und die Staatssekretärin haben mich gebeten, wenn möglich auch im kommenden Jahr zwei große Ausstellungen anzubieten. Davon ist jetzt eine umgefallen. Wir hoffen, die große Modigliani-Ausstellung im Herbst 2021 durchführen zu können.
STANDARD: Sie sind in den vergangenen Monaten als vehementer Maskenverfechter hervorgetreten.
Schröder: Ich werfe allen Regierungen vor, dass sie die Maskenpflicht in Innenräumen nicht viel früher vorgeschrieben haben. So konnten im Herbst tausende Veranstaltungen, von Kabarett bis Oper, in Innenräumen stattfinden, die nicht annähernd so gut belüftet werden wie moderne Museen. Die Kultur hätte jetzt nicht komplett geschlossen werden müssen. Man hätte nach der Qualität der Räume differenzieren müssen.
STANDARD: Im ersten Entwurf waren die Museen noch von der Schließung ausgenommen. Es gibt viele Gerüchte, warum sie doch geschlossen wurden.
Schröder: Ich glaube nicht an die Verschwörungstheorie, die besagt, dass Museen geschlossen werden mussten, weil Theater dichtgemacht wurden. Selbst wenn es Zurufe gegeben haben mag, exkulpieren diese nicht die Instanz des Gesundheitsministeriums, die die Schließung der Museen entschieden hat.
STANDARD: Die Theater schließen und die Museen offenhalten: Das war Ihre Forderung im Sommer.
Schröder: Ich habe eine Abwägungsfrage gestellt: Wie viele Einschränkungen sind wir bereit für unsere Gesundheit in Kauf zu nehmen, und können wir unter Umständen befristet auch ohne Theater leben? Man weiß, dass ich ein regelmäßiger Theaterbesucher bin. Ich akzeptiere die derzeitigen Bestimmungen, aber ich kritisiere sie, weil ich sie für eine Fehlentscheidung halte.
STANDARD: Ihre nächste Eröffnung wäre am 4. 12. die "Essl Collection". Wird sie stattfinden?
Schröder: Ich plane den Aufbau so, dass wir eröffnen können. Rechne ich damit? Nein.
(Stephan Hilpold, 13.11.2020)