Der Christbaum auf dem Wiener Rathausplatz kommt aus Oberösterreich.

Foto: matthias cremer

Es gibt Leute, die sagen: Der Baum, der dieses Jahr in der Adventszeit vor dem Wiener Rathaus steht, sei das perfekte Symbol für das Jahr 2020. Weil er nämlich ziemlich hässlich sei. Das ist erschreckend oberflächlich und zu kurz gedacht. Denn tatsächlich ist die Fichte auf dem Rathausplatz das perfekte Zeichen für Optimismus in schwierigen Zeiten.

Natürlich ist der 33 Meter hohe Nadelbaum kein Beispiel für das, was man konventionellerweise "schön" nennt. Das rund 200 Jahre alte Stück wurde allerdings auch von weit her herangekarrt: Es stand bisher in der Gemeinde Klaffer im Mühlviertel, Oberösterreich. Ein Jahr lang hat man dort nach dem perfekten Baum als Geschenk gesucht, das man in die Hauptstadt schicken kann. So ein langer Transport nach einem noch viel längeren Leben hinterlässt schon seine Spuren: Einige Äste in der ohnehin nicht sehr dichten oder regelmäßig bewachsenen Baumkrone sind abgebrochen.

Repariert und illuminiert

Aber dafür gibt es Abhilfe: Die Beauty-Docs von der Stadtgärtnerei bohren eigens rund 150 mitbeschaffte Äste an den Stamm, damit der Baum etwas gleichschaut. Der Wiener Christbaum lässt hier ebenso schamlos tricksen wie Instagram-Models mit gesichtsschmeichelnden Filtern.

Später wird die Fichte noch mit mehr als 2000 Leuchten illuminiert. Unter normalen Umständen würde sie dann die Besucher des Christkindlmarktes am Rathausplatz erfreuen; ob das heuer noch stattfinden wird können, ist unklar. So wie vieles andere auch.

Jedes Jahr Gesudere

Aber da zeigt sich auch schon, warum uns der große Baum an der Ringstraße Hoffnung schenken soll. In einem Jahr, das so viel Unglück und Unsicherheit gebracht hat, ist der Wiener Christbaum eine wohltuende Konstante. Er steht nämlich dort, wo jedes Jahr ein Baum steht – Christkindlmarkt hin oder her. Und wie jedes Jahr beschweren sich die Wiener darüber, wie unansehnlich seine Statur, sein Geäst und sein Nadelkleid nicht seien. Wie jedes Jahr wird das kompensiert mit Extra-Ästen und Beleuchtung. Nur das Schönsaufen des Baumes direkt vor Ort könnte 2020 ausfallen. Aber das lässt sich ja auch von zu Hause aus erledigen.

An wenigen Orten wird die Bedeutung des Raunzens so ernst genommen wie in Wien. Darauf kann man sich auch jetzt verlassen. Mit Weihnachten kommt eine an Traditionen reiche Zeit auf uns zu. Dieses Jahr ist vieles ungewiss. Aber das rituelle Sudern über den schiachen Rathausplatz-Christbaum haben wir schon gesichert. (Sebastian Fellner, 14.11.2020)