Ein Gedankenspiel: Sie haben auf der einen Seite einen 16-Jährigen, der im Internet IS-Videos von Gräueltaten dieser Terrororganisation verbreitet – und auf der anderen Seite einen Totschläger, der im Streit jemanden getötet hat. Wer ist gefährlicher für die Allgemeinheit? Aus Sicht der Regierung ganz offensichtlich der radikale Teenager.

Werden die Ideen, die von Bundeskanzler und Innenminister vorgeschlagen werden, umgesetzt, wären sie ein Dammbruch.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Wobei: Die angedachten Maßnahmen, Täterinnen und Täter, die ihre Haftstrafe verbüßt haben, entweder weiter "anzuhalten", also einzusperren, oder zumindest nach der Entlassung aus dem Gefängnis mit Auflagen versehen digital zu überwachen, gelten offenbar nur für Terror im Namen des Islam.

Selbstverständlich, der tödliche Anschlag vom 2. November ist der furchtbare Anlassfall für die Politik, darüber nachzudenken, wie man Derartiges künftig verhindern kann. Aber würden die Ideen, die von Bundeskanzler und Innenminister im Zusammenhang mit "Gefährdern" derzeit ventiliert werden, umgesetzt, wären sie ein Dammbruch. Denn: Was bei Islamisten funktioniert, könnte man aus Sicht der Law-and-Order-Fraktion peu à peu auf andere Gruppen ausdehnen – bis jeder Straftäter auf unbestimmte Zeit weggesperrt bleibt.

Fakt ist aber, dass die existierenden Gesetze schon im Vorfeld eines Anschlags vieles zulassen – wenn die Polizei sie anwenden würde, anstatt Hinweise auf Gefahren zu ignorieren oder ihnen zumindest nur gemächlich nachzugehen. (Michael Möseneder, 13.11.2020)