Im Gastkommentar befürchtet Soziologe Markus Tumeltshammer letztlich sogar einen Einfluss auf den Zugang zu Universitäten.

Türkis pocht auf mehr Leistung an den Universitäten. Etwa eine jährliche Mindeststudienleistung von Studierenden.
Foto: Christian Fischer

Die von der Bundesregierung anvisierte Studienrechtsnovelle sieht eine stärkere Kontrolle und Sanktionierung der Prüfungsaktivitäten von Studierenden vor. Das wird vor allem denjenigen Studierenden das Leben erschweren, die bereits jetzt sozioökonomisch im Nachteil sind. Laut Studierendensozialerhebung 2019 des IHS sind etwa zwei Drittel der Studierenden erwerbstätig, und etwa die Hälfte dieser Gruppe hat Schwierigkeiten, Studium und Erwerbstätigkeit zu vereinbaren. Studierende, deren Eltern niedrige Bildungsabschlüsse aufweisen, sind häufiger und in höherem Ausmaß erwerbstätig als solche, deren Eltern studiert haben. Die Reform fällt in eine Zeit, in der überall mit der Bewältigung des Pandemiealltags gekämpft wird. Das bedeutet, dass eher keine Hörsäle oder Parteizentralen besetzt werden und das Potenzial für organisierten Widerstand gegen diese Verschlechterungen wohl eher gering ist. Praktikable Umstände also, um eine tiefgreifende Veränderung des Studienrechts durchzubringen.

Neue Mindestanforderung

Die neuen Mindestanforderungen dafür, Studentin oder Student bleiben zu können, dürften sich auf weite Teile des universitären Alltags auswirken. Der "Basisindikator 1" der Budgetsäule Lehre der Universitätsfinanzierungsverordnung soll nun 1:1 auf die Studierenden umgelegt werden. Sie müssen im Studienjahr mindestens 16 ECTS-Punkte in einem Studium sammeln. Wer den eigenen Studienplatz auf diese Weise nicht erhält, fliegt raus. So wird der Legitimations- und Wettbewerbsdruck, der die Vergabe von Budgetmitteln an prüfungsaktive Studierende knüpft, direkt an die Studierenden selbst weitergegeben.

Es gibt aber noch andere bedenkenswerte Effekte. Bei den Lehrenden, Studienprogrammleitungen, Curriculargremien, Controlling und Rektoraten wird das Interesse verstärkt, möglichst genaue Belege für die Prüfungsaktivitäten gemäß dem anvisierten Schema vorlegen zu können. Das heißt, dass die mit der angestrebten Novelle geschaffenen "Normstudierenden" in die universitäre Planung und Organisation integriert werden müssen. Menschen, die quer durch verschiedene Studienpläne inskribieren und zu wenige Prüfungen in verschiedenen Studien ablegen, sind aus dieser Perspektive unbrauchbar, weil nicht in Budgetanteile transferierbar.

Enger Spielraum

Auch universitätsintern sind Zielvereinbarungen längst der formalisierte Modus der Ausverhandlung von Ressourcen. Viele Leute – mit durchaus sehr unterschiedlichen Interessenlagen – haben Bedarf an einer bestimmten Qualität von Daten über Studierende und deren Prüfungsaktivitäten. Dieser wird politisch ausverhandelt, über Indikatoren hergestellt und unter dem Versprechen höherer Transparenz und besserer Planbarkeit in Budgetvergabeprozessen formalisiert. Der Bedarf an diesen Daten formt die Spielräume der Handelnden. Er beeinflusst, wie über Lehre gesprochen und nachgedacht wird, wie sie organisiert wird und wie sich die genannten Handelnden strategisch in Position bringen (müssen), um ein entsprechendes Stück vom Kuchen abzubekommen.

An jeder Uni gibt es in Regeln gegossene Vorstellungen darüber, was Studierende und Lehrende zu tun und zu lassen, und wie sie sich zueinander zu verhalten haben. Sie sind nicht unabhängig von der Position der jeweiligen Universität in und zu diesem indikatorenbasierten "Spiel". Ob man als Lehrender regelmäßig dazu aufgefordert wird, Studierende, die zu wenig Aktivität oder Präsenz zeigen, abzumelden oder streng zu benoten, oder ob es ermöglicht wird, auf Berufstätigkeiten und Betreuungspflichten von Studierenden Rücksicht zu nehmen, kommt darauf an, an welcher Universität und in welcher Studienrichtung man lehrt. Es ist zu befürchten, dass die Spielräume an den Universitäten in der Ausgestaltung dieser Studierenden-Lehrenden-Beziehung durch die anstehende Novelle eingeschränkt werden.

Zunehmende Verschulung

Für Studierende hat das Inskribieren und Manövrieren durch verschiedene Studienpläne bisher auch Auswege geboten, einschränkenden Modulen und Pfaden zunehmend verschulter Curricula zu entkommen, um Lehrangebote wahrzunehmen, die mit ihrer alltäglichen Lebensführung besser vereinbar sind oder ihren Interessen besser entsprechen. Auch dies würde nun weiter eingeschränkt.

Man kann das auch als Erweiterung des von Minister Heinz Faßmann 2018 konstatierten "Zugangsmanagements" sehen, das nur diejenigen, die "wollen und die gleichzeitig dazu befähigt sind", an die Universität lassen soll. Wer sich nicht vorstellen kann, dass durch die Einführung einer Mindestleistung für Studierende Probleme entstehen, die nichts mit ihrem Wollen und ihrer Befähigung zu wissenschaftlichem Denken und Arbeiten zu tun haben, aber zu ihrem Ausschluss von der Universität führen können, ist entweder weltfremd oder nimmt das wohlwollend in Kauf.

Homogenere Universitäten

Die habituelle Sehnsucht nach sozialer Schließung des Universitätssektors ist nicht erst in der türkisen ÖVP entstanden, und der klassistische Wunsch, die Universitäten wieder stärker zu einem homogeneren sozialen Raum zu machen, ist durchaus auch bei Menschen zu finden, die sich selbst politisch anders verorten. Wer diese soziale Schließung nicht will, muss sich ihr im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten entgegenstellen. Universitätsangehörige, die die geplanten Verschlechterungen nicht hinnehmen wollen, werden sich sehr genau überlegen müssen, wie Solidarität mit Studierenden aussehen kann, die durch die diskutierte Novelle vom Ausschluss bedroht wären. (Markus Tumeltshammer, 15.11.2020)