Anders als im Frühjahr ist klar, dass die Corona-Krise nicht so rasch enden wird. Große Verwerfungen betreffen den Jobmarkt: Eine Studie von Ökonomen rund um Nick Bloom von der Stanford University kam für die USA zum Ergebnis, dass 30 Prozent der Jobs, die jetzt verloren gehen, langfristig nicht wiederkommen werden.

STANDARD: Erwarten Sie auch für Österreich, dass jeder dritte verlorene Job nicht wiederkommt?

Kopf: Geschäftsreisen sind ein gutes Beispiel dafür, um zu verstehen, welcher Wandel am Arbeitsmarkt stattfindet. Wir werden nach der Pandemie weniger Geschäftsreisen machen als davor. Nicht weil wir uns vor dem Virus fürchten, sondern weil wir gelernt haben, mit den Video-Tools zurechtzukommen. Viele Unternehmen erleben, dass internationale Online-Meetings zeiteffizient und mit weniger Kosten verbunden sind. Man wird sich daran gewöhnen. In der Luftfahrtbranche werden also viele Jobs dauerhaft verloren gehen. Gleichzeitig wird Beschäftigung im IT-Sektor wachsen, bei der Daten-Infrastruktur. Es entstehen also parallel neue Jobs.

STANDARD: Hinzu kommt die Verlagerung zum Onlinehandel. Restaurants in Geschäftsvierteln dürften auch vor schweren Zeiten stehen.

Kopf: Der Markt wird sich verändern. Auch Bildung in Form von Fernlehre wird wichtiger werden. Viele Prozesse, die es schon vorher gab, haben sich beschleunigt. Alleine die technologische Ausstattung vieler Mitarbeiter ist besser geworden. Dieser Schub wird nicht zurückgedreht werden können.

STANDARD: Ist es angesichts dieser Veränderungen nicht Zeit zu fragen, ob die Staatshilfen in Österreich richtig sind? Der Staat versucht bestehende Jobs und Betriebe zu retten, das Wirtschaftssystem zu konservieren.

Kopf: Wie lange finanzieren wir Kurzarbeit bei Fluglinien – wissend, dass deren Geschäft nicht mehr zurückkommt oder vielleicht erst in vielen Jahren? Das ist eine berechtigte Frage. Dringend notwendige Strukturanpassungen verhindert man durch die Rettung von Betrieben und die Aufrechterhaltung des Status quo. Das ist ein Problem, das täglich größer wird, je länger die Rettung dauert. Konservierung wird das Wachstum später hemmen. Nur gilt, dass so ein Strukturwandel, wenn er brutal zugelassen wird, enorm viele Verlierer produziert.

STANDARD: Es gibt in Österreich keine Kultur des Scheiterns. Sollten wir Unternehmern erleichtern, ihren Betrieb zu schließen und neu zu starten?

Kopf: Unser System, Unternehmen zu helfen, halte ich jetzt für richtig. Alles hängt davon ab, wann es die Impfung gibt. Unsere Hilfen basieren darauf, dass wir 2021 diese Erkrankung überwinden. Sollte das nicht so sein, wird man im Frühjahr die Maßnahmen neu bewerten. Dann wird man sagen müssen: Da gibt es Unternehmen, da zahlt sich die Rettung nicht mehr aus. Deshalb werden wir Wege aus der Kurzarbeit raus finden müssen. Sie ist ein tolles Medikament, hat aber eine Nebenwirkung: Sie macht abhängig.

STANDARD: Die Kurzarbeit könnte enden: Wenn das Arbeitslosengeld befristet auf 80 Prozent angehoben wird, würde das Menschen absichern und sie nicht an kaputte Betriebe binden.

Kopf: Ich bin nicht dafür. Politisch wäre es schwer, das wieder abzuschaffen. Durch die Möglichkeit, zum Arbeitslosengeld etwas dazuzuverdienen, hätten wir damit Gehälter, die in vielen Fällen deutlich über den erzielbaren Einkommen lägen. Und die Vermittlung in Jobs würde unmöglich: Viele dieser Forderungen kommen aus dem Bestreben heraus, Armut zu bekämpfen. Das verstehe ich. Aber manche, die dieses Thema diskutieren, gehen davon aus, dass es derzeit keine Jobs gibt. Das ist falsch. Aktuell sind beim AMS 63.000 freie Stellen gemeldet. Jedes Monat gehen Menschen in Pension, werden gekündigt oder kündigen: Wir vermitteln laufend Kunden, auch in der Krise gibt es Dynamik am Jobmarkt. Das würde zum Erliegen kommen, sobald man allein eingreift, um die Armutsgefährdung zu reduzieren.

Die Hilfen basieren darauf, dass bald die Impfung kommt, sagt Johannes Kopf.
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STANDARD: Das sieht nach einer Schieflage aus: Unternehmen, die behördlich gesperrt sind, erhalten 80 Prozent der Umsätze ersetzt. Kurzarbeit wird nicht gegengerechnet.

Kopf: Das ist eine sehr großzügige Lösung, und es war klar, dass in dem Moment, in dem das kommt, Begehrlichkeiten in anderen Bereichen geweckt werden. Es gibt Unternehmen, die sagen ja aktuell: Bitte sperrt mich zu, weil ich offen nicht auf 80 Prozent Umsatz komme.

STANDARD: Österreichs Wirtschaftsmodell hat darauf basiert, billige Arbeitskräfte aus Osteuropa zu holen. Vor allem im Tourismus und in der Gastro. Kommt das zu einem Ende?

Kopf: Diese Krise wird zu einem Anstieg der Konkurse im Gastro- und Tourismusbereich führen. Etlichen Betrieben wird die Luft ausgehen, wenn die Stundungen von Steuer- und Sozialabgaben auslaufen. Aber gerade der Tourismus verfügt über eine intakte Infrastruktur: Sogar wenn der Hotelbetreiber in Konkurs geht, steht das Hotel noch. Es wird mit anderen Eigentümern aufleben, weil ich glaube, dass der Tourismus wieder zurückkehren wird. Ich würde auch nicht sagen, dass das ein Modell mit der Zuwanderung war.

STANDARD: Warum nicht?

Kopf: Die Zuwanderung war nicht gesteuert. Über die Rot-Weiß-Rot-Karte sind 3000 Menschen im Jahr aus Drittstaaten gekommen, aus der EU im Wege der Arbeitnehmerfreizügigkeit waren es 40.000 bis 50.000. Die Menschen sind zugewandert, weil Österreich ein hohes Lohnniveau hat, wegen offener Stellen. Die in Österreich gemeldeten Arbeitslosen haben diese Entwicklung negativ zu spüren bekommen: Nach der Wirtschaftskrise 2009, als der Aufschwung kam, wurden die meisten neuen Jobs mit EU-Bürgern besetzt. Die Beschäftigung ist gestiegen, die Inländerbeschäftigung so gut wie nicht. Deshalb wird mit der neuen Corona-Joboffensive versucht, Arbeitslose zu qualifizieren: Wir erwarten 2021 einen Aufschwung und wollen die Jobs, anders als in der Vergangenheit, mit Arbeitslosen im Inland besetzen.

STANDARD: Sie sprechen die Joboffensive an, bei der 100.000 Arbeitssuchende eine Qualifizierung via AMS machen sollen. Bräuchte es nicht besser ausgebildete AMS-Berater, damit das funktioniert? In Deutschland müssen Berater im Regelfall ein dreijähriges Hochschulstudium absolvieren. Bei uns sind es mehrwöchige Kurse.

Kopf: Da hat sich aber viel getan. Vor 20 Jahren war der klassische AMS-Berater ein frisch von der AHS kommender Maturant. Inzwischen nehmen wir nur noch Leute mit Berufserfahrung: Die Berater brauchen eine Matura, ein Studium oder eine Berufsausbildung und jedenfalls mehrjährige Berufserfahrung. Diese ist unterschiedlich, meist aber haben die Menschen vorher in Jobs mit regen Kundenkontakt gearbeitet: Als Sozialarbeiter, Lehrer, IT-Vertriebsleute. Ein Viertel der Leute die wir einstellen, sind Akademiker.

STANDARD: Bräuchte man da nicht eine intensivere Ausbildung, auch um ökonomische Zusammenhänge zu verstehen? Wie sonst sollen AMS-Berater wissen, wo die Jobs der Zukunft liegen?

Kopf: Genau dafür haben wir eine siebenmonatige Ausbildungsakademie in Linz, wo wir den Beratern diese Dinge beibringen. Zweitens sind von den 700 Millionen Euro für die Job-Offensive 100 Millionen für Beratungs- und Betreuungseinrichtungen vorgesehen. Da werden Interessens- und Fähigkeitstests gemacht mit den Jobsuchenden, um zu sehen, wer was braucht. Für diese Arbeit kaufen wir relativ viel know-how zu.

STANDARD: Nun wird der Lockdown verschärft. Wie dramatisch wird das am Jobmarkt durchschlagen? Jeden Herbst und Winter verlieren 100.000 Menschen den Job und dazu gibt es nie eine große Debatte. Können Sie die Krise, die uns bevorsteht, einordnen.

Kopf: Wir hatten im März 200.000 Arbeitslose zusätzlich zum Vorjahr. Vor dem Beginn des neuen Lockdowns waren es 69.000, inzwischen sind es 80.000. Aber ganz sicher haben Maßnahmen wie die Kurzarbeit, auch der Umsatzersatz, viel abgefangen. Wie schlimm es kommen wird? Es hängt wesentlich davon ab, ob wir in diesem Winter Skifahren gehen können. Wenn nicht, werden wir deutlich mehr als 500.000 Arbeitslose haben. Wobei auch da noch viel in der Schwebe hängt.

STANDARD: Warum?

Kopf: Touristiker drängen darauf, Leute einzustellen und sie gleich auf Kurzarbeit schicken zu können. Sie haben Angst, dass sie, falls sie dann wieder öffnen können, keine Mitarbeiter finden. Das geht nicht, weil Kurzarbeit nicht dazu da ist, um Menschen zu horten. Wer in Kurzarbeit gehen will, muss mindestens einen Monat im Betrieb beschäftigt gewesen sein. Wenn der Tourismus aber Leute einstellen kann und sie über den ganzen Winter in Kurzarbeit schicken kann, werden die Zahlen nicht dramatisch steigen.

STANDARD: Würden Sie dafür plädieren, das zu ändern?

Kopf: Nein. Ich sichere meine Arbeitskraft, auch wenn ich sie nicht brauche auf Staatskosten, während die Menschen vielleicht woanders gebraucht werden? Dafür bin ich nicht. (András Szigetvari, 14.11.2020)