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EU-Kommissarin Margrethe Vestager verschärfte ein laufendes Verfahren gegen Amazon.

Foto: AP/Olivier Hoslet

Konfliktscheu ist sie nicht, die EU-Kommissarin Margrethe Vestager. Vergangene Woche verschärfte sie ein laufendes Verfahren gegen Amazon. Dem Konzern wird vorgeworfen, seine Marktmacht zu missbrauchen. Kurze Zeit später forderten 166 europäische Unternehmen und Verbände die EU auf, Google mit konkreten Sanktionen zu belegen. Die Anschuldigung: ebenso Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht. Es kann gut sein, dass es auch hier zu einem Verfahren kommt. Als regulatorische Supermacht zeigt die EU-Kommission Durchsetzungskraft und Mut. Das ist gut, aber zu wenig. Wir gewinnen das eine oder andere Scharmützel, aber an der großen Schlacht um digitale Souveränität nehmen wir gar nicht teil. Nur als Beispiel: Die US-Digitalkonzerne haben heute einen größeren Börsenwert als der gesamte europäische Aktienmarkt zusammen.

Von China abhängig

Dabei geht es längst nicht mehr nur um die Vormacht der USA. Auch die Abhängigkeiten von chinesischen Technologieanbietern werden größer und damit die Risiken für Europa. Die Frage nach der Nutzung von Technologie der Hersteller Huawei und ZTE beim Ausbau unserer Mobilfunknetze ist ein gutes Beispiel. Schweden hat kürzlich den Einstieg dieser Firmen beim nationalen Netzausbau untersagt und wird Ericsson und Nokia den Vorzug geben. Die schwedische Telekombehörde begründete die Entscheidung vor allem mit sicherheitspolitischen Überlegungen. Im 21. Jahrhundert sind Mobilfunknetze kritische Infrastruktur. Ist diese verwundbar, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Schwachstellen in einer Konfliktsituation auch ausgenutzt werden. Schweden nimmt mit seiner Entscheidung in Kauf, beim Thema Mobilfunk technologisch mindestens zwei Jahre zurückzufallen. Die chinesischen Anbieter sind schlichtweg besser. Dabei waren wir Europäer in diesem Bereich einmal Weltmarktführer!

"Digitale Industriepolitik"

Regulieren allein ist eben zu wenig. Was es braucht, ist so etwas wie eine "digitale Industriepolitik". Wie die Ökonomin Mariana Mazzucato argumentiert, geht es weniger darum, nationale Rettungspakete zu schnüren, als darum, Finanzmittel strategisch einzusetzen. Anschaulich belegt Mazzucato, wie im Silicon Valley von GPS bis Siri der Großteil technologischer Neuerungen auf Forschungsinitiativen der US-Regierung (überwiegend des Militärs) zurückgeht. Dass Tesla bei seiner Gründung von Washington mit einem Millionenkredit auf die Sprünge geholfen wurde, ist kaum bekannt.

Aber auch von China kann man lernen. Nicht nur setzt das Land im Aufbau digitaler Infrastruktur auf Autonomie und Selbstbestimmung. Will ein ausländischer Technologiekonzern in China aktiv werden, muss dieser mit einem chinesischen Partner ein Joint Venture eingehen. Die Chinesen halten die Mehrheit der Anteile, der Staat kann jederzeit in das "intellectual property" einsehen.

Digitale Souveränität in strategischen oder sicherheitsrelevanten Bereichen zu erlangen wird keinem Land in Europa allein gelingen. Schaffen wir endlich eine europäische Datenunion, deren Strategie weit über Datenschutz und Wettbewerbsrecht hinausgeht! Dafür werden wir den gleichen Mut und mindestens denselben Initiativgeist brauchen, wie ihn Frau Vestager im Wettbewerbsbereich zeigt. (Philippe Narval, 15.11.2020)