Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan besuchte mit seiner Frau Emine die einst von griechischen Zyprioten bewohnte Küstensiedlung Varosha in Nordzypern.

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Istanbul/Famagusta – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat am Sonntag die einst von Griechisch-Zyprioten bewohnte Küstensiedlung Varosha in Nordzypern besucht und damit den Konflikt um die geteilte Mittelmeerinsel neu angeheizt.

Erdogan nahm an einer von ihm selbst als "Picknick" bezeichneten Veranstaltung in dem bis vor wenigen Wochen noch gesperrten Stadtteil der Hafenstadt Famagusta teil. Varosha liegt im Herrschaftsbereich der nur von der Türkei anerkannten Türkischen Republik Nordzypern (KKTC). Es sei klar, wer die "wahren Besitzer" Varoshas seien, sagte Erdogan in einer gemeinsamen Erklärung mit Nordzyperns Präsident Ersin Tatar in Varosha.

Begleitet wurde der türkische Präsident von dem Ultranationalisten Devlet Bahçeli, mit dessen Partei Erdoğans islamisch-konservative AKP in der Türkei eine Regierungsallianz hat.

Zypern sieht "Provokation"

Der Präsident der Republik Zypern im Süden, Nikos Anastasiades, hatte Erdoğans Besuch in der Küstensiedlung Varosha schon am Samstag als "noch nie da gewesene Provokation" bezeichnet. Er warf Erdogan zudem vor, damit Bemühungen der Vereinten Nationen zu untergraben, die neue Verhandlungen zur Überwindung der Teilung der Mittelmeerinsel in die Wege leiten wollen.

Das harmlos anmutende "Picknick" hat Symbolkraft und belastet die Beziehungen zu Zypern und Griechenland weiter, mit denen Ankara sich ohnehin schon um Erdgasvorkommen im Mittelmeer streitet. Aus Sicht des EU-Landes Zypern gilt der Besuch Erdoğans in Varosha als ein weiterer Schritt in Richtung endgültige Teilung der Insel. In einer Rede im nordzyprischen Lefkosa forderte Erdogan Gespräche über eine Zwei-Staaten-Lösung.

Seit 1974 geteilt

Zypern ist seit 1974 nach einem griechischen Putsch und einer türkischen Militärintervention geteilt. Im Norden gibt es die nur von der Türkei anerkannte Türkische Republik Nordzypern, die Republik Zypern im Süden ist seit 2004 EU-Mitglied. Eine von der Uno kontrollierte Pufferzone, in der der Status quo von 1974 gewahrt bleiben soll, trennt die beiden Inselteile.

Famagusta im Osten der Insel gilt als Sinnbild der Teilung. Als die türkischen Panzer im August 1974 auf die Stadt vorrückten, mussten rund 40.000 Bewohner des griechisch-zypriotischen Stadtteils Varosha ihre Häuser verlassen.

Geisterstadt

Einst war Varosha ein beliebter Badeort, in dem etwa US-Schauspielerin Elisabeth Taylor urlaubte. Nach der türkischen Intervention wurde die ehemalige Touristenhochburg zum militärischen Sperrgebiet erklärt. Das Areal gleicht seitdem einer Geisterstadt. Hotels und Wohnhäuser verfallen. Die Uno fordert seit Jahrzehnten, dass die ehemaligen Bewohner der Geisterstadt – fast alle griechische Zyprioten – unter der Verwaltung der Vereinten Nationen in ihre Stadt zurückkehren können.

Doch trotz internationaler Kritik hatte die türkisch-zypriotische Regierung Varosha Anfang Oktober erstmals seit 1974 teilweise geöffnet. Ein großer Strandabschnitt ist seitdem für Urlauber und Einheimische zugänglich. Nikosia vermutet, dass Ankara und der als Hardliner geltende Tatar stufenweise nach dem Strand auch andere Stadtteile Famagustas öffnen und dann zu Besiedlung freigeben werden – entgegen der Resolutionen des Uno-Sicherheitsrats.

Verzwickte Lage

Juristen in Nikosia sehen einen ausgeklügelten Plan hinter den Aktionen. Weil nur der Strand eröffnet wurde und nicht die Stadt selbst, wurde aus Ankaras Sicht der Status quo nach 1974 nicht geändert. Nach Ansicht von Analysten könnte die Regierung Nordzyperns mit Unterstützung Ankaras noch weiter gehen und die ehemaligen Bewohner Varoshas dazu aufrufen, einen Antrag zu stellen, um ihren Besitz zurückzuerhalten oder entschädigt zu werden. Damit würden die griechischen Zyprioten die Türkische Republik Nordzypern aber anerkennen. Wer nach Famagusta zieht, müsste außerdem unter türkisch-zypriotischer Verwaltung leben. Zu beidem dürften die griechischen Zyprioten kaum bereit sein.

Die Lösung der Zypernfrage ist inzwischen in weite Ferne gerückt. Ziel der Vereinten Nationen ist die Bildung einer Föderation zweier politisch gleichberechtigter Länder – eines griechisch-zypriotischen im Süden und eines türkisch-zypriotischen im Norden. Die türkisch-zypriotische Seite forderte bisher die Bildung einer losen Konföderation mit einer schwachen Zentralregierung. Türkische Truppen sollten auf der Insel bleiben. Mit der Wahl des Hardliners Tatars zum Präsidenten im Oktober hat sich Nordzypern ohnehin weiter von seiner ursprünglichen Position entfernt. Der neue Präsident tritt – wie Erdogan – für eine Zwei-Staaten-Lösung ein. (APA, dpa, 15.11.2020)