Im November und jedenfalls Anfang Dezember muss die Gastronomie wieder schließen.

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Der zweite Lockdown sorgte in der Regierung für große Umtriebigkeit. Binnen weniger Tage wurde ein Hilfspaket gezimmert: Neu ist der 80-prozentige Umsatzersatz für die Gastronomie. Dazu kommt ein ähnliches System für die ab Dienstag geschlossenen Handelsbetriebe und persönlichen Dienstleister. Auch hier werden Umsätze ersetzt, 20 bis 60 Prozent beim Handel, bei Dienstleistern sogar bis zu 80 Prozent.

Das Geld soll schnell fließen: Die neuen Hilfen für Gastro- und Hotellerie sind erst eine Woche abrufbar, schon wurden 30.000 Anträge gestellt. Bereits "in den nächsten Tagen" sollen 800 Millionen Euro ausbezahlt sein, sagt Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP).

Kosten der Umsatzhilfe: Drei Milliarden Euro

Während im ersten Lockdown die Kritik daran laut war, dass der Staat zu langsam hilft, fällt diesmal auf, dass Österreich bei geschlossenen Betrieben generös agiert. Ein Blick nach Deutschland: Dort mussten Hotellerie und Gastro ebenfalls dichtmachen – aber die Entschädigung beläuft sich nur auf 75 Prozent des Umsatzes, das Kurzarbeitsgeld wird gegengerechnet, ebenso das Take-away-Geschäft.

All das passiert in Österreich nicht. Noch großzügiger erscheint das Ganze, wenn man bedenkt, dass viele Betriebe auch ohne staatliche Stilllegung vor ähnlichen Problemen stehen: Der Stadthotellerie fehlen die Touristen, der Umsatz war vorher schon weg. Auch einige Handelsbetriebe, etwa Kleidergeschäfte in touristischen Vierteln Wiens, hätten den Lockdown und Entschädigungszahlungen herbeigesehnt, sagt Karin Gavac vom Wirtschaftsinstitut KMU-Forschung Austria.

London nutzt ganz anderes Modell

Auffällig ist, dass Debatten darüber, was an Hilfen gerechtfertigt ist, ob also Unternehmen und mit der Kurzarbeit auch Jobs gerettet werden, die ohnehin bald verloren sind, eine Randerscheinung in Österreich sind. Der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Christoph Badelt, hat sogar das Mantra ausgegeben, die aktuellen Hilfen seien "alternativlos".

Nur stimmt das nicht. Im angelsächsischen Raum sei die Strategie eine andere, wie Thomas Pugh, Ökonom beim Londoner Finanzdienstleister Capital Economics, erzählt. Das Vereinigte Königreich befindet sich wie Österreich im zweiten Lockdown. An staatlichen Hilfen gibt es weniger. Einen Fixkostenzuschuss oder gar Umsatzersatz gibt es für britische Pubs, Restaurants und Kleidergeschäfte nicht. Die Unternehmen könnten Steuern stunden, sagt Ökonom Pugh, sie hätten Zugang zu staatlichen Notkrediten. Doch diese müssen sie zurückzahlen. Was es gibt, ist auch auf der Insel ein Kurzarbeitsgeld. Und dazu gibt es eine kritische Debatte: Der "Economist" fordert ein Ende der Kurzarbeit, weil sie Jobs rette, die sowieso verloren seien – und damit den Wandel der Wirtschaft bremse, so das Magazin.

Noch deutlicher als von Großbritannien unterscheidet sich Österreichs Modell von jenem der USA. Hier gibt es nicht einmal ein Kurzarbeitsgeld.

Alternativlos?

Das führt zur Frage, welches System besser ist. Das angelsächsische Modell führt im Prinzip zu höherer Arbeitslosigkeit: In den USA ist sie explodiert. Und Finanzdienstleister wie Atradius rechnen damit, dass die Insolvenzen in den USA ebenso wie im Vereinigten Königreich viel höher sein werden, wenn bestehende Moratorien, die aktuell Insolvenzanträge von Gläubigern verhindern, 2021 ausgelaufen sind.

Mehr Pleiten, mehr Arbeitslose: klarer Vorteil also für Österreich? Ganz so einfach ist es nicht. Zunächst ist es in den USA gelungen, einige Verwerfungen abzufangen. Zwei Drittel der US-Arbeitslosen erhielten bis Ende Juli mehr Arbeitslosengeld, als sie vorher verdient haben.

Der Ökonom Gabriel Felbermayr, der das Kieler Institut für Weltwirtschaft leitet, sagt, Österreichs Modell passe gut zum Land – eine Kultur des unternehmerischen Scheiterns und Neustarts gebe es hier nicht. Doch auch er vermisst eine Debatte darüber, ob nicht zu viel konserviert wird: Für viele Betriebe "wird eine Brücke in die Zukunft gebaut, obwohl sie keine Zukunft haben", sagt Felbermayr. Er nennt als Beispiel Teile der Automobilindustrie, die schon vor Corona strauchelten, ebenso die Airline-Hilfe.

Den Umsatz als Basis für Entschädigungen herzunehmen sei ohnehin eine "ganz schlechte Idee", wie Felbermayr sagt, weil Umsatz eine sehr unscharfe Größe sei, sich von Betrieb zu Betrieb stark unterscheide und auch wenig über die Profitabilität eines Unternehmens aussage. Hier werde es zu einer großen Diskriminierung zwischen den Betrieben kommen. Das Modell in Österreich mit Gastro- und Hotellerie nennt er "Geschenke verteilen". "Zu rechtfertigen ist das allenfalls, wenn man in den vergangenen Monaten nicht geleistete Unterstützung jetzt wettmachen will."

Bleibt aber die Frage, ob nun in Österreich gutes Geld schlechten Unternehmen nachgeschmissen wird? Auch dafür finden sich Belege. Laut KMU-Forschung Austria waren 30 Prozent der Handelsunternehmen vor Corona in der Verlustzone. Fast jeder zweite Beherbergungsbetrieb und 40 Prozent der Gasthäuser hatten ein negatives Eigenkapital, waren also überschuldet.

Wo sind die Pleiten geblieben?

Laut Kreditschutzverband von 1870 gab es bis zum dritten Quartal 2020 in Österreich um ein Drittel weniger Insolvenzen als 2019, als es in der Wirtschaft ganz gut lief. Vieles von dem Steuergeld, das jetzt fließt, wird also nicht nachhaltig wirken, weil viele Unternehmen wegbrechen werden.

AMS-Chef Johannes Kopf hat die Debatte in Österreich unlängst aufgemacht und argumentiert, dass vielen Unternehmen 2021 trotz der Hilfen die Luft ausgehen werde wegen der Tiefe der Krise. Die derzeitige Form der Hilfsmaßnahmen dürfe maximal bis ins Frühjahr weitergehen, weil ansonsten wirklich der notwendige Anpassungsprozess gebremst werde. Besonders gehöre dann die Kurzarbeit restriktiver gehandhabt. (András Szigetvari, 17.11.2020)