HOME, SWEET SCHOOL: Da wären wir wieder – Distance-Learning, knapp sechs Wochen nach dem Schulbeginn.

Foto: Frank Robert

So, ich bin schuld. Ich habe in meiner durchwachsenen Schulkarriere so viele Lehrpersonen devastiert zurückgelassen, dass sich die Geister ihrer verlorenen Nerven zusammengerottet und sie den Plan einer Pandemie plus irrlichternder Regierung für mich geschmiedet haben. Deswegen haben wir jetzt den zweiten Corona-bedingten Lockdown in Österreich – und ich bin wieder mit Homeschooling dran, für meine zwei Buben, acht und zwölf Jahre alt.

Es ist nicht mehr ganz so neu wie das erste Mal, im März 2020. Damals wurde schnell klar, wie fatal es war, dass in Österreich nicht seit Jahrzehnten Millionen in Digitalisierung und Netzwerk-Infrastruktur im Bildungsbereich geflossen sind.

Die Pädagogen und Pädagoginnen haben damals einzelinitiativ je nach Veranlagung ihren Ehrgeiz oder ihre Fürsorge ausgelebt. Was damit geendet hat, dass ich im Laufe der ersten Woche mit zwei von der Omi gesponserten Gebrauchtlaptops dastand, mit Kenntnissen über Schoolfox, Teams, Skype, Zoom und Co, sowie Mitglied war in mehreren neu gegründeten Whatsapp-Gruppen, mit klingenden Namen wie Deutsch, Kunst, Pfadfinder, Mathe 3, Mathe 3 Nachhilfe und WTF?!. Es gab auch eine für Religion, ich war die Letzte, die die Gruppe nicht sofort wieder verlassen hatte, also blieb ich der Lehrerin zuliebe und wir schickten uns manchmal GIFs mit Blumen oder Einhörnern. Es gab Elterndiskussionen via E-Mail, die viel Zeit fraßen, der gesamte Schulkosmos hat sich zur Virologenschaft umgeschult, binnen Tagen.

Penisse auf dem Whiteboard

Eindrücklich war die erste Mathestunde des Großen auf Teams. Die Kinder waren aufgeregt, einander wiederzusehen, der Lehrer stolz, dass alle aufgetaucht sind, denn kein Kind darf ja verlorengehen. Jeder durfte erzählen, wie es so war, im Lockdown. Und dann: Mathematik. Also so richtig. Die Gesichter wurden immer länger, bald schon musste der eine oder andere aufs Klo. Mein Kind holte sich Snacks. Und vergaß dabei, wieder zum Unterricht zurückzugehen.

In der nächsten Stunde wurde ein Whiteboard präsentiert, der Bildschirm war geteilt, sodass Beispiele erklärt oder von den Schülern für alle sichtbar gelöst werden konnten, wie auf einer Tafel. Selbstverständlich waren da innerhalb von Sekunden lauter Penisse drauf, der Lehrer sagte nichts, er hat es anscheinend unter einer Art Naturkundeunterricht verbucht.

Im Laufe der Schultage daheim hatten die Kinder nicht nur herausgefunden, wie man sich muted und daneben Nintendo Switch spielen konnte, sondern auch alle anderen Teilnehmer stumm schaltete, inklusive der Lehrer. Es hörte also kaum wer, was Hausübung war und wo sie abzuspeichern wäre. Am Ende des Schuljahres waren dann einige Seiten an unerledigten Heimarbeiten schön aufgelistet. Es entstanden aber dafür gefestigte Onlinestrukturen, in deren Rahmen seitdem regelmäßig Werwolf oder Scribble.io gespielt werden. Auch was wert.

Generöser Unterricht

Manche Lehrer und Lehrerinnen wollten einfach nur, dass die Kinder emotional gut durch die Situation kommen, und empfahlen generös, nur ein paar Seiten zu lesen und ansonsten Naturdokus zu schauen. Dafür gab es in Handarbeiten so viel auf, dass ich zwei Großmütter mit der Fertigstellung betrauen musste. Die Werkteile wurden mit der Post hin- und hergeschickt.

Mein Kleinerer durfte manchmal mit der Lehrerin telefonieren, das war aufregend. Die Zoom-Stunde danach weniger, weil ihn nach zehn Minuten das Hineinstarren in den Bildschirm und das Zuhören ermüdeten. Vor allem, wenn Lesen geübt wurde. Er war aber gelehrig und schaute sich vom großen Bruder die Taktik ab, unterm Tisch am Handy Buster-Keaton-Filmchen zu schauen, die sind auch ohne Ton lustig.

Daneben war von mir meine Arbeit zu regeln, in jeder nur möglichen Sekunde. Aufträge wurden gecancelt. Andere kamen dazu, die waren dafür am besten sofort zu erledigen. Steuerberaterin, Anträge, Telefonate. Die waren teils heikel, wenn etwa mitten im Satz " ... ja das ist sensibel, ich verstehe, wenn Sie das verärgert ..." von der Seite jemand reingrölt "WAS MAMMA! WAS IST SENSIBEL? ICH WAR’S NICHT!". Den Rest der Zeit waren Speisen zuzubereiten, ununterbrochen. Ich träumte von der Möglichkeit, ihnen einfach ein ganzes Asterix-Wildschwein zu geben und dafür eine Woche Ruhe zu haben.

Als selbstständige Alleinerziehende wäre ich also jetzt zwar die prädestinierte Kandidatin dafür, die Kinder diesmal in die Schule zu schicken. Doch in letzter Zeit war die Stimmung der Kinder traurig. Die Schule machte ihnen keinen Spaß, so, unter diesen Bedingungen, auf der Langstrecke. Freunde hin oder her. Die Lehrenden seien manchmal fahrig, sogar die gutmütigen. Dauernd musste drüber nachgedacht werden, was erlaubt sei. Aufstehen, Maske tragen, hinsetzen, Maske ab. Turnsaal gesperrt. Auf dem Gang hatten alle im Gänsemarsch zu gehen. Keine Umarmungen, keine Kartenspiele, ohne sich die Hände zu desinfizieren, keine Mannschaftsspiele, kein Gerangel, das auch manchmal sein muss. Das ist ermüdend, sagen sie. Ab Mittag wolle man nur noch heim. Keine Ahnung mehr, wie "sich normal fühlen" geht.

Wütende Wohlmeinende

Ich werde von Wohlmeinenden diesmal fast wütend aufgefordert, "mich zu trauen" und die Kinder in die Schule zu schicken. Aber ich werde sie wieder daheim lassen, dafür mit besserer Organisation. Ich bin jetzt Expertin. Die Kinder haben einander und können sich daheim bei Bedarf ohne Maske tögeln. Es gibt fixe Stundenpläne, die Schulen scheinen vorbereitet. Damit ich aber nicht wirklich alles zurückbekomme, was mir anscheinend gebührt, wird der Vater der Kinder mit mir abwechselnd fixe Stundenblöcke absolvieren, sodass wir in der freien Zeit jeweils arbeiten oder trinken können. Auf Facebook ist zu lesen: "Schrödingers Katze bekommt Konkurrenz, unsere Schulen sind gleichzeitig offen und zu." Wir werden sehen, wie stark die Nerven bleiben.

Dazwischen werde ich schauen, ob der Pianist Igor Levit etwas im Internet überträgt. Das zum Thema systemrelevante Berufe. Ohne Musik ist nichts auszuhalten, gar nichts. (Heidi List, 17.11.2020)