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"Totale Sicherheit" an Bord? Für die Kreuzfahrtbranche bleiben die Aussichten fürs Erste eher trüb.

Foto: REUTERS/Erick Marciscano

Als Anfang des Jahres alle Blicke auf eine neuartige Weltkarte gerichtet waren, ergab sich folgendes Bild: Auf der Covid-19-Map der Johns-Hopkins-Universität wurde nicht nur die Liste der Länder mit Infektionsgeschehen täglich länger, manchmal tauchten auch seltsame Ortsnamen auf – MS Zaandam etwa. Das Kreuzfahrtschiff der Holland America Line war eines der ersten, auf denen sich Corona schnell wie ein Buschfeuer ausbreitete. Im April gab es schon 2.600 bestätigte Corona-Fälle weltweit auf Kreuzfahrtschiffen, das sind mehr Infizierte, als einige Staaten bis heute zu verzeichnen haben.

MS Zaandam: Eines der ersten Kreuzfahrtschiffe, auf denen sich Corona ausbreitete.
Foto: imago images/ZUMA Press

Ebenfalls im April vermeldete Carnival Cruise Lines, einer der größten Anbieter von Kreuzfahrten, dass rund 6.000 Urlauber auf ihren Schiffen festsitzen und nirgendwo anlanden dürfen. Bilder wie jene von der Diamond Princess, die schon im Hafen von Yokohama lag, aber 17 Tage lang von niemandem verlassen werden durfte, gingen um die Welt. Aber auch dumme Vereinfachungen sorgten für Verunsicherung. Etwa jene, dass Kreuzfahrtschiffe alleine für die rasche weltweite Verbreitung des Coronavirus verantwortlich seien. Die Cruise Lines International Association als Interessenvertretung der Branche fühlt sich jedenfalls bemüßigt, auf ihrer Website klarzustellen: Dafür sind wir als Industrie wohl doch ein wenig zu klein.

Vor dem Virus abschotten

Rund ein halbes Jahr später sieht die Situation – von Land und aus der Ferne betrachtet – für manche Reedereien nicht mehr ganz so katastrophal aus. Im Sommer nahmen zunächst solche mit kleineren Schiffen wie Hurtigruten oder Ponant wieder den Betrieb auf. Es folgten einzelne Schiffe von Tui Cruises oder Hapag-Lloyd, und bald darauf waren auch die ganz großen Brummer von MSC, Costa und Aida wieder unterwegs. Wie kann das sein, wird sich so mancher fragen, der noch die Bilder vom März und April vor Augen hat.

Lockdown wegen Coronakrise – Kreuzfahrtschiffe Aidablu und Aidaperla liegen am Hamburg Cruise Center Steinwerder im Hamburger Hafen
Foto: imago images/Chris Emil Janßen

Seit dem Sommer wirbt die Branche damit, nun quasi eine absolut sichere Bubble zu sein. Tui Cruises, Hapag-Lloyd und Aida setzen auf flächendeckende PCR-Tests vor der Reise, MSC und Costa führen Antigentests vor der Einschiffung durch. Wer kein negatives Ergebnis vorweisen kann, darf gar nicht an Bord. Die Crew wird ebenfalls regelmäßigen Tests unterzogen und durchläuft sogenannte Quarantänezyklen, ehe neue Gäste an Bord kommen. Zudem tragen alle Mitarbeiter immer und überall Maske. Glaubt man, sich so auf den Schiffen vor dem Virus abschotten zu können?

Komplett unter sich

"Wird dieses Modell, das noch eine Reihe anderer Maßnahmen umfasst, konsequent umgesetzt, kann es tatsächlich sehr sicher sein. Auch liegt die Auslastung der Schiffe derzeit nur bei maximal 50 bis 60 Prozent, damit man die Abstandsregeln einhalten kann. Und auf manchen Schiffen werden PCR-Test-Labore eingerichtet", weiß Thomas P. Illes. Der Schweizer gilt als international renommierter Schifffahrts- und Kreuzfahrtanalyst. Neben zahlreichen Unternehmen außerhalb des Tourismus zählen auch Reedereien, Werften und die maritime Zulieferindustrie zu den Kunden des Wirtschafts- und Kommunikationsberaters, der auch als Hochschuldozent tätig ist.

Kreuzfahrtschiffe sind momentan auch deshalb relativ sicher, weil die Gäste auf den wenigen Landgängen komplett unter sich bleiben. Oder die Schiffe landen erst gar nicht an – weil sie nicht dürfen. Es stellt sich die Frage: Ist diese künstliche, sichere Blase ein Modell für den entspannten Urlaub der näheren Zukunft?

Perfekte Blase inszenieren

"Die Frage müsste eher lauten, wie lange das den Kundenbedürfnissen entspricht", meint Illes. In der abgeschotteten Bubble seien keine individuellen Ausflüge mehr möglich. Wer vor Corona eine Kreuzfahrt unternommen habe, wisse dagegen, dass man mehr Freiheiten hatte. Niemand musste in der Gruppe bleiben, der das nicht wollte.

Der Schweizer Thomas P. Illes ist Wirtschafts- und Kommunikationsberater, Hochschuldozent und einer der bekanntesten Analysten der Kreuzfahrtbranche.
Foto: Udo Geisler

Organisatorisch wäre es für manche Reedereien dennoch möglich, die perfekte Blase zu inszenieren. Vor allem die großen, US-amerikanischen besitzen Privatinseln in der Karibik, zu denen die Fahrten dann fast ohne Ansteckungsrisiko führen könnten. Man wäre ähnlich wie in einer All-inclusive-Clubanlage zwar weit von zu Hause entfernt, bliebe aber ganz unter sich.

Reise nach nirgendwo

"Die geschlossene Blase könnte – zumindest bei den Mega-Resort-Schiffen sogar noch ein anderes Problem lösen, das vor Corona ein massives Thema war: Overtourism. Wenn die Schiffe so viel bieten, dass man gar nicht mehr an Land gehen will, wären einige Städte entlastet", sagt Illes und glaubt dennoch: "Die Bubble funktioniert allerdings nur, solange sie alternativlos bleibt. Sobald die Leute wieder die Wahl haben, sich freier zu bewegen, wird es schwerer sein, diese ,Cruises to Nowhere‘ anzubieten."

Die Umweltdebatte, die um die Kreuzfahrtindustrie zu führen ist, wurde in der Corona-Krise übrigens nicht ausgesetzt. Noch vor Ausbruch der Pandemie kündigte MSC Cruises etwa an, "klimaneutrale Kreuzfahrten" anbieten zu wollen. Wie das gehen soll? Vor allem durch Kompensationszahlungen an Klimaschutzprojekte. Es ist noch nicht lange her, dass die ersten Kreuzfahrtschiffe mit Flüssigerdgas (LNG) in Betrieb genommen wurden, schon steht dieser alternative Antrieb in der Kritik. Der deutsche Naturschutzbund (NABU) etwa sagt über LNG, es verursache sogar bis 80 zu Prozent höhere Treibhausgasemissionen als Schiffsdiesel. Im aktuellen NABU-Kreuzfahrtranking werden europäischen Reedereien zwar Fortschritte in der Klima- und Umweltpolitik bescheinigt, insgesamt sei die Branche aber "keineswegs auf Kurs für den Klimaschutz".

Nur Testfahrten

"Die Corona-Krise ist auch ein Nachhaltigkeitsbeschleuniger", kommentiert Illes. Aktuelle Wirtschaftshilfen, zum Beispiel in der Luftfahrt, seien häufig an Umweltziele gekoppelt. "Es gibt aber Reedereien, die in der Vergangenheit eine oft als arrogant und zu wenig dialogbereit empfundene Haltung zeigten, als das Geschäft noch gut lief. Nun wundern sie sich, dass ihnen die Politik nicht gleich den roten Teppich ausrollt", sagt der Branchenkenner über manche Player. In Zukunft sei eine offenere, transparentere und kooperativere Kommunikation in der Branche unabdingbar, meint der Experte. Und vermutlich auch die wissenschaftliche Begleitung des Themas (siehe Wissen unten).

Am Freitag, den 2. Oktober 2020 läuft gegen 12 Uhr das Kreuzfahrtschiff Europa als erstes Passagierschiff des Jahres den Warnemünder Hafen an. Das knapp 200 Meter lange Schiff der Reederei Hapag-Lloyd Cruises kommt aus Danzig und hat gut 200 Gäste an Bord, die sich, unter Berücksichtigung der entsprechenden Präventions- und Hygienemaßnahmen, auf ausgewählte organisierte Landausflüge und individuelle Landgänge in Rostock und der näheren Region begeben.
Foto: imago images/Fotoagentur Nordlicht

Dass die Branche insgesamt noch lange nicht über den Berg ist, zeigt sich in diesen Tagen. Mit dem Aufschlagen der zweiten Corona-Welle in Europa wurde die Mehrzahl der für die kommenden Monate geplanten Kreuzfahrten abgesagt. In den USA ist der Betrieb noch gar nicht wieder aufgenommen worden. Die generelle No-Sail-Order wurde zwar mit November aufgehoben, doch zunächst wird es etwa vor Florida nur Testfahrten geben. Dabei wollen die Reedereien klären, ob man überhaupt alle Regeln einhalten kann, die auf US-amerikanischen Schiffen gelten sollen. Auch einzelne Infektionsfälle, die ausgerechnet an Bord kleiner Luxusschiffe auftraten, kratzten zuletzt am Konzept der "totalen Sicherheit an Bord".

Oft vergessen: die Crew

An eines sollte man in diesen Tagen jedenfalls denken, wenn man einen Urlaub in der "sicheren Bubble" plant: an die Crews auf diesen Schiffen. Sie dürfen anders als die zahlenden Gäste im Fall der Fälle nicht so schnell von Bord gehen. "Die Crews werden nicht nur in der Kreuzfahrt oft vergessen. Sie bleiben in der gesamten Schifffahrt unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung, obwohl der Welthandel ohne sie nicht funktioniert", meint Illes. "Es gibt Seeleute, die sind aktuell schon seit einem Jahr oder 18 Monaten an Bord, und niemand fühlt sich für sie zuständig – das erachte ich als veritablen Skandal!" (Sascha Aumüller, 20.11.2020)