Der französische Film "Hold-up" befördert Verschwörungstheorien und macht Stimmung gegen Politik und Pharmaunternehmen.

Foto: Screenshot, Youtube/Hold-up

Es ist ein neues Medienphänomen mit einem alten Grundmuster: je abwegiger, desto mehr beachtet. Der sogenannte Dokumentarfilm Hold-up, der die Covid-19-Krise für eine einzige Weltverschwörung hält, sprengt in Frankreich alle Anklickquoten.

Allein über das vergangene Wochenende wurde er 2,7 Millionen Mal angeschaut. Das ist selbst für den frankofonen Raum eine gewaltige Zahl, wenn man bedenkt, dass der Doku-Rekord auf dem französischen Youtube bisher bei 1,1 Millionen (zum Thema Melania Trump) lag.

Am 11. November erschienen, erreichte der umstrittene Streifen seinen ersten Spitzenwert paradoxerweise am Freitag, als ihn große Anbieter wie Vimeo oder Youtube wegen Fake-News-Verdachts aus dem Netz nahmen. Man nennt dies einen "Streisand-Effekt": Die Interventionen und Argumentationen gegen den Film steigerten nur noch das Interesse daran; unzählige Links kopierten ihn sofort auf andere Internetträger. Hold-up ist ein gut zweieinhalb Stunden langer Verschnitt des französischen Fernsehjournalisten Pierre Barnérias. Finanziert wurde er mit Crowdfunding: Statt der angestrebten 20.000 Euro kamen auf der Plattform Ulule 183.000 Euro zusammen.

Falsche Angaben

Die Zentrale für Gruppenfinanzierung erklärte allerdings, die Hold-up-Macher hätten dabei falsche Angaben gemacht. Mehrere der 37 interviewten Experten, darunter der frühere Gesundheitsminister Philippe Douste-Blazy, ließen verlauten, sie hätten nicht mitgemacht, wenn sie gewusst hätten, dass der Film verschwörerische Thesen kolportiere.

Die in dem "Dokumentarfilm" angeführten Behauptungen halten, so zahlreich sie sind, einem auch nur oberflächlichen Faktencheck nicht stand. Einige Aussagen erledigen sich von selbst – so etwa die Behauptung des Epidemiologen Laurent Toubiana vom Oktober, es werde "keine zweite Covid-Welle" geben.

Andere Argumente sind leicht zu entkräften. Eine Hauptgrafik des Films "beweist" die angebliche Sinnlosigkeit des französischen Lockdowns, weil dieser mit der Spitze der ersten Welle zusammengefallen sei. Das beweist nur, dass Hold-up die zeitversetzte Wirkung der Ansteckung völlig außer Acht ließ.

Nicht immer treten die Manipulationen der Filmemacher so offen zutage. Der Apotheker Serge Rader behauptet, die Regierung in Paris habe im Frühjahr die Euthanasie älterer Corona-Patienten zugelassen. Er beruft sich auf ein Dekret vom 28. März, das das Epilepsiemittel Rivotril in Altersheimen auch per Injektion zuließ. Das geschah aber nicht zur Freigabe der Sterbehilfe, wie in Hold-up unterstellt, sondern zur palliativen Begleitung todkranker Patienten mit Erstickungssymptomen, wie der Apothekenverband FSPF festhielt.

Der Titel von Hold-up meint den vermeintlichen "Überfall" der Welteliten mittels Covid-19. Die Soziologin Monique Pinçon-Charlot wirft den "Reichsten" vor, "wie die deutschen Nazis im Zweiten Weltkrieg einen Holocaust zu planen, diesmal um die 3,5 Milliarden Ärmsten zu eliminieren". Pinçon-Charlot hat ihre Aussagen am Wochenende ebenfalls zurückgezogen – nicht weil sie hanebüchen wären, sondern weil die Interviewte die Verschwörungsabsicht der drei Macher nicht realisiert haben will.

Zensurvorwürfe

All diese Distanzierungen, Einwände und Sperren tun dem Erfolg des Streifens in den sozialen Medien keinen Abbruch. Im Gegenteil: Viele der 400.000 Tweets zu dem Film – auch von Prominenten wie der Schauspielerin Sophie Marceau – sprechen von "Zensur"; den "offiziellen" und "Mainstream"-Medien werfen sie Unterwerfung unter die "Machthabenden" vor. Die Verschwörungsthesen werden damit wie üblich zum Selbstläufer: Sie scheinen schon deshalb zu stimmen, weil die Elite der Politiker, Medien und Ärzte dagegen antritt.

Versagen der Behörden

Bedauerlich ist das, weil es durchaus Argumente gegen den Covid-Kurs der Pariser Behörden gäbe. Frankreich weist eine der höchsten Ansteckungsraten Europas auf, und das erklärt sich auch mit dem Versagen der Gesundheitsverwaltung. Im Frühjahr war sie unfähig, genug Masken bereitzustellen, im Sommer antizipierte sie die zweite Welle zu spät. Diese Schwerfälligkeit der französischen Staatsführung und des Zentralstaats wäre durchaus einen fundierten Dokumentarfilm von fast dreistündiger Länge wert. Doch solche komplexen Zusammenhänge interessieren die Verschwörungstheoretiker – und ihre millionenfache Gefolgschaft – offenbar viel weniger. (Stefan Brändle aus Paris, 18.11.2020)