Mehr Türkis in Wien – das ist Gernot Blümel gelungen. Die ÖVP kann im Gemeinderat künftig 22 Sitze besetzen, 15 mehr als bisher. Wer einziehen darf, ist eigentlich klar geregelt. Weil eine Kandidatin nun aber nicht auffindbar ist, schmeißt die Partei die eigenen Regeln über Bord.

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Obwohl die Wiener ÖVP bei der Wahl am 11. Oktober ihr Ergebnis verdoppeln konnte und sich damit mehr als zufrieden zeigte, gab es Konflikte darum, wer in den Gemeinderat einziehen darf. Die Folge: ein Parteiausschluss und zwei Vorzugsstimmensieger, die nun doch nicht den Sprung ins Rathaus schaffen.

Wie die ÖVP Sitze vergibt

Der Reihe nach: Die ÖVP hat parallel zu den gesetzlichen Regeln ein eigenes Vorzugsstimmensystem etabliert, das Kandidaten eine Vorreihung sichern soll, wenn sie viele Nennungen erhalten. Die Hürden für eine Vorreihung sind dabei niedriger als die gesetzlichen Vorgaben. Damit sollen Kandidaten motiviert werden, für Stimmen zu laufen.

Damit ein Kandidat, der die ÖVP-intern vorgegebene Zahl an Vorzugsstimmen erreicht, aber sein Mandat auch tatsächlich erhält, müssen die Kandidaten vor ihm auf der Liste auf ihren Sitz im Gemeinderat verzichten. Nach der für sie erfolgreichen Wahl hat die ÖVP Anspruch auf 22 Gemeinderatsmandate in Wien. Für den Verzicht gibt es ein eigenes "Fairnessabkommen", das alle unterzeichnen mussten. Antonia Heiml tat das zwar auch, nach der Wahl habe sie aber als Einzige keine Verzichtserklärung abgegeben, heißt es von der ÖVP. Das ist zwar ein klarer Verstoß gegen die parteiinternen Spielregeln, rechtlich sind diese – Stichwort freies Mandat – aber nicht durchsetzbar.

Unauffindbare Kandidatin

Heimls Verzicht wäre deswegen wichtig gewesen, weil Jan Ledóchowski und Suha Dejmek-Khalil dank der vielen Vorzugsstimmen – Ledóchowski mit 1.758 und Dejmek-Khalil mit 1.168 – den Sprung ins Rathaus geschafft hätten, obwohl sie nur auf Platz 33 bzw. 270 der Landesliste standen. Es bleibt aber beim Konjunktiv, weil Heiml, die auf Platz 24 der Landesliste kandidierte, nicht verzichten will.

Auf diese Weise hätten Heiml und Ledóchowski ein Mandat bekommen. Weil die ÖVP ihr das aber nicht durchgehen lassen will, wird Heiml aus der Partei ausgeschlossen. Das allein würde aber noch nichts ändern, da sie auch als "wilde Gemeinderätin" einziehen könnte. Deswegen ändert die ÖVP nun auch das komplette System – und die Vorzugsstimmen haben gar kein Gewicht mehr, somit bekommt auch Ledóchowski keinen Sitz. Stattdessen werden die Mandate ganz normal über Grundmandat und Landesliste vergeben.

Die Partei versuchte die Situation offenbar schon seit Wochen zu klären, aber Heiml war nicht zu erreichen, nicht einmal über den Vater. Dieser habe erklärt, dass sie sich aufs Studium konzentrieren müsse, sagte ein Parteisprecher der APA, "daher ist auch keine Vermisstenanzeigen von unserer Seite möglich". Heiml wurde deswegen nun in Abwesenheit von der Partei ausgeschlossen.

Enttäuschter Vorzugsstimmenkaiser

Die erfolgreichen Wahlkämpfer Ledóchowski und Dejmek-Khalil ziehen also nicht in den Gemeinderat ein – die Sitze gehen stattdessen an Sabine Schwarz, die auch in der letzten Legislaturperiode im Gemeinderat saß, und Markus Grießler.

"Ehrlich gesagt möchte ich in erster Linie verstehen, warum sie das getan hat", sagt Ledóchowski zum STANDARD. "Es ist für mich nicht nachvollziehbar. Es gab viele Versuche, mit ihr zu sprechen, und wahrscheinlich hätte eine Lösung gefunden werden können."

Mit der Parteiführung ist er zufrieden, Gernot Blümel stehe hinter ihm. Damit die 1.758 Vorzugsstimmen – nur Blümel bekam mehr – nicht umsonst waren, wird Ledóchowski Bereichssprecher für Christdemokratie und Zielgruppenbetreuung. Auch Dejmek-Khalil soll noch ins Boot geholt werden, hieß es von der ÖVP Wien.

Stimmen aus dem christlichen Lager

Woher kommt die hohe Zahl an Vorzugsstimmen für die beiden Unbekannten eigentlich? Sowohl Ledóchowski als auch Dejmek-Khalil kommen aus dem christlichen Lager. Ledóchowski war bis vor kurzem Präsident der Plattform Christdemokratie, wo sich auch Dejmek-Khalil engagiert. Die Plattform hatte im Vorfeld der Wahl eine Liste christlicher Politiker aus mehreren Parteien veröffentlicht – in der Community wurde ordentlich um Stimmen geworben. "In einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft haben viele Bürger ein Bedürfnis nach authentischen christlichen Stimmen in der Politik, die für Werte wie Menschenwürde, Familie und Freiheit einstehen", sagt Ledóchowski zum STANDARD.

In einem Interview mit der Plattform "glaube.at" betonte Ledóchowski noch die Vorzüge des Vorzugsstimmensystems der Türkisen: "Als einzige Partei genügen bei ihr bereits rund 850 Vorzugsstimmen für einen Einzug in den Landtag. Bei den anderen Parteien ist die Grenze unrealistisch hoch." Und weil man zwei Vorzugsstimmen vergeben kann, solle man die zweite gleich an Dejmek-Khalil vergeben, "die seit über 30 Jahren in einer Freikirche aktiv ist und mit der ich sehr gut zusammenarbeite". Er sei überzeugt, dass es mehr als 850 Christen in Wien gibt, die christliche Stimmen im Gemeinderat sehen wollen, sagte er eine Woche vor der Wahl. "So Gott will, wird uns am 11. Oktober eine ausreichende Zahl christlicher Bürger mit einem klaren Auftrag in den Landtag schicken."

Da hätte Ledóchowski sogar recht gehabt. Weil es nun aber anders kommt, werde er "derzeit von sehr vielen Menschen kontaktiert, die sehr enttäuscht sind". Er versuche den Wählern aber die komplexe Sachlage zu erklären.

Interessant ist auch, dass auch die abgetauchte Heiml in einer Freikirche aktiv ist. "Allerdings war sie meines Wissens zuletzt in keiner konkreten Gemeinde verankert", sagt Ledóchowski. Dieses Verhalten sei auch "überhaupt nicht repräsentativ für die Mitglieder der Freikirchen, die ich als ehrliche und zivilgesellschaftlich engagierte Bürger kennengelernt habe". (Lara Hagen, APA, 18.11.2020)