Kleinere Asteroiden prasseln fortlaufend auf die Erde nieder. Dass uns in absehbarer Zukunft auch ein größerer Brocken treffen wird, schien bisher allerdings unwahrscheinlich.
Screenshot: LPIndie

Am 19. Juni 2004 entdeckten die Astronomen Roy A. Tucker, David J. Tholen und Fabrizio Bernardi vom Kitt Peak National Observatory in Arizona einen Asteroiden, der nur wenige Monate später der Erde relativ nahe kommen sollte. Kurz nachdem der vorerst 2004 MN4 benannte längliche Brocken mit einem Durchmesser von rund 350 Metern in beruhigend großem Abstand von 14,41 Millionen Kilometern vorüber gezogen war, konnte sein Orbit einigermaßen genau bestimmt werden.

Das Ergebnis erwies sich zunächst freilich als wenig erfreulich: Die Berechnungen ergaben, dass der Asteroid die Sonne in gut 323 Tagen umrundet, dabei auch immer wieder die Erdbahn kreuzt und unseren Heimatplaneten am 13. April 2029 mit einer Wahrscheinlichkeit von 2,7 Prozent sogar treffen könnte.

Chaos-Gott und Stargate-Bösewicht

Diese Gefahrenlage bescherte 2004 MN4 ein Jahr nach seiner Entdeckung schließlich seinen neuen Namen, unter dem er zu einer gewissen Berühmtheit gelangte: 99942 Apophis. Apophis ist der griechische Name von Apep, einem deklarierten Feind des altägyptischen Sonnengottes Ra. Er gilt als zerstörerischer Chaos-Gott, als böse Schlange, die in der ewigen Dunkelheit des altägyptischen Jenseits Duat lauert. Eine Rolle für diese Namensgebung mag auch die Tatsache gespielt haben, dass die Mitentdecker Tucker und Tholen deklarierte Fans der TV-Serie "Stargate SG-1" sind, in der ein prominenter Bösewicht ebenfalls Apophis heißt.

Diese Aufnahmen von Apophis gelangen am 5. und 6. Jänner 2013 mit dem Weltraumteleskop Herschel der Esa. Die Infrarotbilder zeigen den Asteroiden in den Wellenlägen 70, 100 and 160 Mikrometer (von links).
Foto: ESA/Herschel

Beunruhigender Jarkowski-Effekt

Bei weiteren Beobachtungen wurde die Bahn von Apophis jedoch deutlich präziser bestimmt, wodurch die ursprünglichen Befürchtungen ausgeräumt werden konnten: Sowohl für die Annäherungen im Jahr 2029, als auch für 2036 und 2068 sei ein direkter Treffer der Erde durch den Asteroiden weitgehend ausgeschlossen, hieß es bis vor kurzem noch. Von dieser Gewissheit rückten einige Astronomen für das Jahr 2068 jedoch wieder ab. Der Grund dafür ist ein Phänomen, das bei der Berechnung der Umlaufbahn von Apophis bisher unberücksichtigt geblieben war: der Jarkowski-Effekt.

Diesem Einfluss auf die Flugbahn liegt zugrunde, dass die Sonneneinstrahlung einen Asteroiden unter bestimmten Umständen ungleichmäßig erwärmen kann. Das führt dazu, dass auch die Wärmeenergie wieder asymmetrisch abstrahlt wird. Die Folge ist, dass der Asteroid in geringem Ausmaß in eine bestimmte Richtung abgelenkt wird.

170 Meter pro Jahr

Wie stark diese Abweichung von Apophis ursprünglichem Kurs tatsächlich ist, entdeckte ein Team um David Tholen von der University of Hawaii, nachdem es den Asteroiden während vier Nächten im Jänner und März mit dem Subaru-Teleskop auf dem Mauna-Kea-Observatorium (Hawaii) ins Visier genommen hatten. Den Astronomen gelangen dabei 18 äußerst präzise Aufnahmen, mit deren Hilfe die Position des Asteroiden jeweils auf eine Hundertstel Bogensekunde genau bestimmt werden konnte. "Das war genug, um die Auswirkungen des Jarkowski-Effekts deutlich zu erkennen", sagte Tholen.

Am Freitag, den 13. April 2029 wird Apophis voraussichtlich knapp außerhalb jener Zone vorüberziehen, in der die geostationären Satelliten kreisen.
Illustr.: NASA/JPL-Caltech

Die kürzlich beim AAS Division of Planetary Science Meeting vorgestellte Studie zeigt, dass Apophis aufgrund des Jarkowski-Effekts jedes Jahr um etwa 170 Meter von seiner bislang vorhergesagten Umlaufbahn abweicht, was auf lange Sicht eine ganze Menge ist. "Grundsätzlich liefert die Wärme, die ein Asteroid ausstrahlt, ihm einen gewissen Schub", erklärte Tholen während des virtuellen Treffens der American Astronomical Society. (Die Pressekonferenz auf YouTube finden Sie hier.)

"Die wärmere Hemisphäre des Asteroiden erzeugt dabei etwas mehr Schub als die kühlere Hälfte, und das führt dazu, dass der Asteroid von dem abweicht, was eine reine Gravitationsbahn vorhersagen würde." Mit anderen Worten: Der vermutete aber bisher nicht mitkalkulierte Jarkowski-Effekt reiche aus, "um das Einschlagsszenario für 2068 weiter im Spiel zu halten."

Obwohl über die Jahre der Orbit von Apophis um die Sonne äußerst präzise vermessen wurde, bleiben immer noch einige Unwägbarkeiten.
Foto: University of Hawaii

Glücklicherweise wird es in nächster Zeit mehrfach Gelegenheit geben, den Erdbahnkreuzer näher in Augenschein zu nehmen: Schon im kommenden Dezember sowie im April 2021 wollen Wissenschafter den Asteroiden mit dem NEOWISE-Weltraumteleskop der Nasa ins Visier nehmen. Die Annäherung an unseren Planeten am 13. April 2029 wird eine noch genauere Untersuchung ermöglichen.

Bald mit freiem Auge sichtbar

Durch die geringe Distanz von 38.000 Kilometern – das ist nur knapp außerhalb der Zone, in der geostationäre Satelliten kreisen – wird Apophis dann sogar für einige Stunden mit bloßem Auge erkennbar sein; mit seiner scheinbaren Magnitude von 3,1 strahlt er zu diesem Zeitpunkt etwas heller als die Andromedagalaxie. Bodengestützte Teleskope sollten bei dieser Passage einen detaillierteren Blick auf die Oberfläche und Form des Asteroiden gewährleisten können. "Nach diesem Besuch werden wir genaueres über seine Umlaufbahn wissen und das wird es uns viel leichter machen, mögliche zukünftige Einschlagsszenarien vorherzusagen", so Tholen.

Radaraufnahmen mit dem Goldstone Observatory in der Mojave-Wüste (Kalifornien) und dem Arecibo-Radioteleskop in Puerto Rico zeigen, dass Apophis eine längliche Form haben dürfte.
Foto: NASA/JPL

Grundsätzlich rechnen die Forscher jedoch nicht damit, dass sich die bisherige Trefferwahrscheinlichkeit von 1:150.000 für 2068 um mehr als nur ein paar Prozent erhöht. Sollten die Beobachtungen jedoch etwas anderes ergeben, sei nach Ansicht der Experten noch genug Zeit, um geeignete Gegenmaßnahmen in die Wege zu leiten. Experten rund um den Globus entwickeln bereits seit Jahren Ideen, wie gefährliche Asteroiden von unserem Planeten abgelenkt werden könnten. Die Konzepte reichen von riesigen Laserkanonen (eher unrealistisch) bis zu kinetischen Impaktoren (Tests sind in Planung), die einen sich nähernden Weltraumklumpen vom Kurs abbringen sollen.

Übung im Asteroidenabdrängen

Letzteres soll bereits in zwei Jahren im Rahmen der gemeinsame AIDA-Mission der europäischen Raumfahrtorganisation Esa und der US-Raumfahrtbehörde Nasa ausprobiert werden. Ziel des Projektes ist der 800 Meter große Asteroid Didymos, der von einem Begleiter in 1,1 Kilometern Abstand umrundet wird. Dieses inoffiziell "Didymoon" getaufte Objekt mit einem Durchmesser von rund 170 Metern soll 2022 von der DART-Sonde (Double Asteroid Redirection Test) getroffen und dadurch in seiner Flugbahn beeinflusst werden.

Bei der AIDA-Mission soll der kleinere Begleiter des Asteroiden Didymos durch einen Impaktor abgelenkt werden.
Illustr.: NASA/Johns Hopkins APL/Steve Gribben

80.000-fache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe

Aber was, wenn Apophis tatsächlich auf die Erde zurast und es nicht gelingt, ihn vom Kurs abzubringen? Berechnungen kommen zu dem Schluss, dass ein direkter Treffer durch Apophis eine Energie von 900 Megatonnen bis 1.200 Megatonnen TNT-Äquivalent freisetzen würde. Das wäre rund 20 Mal so viel Energie wie die größte je von Menschen verursachte Kernwaffenexplosion freigesetzt hat und gut die 80.000-fache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe Little Boy. Zu Land würde dies einen mindestens fünf Kilometer großen Krater in die Erdkruste schlagen. Schlimmer dagegen wären die Auswirkungen, wenn der Brocken im Ozean auftrifft. Die dabei ausgelösten Tsunamis könnten an nahen Küsten eine Höhe von mehr als 100 Metern erreichen, und selbst ferne Küsten müssten mit bis zu 30 Meter hohen Wellen rechnen. (tberg, 22.11.2020)