Wer in die Frühpension gehen will, den kostet die Abschaffung der Hacklerregelung Geld: Der Verlust kann hunderte Euro betragen.

Foto: Imago

Frage: SPÖ und FPÖ prangern "Pensionsraub" an. Was ist passiert?

Antwort: Die Regierung will, dass für einen Pensionsantritt vor dem Alter von 65 Jahren wieder Abschläge fällig werden. Das betrifft vor allem Nutzer der sogenannten Hacklerregelung: Wer 45 Arbeitsjahre hinter sich hat, kann ohne Einbußen derzeit schon ab 62 in Pension.

Frage: Gab es dieses Recht immer?

Antwort: Nein, dieses gilt erst wieder seit heuer. Vor der Wahl 2019 hat das Parlament der zwischenzeitlich abgeschafften Regelung zu einem Comeback verholfen.

Frage: Was bewirkt die Streichung?

Antwort: Wer vorzeitig in Pension will, dem wird für jedes Jahr zu früh die jährliche Pension um 4,2 Prozent gekürzt – bei einem Antritt mit 62 Jahren sind das also 12,6 Prozent.

Frage: Werden dabei auch bestehende Pensionen gekürzt?

Antwort: Nein. Das alles soll nur für Menschen gelten, die ab 2022 in den Ruhestand treten – so, wie es auch schon vor 2020 der Fall war. Die Einbußen lassen sich auch vermeiden, indem man einfach bis 65 arbeitet.

Frage: Warum dennoch die Empörung?

Antwort: Abgesehen davon, dass es auch vom Arbeitgeber und von der Gesundheit abhänge, ob jemand bis 65 arbeiten könne, sagt SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch: Wer 45 Jahre Arbeit geschafft habe, habe sich eine Pension ohne Kürzung verdient.

Frage: Sind die Abschläge also unfair?

Antwort: Ganz im Gegenteil, argumentiert der grüne Sozialsprecher Markus Koza, der den Begriff "Abschläge" für ein grobes Missverständnis hält. Erklärung: Das System ist so konzipiert, dass Männer ab 65 und Frauen ab 60 Jahren in Pension gehen sollen. Wer nun schon vor dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter geht, bezieht seine Leistung um die entsprechenden Jahre länger. Da sei es logisch, die jährlich ausbezahlte Pension nach versicherungsmathematischem Prinzip zu reduzieren, sonst käme die Person aufs ganze Leben gerechnet ja auf eine höhere Pension. De facto handle es sich bei den "Abschlägen" also um eine "Streckung" der Leistung auf mehr Jahre, so Koza, nicht um eine Kürzung.

Der Sozialforscher Bernd Marin argumentiert ähnlich und verweist auf die "Friedensformel", wonach das System 80 Prozent der Bemessungsgrundlage als Pension garantiere, wenn das gesetzliche Pensionsalter sowie 45 Arbeitsjahre erreicht seien. Bekomme eine Gruppe da Sonderrechte eingeräumt, sei das ungerecht gegenüber allen anderen.

Frage: Wer profitiert denn derzeit?

Antwort: Wegen der Eigenheiten des heimischen Systems sind das fast nur Männer. Frauen können derzeit ohnehin mit 60 Jahren ohne Abschläge in Pension. Für sie würde die Hacklerregelung erst in acht Jahren interessant, wenn ihr Pensionsalter wie geplant schrittweise in Richtung 65 Jahre steigt. Für Beamte gilt die Regelung generell nicht, für Vertragsbedienstete jedoch schon.

Anderes Charakteristikum: Mit im Schnitt 2.845 Euro pro Monat verfügt der heuer in Pension gegangene "Langzeitversicherte" – so heißt der Nutzer der Hacklerregelung korrekt – über eine überdurchschnittlich hohe Pension (Stand 1. Halbjahr 2020). Insgesamt liegen die in diesem Jahr angetretenen Alterspensionen im Durchschnitt lediglich bei 2.230 Euro (Männer) und 1.260 Euro (Frauen).

Frage: Spricht das denn gegen die Hacklerregelung?

Antwort: In den Augen der Kritiker ja: Mit dem Beschluss von 2019 schütte die Politik viel Geld für eine rein männliche, ohnehin gutsituierte Gruppe aus. Wer hingegen eine Frau ist oder wegen Arbeitslosigkeit oder Krankheit nicht auf die 45 Jahre kommt, dem bringt die Hacklerregelung nichts. Viele fleißige Leistungsträger fielen da durch, sagt der Grüne Koza.

Frage: Ist die von ÖVP und Grünen geplante Alternative sozialer?

Antwort: Das kommt auf die Perspektive an. Wer in Zukunft in die Hacklerreglung gefallen wäre, den erwarten Nachteile. Das Aus für die Abschläge habe die durchschnittliche Hacklerpension um 420 Euro im Monat erhöht, rechnet die Koalition vor, dieser Vorteil fällt nun wieder weg. Der von der Koalition geplante "Frühstarterbonus" von maximal 60 Euro pro Monat kompensiert das nur zu einem Teil.

Insgesamt soll aber gleich viel Geld ausgegeben werden, es wird eben breiter gestreut. Anspruch hat, wer zwischen dem 15. und 20. Lebensjahr mindestens zwölf Monate gearbeitet hat und am Ende auf 25 Beitragsjahre kommt. Jeder Monat zwischen 15 und 20 Jahren wird mit einem zusätzlichen Euro an Pension belohnt.

Frage: Beschwichtigt das die Opposition?

Antwort: Nein. Wenn die Koalition Frauen fördern wolle, solle sie dem Ruf der SPÖ nach einer besseren Bewertung von Kindererziehungszeiten für die Pension folgen, sagt Muchitsch. Außerdem könne sie den Starterbonus ja zusätzlich zur Hacklerregelung einführen.

Frage: Spricht da etwas dagegen?

Antwort: Die finanzielle Lage, denn die Alterung der Gesellschaft treibt die Kosten für die Pensionen ohnehin nach oben. Langfristige Prognosen bescheinigen dem System zwar ein bewältigbares Szenario, doch die Corona-Krise ist da noch nicht eingepreist. Für die nahe Zukunft rechnet das Finanzministerium auch gemessen an der Wirtschaftsleistung mit einem kräftigen Anstieg der Zuschüsse von Steuergeld ins System. (Gerald John, 19.11.2020)