Schon bei klitzekleinster Kritik an den von Sebastian Kurz verordneten Corona-Massentests reagiert man in der Kanzlerpartei ÖVP in diesen Tagen äußerst nervös. Hintergrund: Weil Kurz am Sonntag via ORF-Pressestunde der Nation völlig überraschend seine jüngste Mission im Kampf gegen das Virus verkündet hat, sind erst mit Wochenbeginn hektisch die Planungen für das von ihm begehrte breite Screening angelaufen – was aus epidemiologischer wie organisatorischer Sicht vor allem die größte Oppositionspartei SPÖ anprangert. Doch dazu später.

Massentests in Bratislava am 31. Oktober: Nach dem 6. Dezember soll es in Österreich so weit sein – und die Nervosität steigt und steigt.
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Der Kanzler selbst hielt am Mittwoch einen Gipfel mit den Sozialpartnern, der Ärztekammer sowie Experten der medizinischen Uni ab, um einen Schulterschluss für die Massentests zu erwirken – von dem Treffen existieren zwar Fotos, doch Textredakteure waren keine zugelassen. Und ein nicht ganz unwichtiger Player fehlte: Der Termin fand ohne Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) statt – "er musste ins Plenum" des Parlaments, hieß es auf Anfrage zu Anschobers Absenz in seinem Büro.

Auch im Kanzleramt versichert man: Zu den Massentests habe es am Abend davor eine Videokonferenz zwischen Kurz und Anschober gegeben – alles sei "eng abgestimmt", Anschobers Kabinett sei mit zwei Mitarbeitern beim Gipfel vertreten gewesen.

Doch erst am Vortag hatte der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) es gewagt, im STANDARD zu monieren, dass das Burgenland über die Massentests, die nach dem Lockdown österreichweit zunächst für Lehrer, später für die breite Bevölkerung erfolgen sollen, "einmal mehr nur über die Medien informiert" wurde. Dazu mahnte der ehemalige Verteidigungsminister gegenüber dem Bundesheer einen respektvolleren Umgang ein, weil den Militärs nun bloß drei bis fünf Wochen Zeit bleibt, um logistisch im ganzen Land für einen geordneten Ablauf der Tests zu sorgen.

Türkise Ablenkungsmanöver

ÖVP-General Axel Melchior rückte prompt aus und bezeichnete Doskozil als "Querulant" – und hieß ihn noch einiges mehr. Daraufhin lieferte sich die Kanzlerpartei eine wahre Aussendungsschlacht mit der SPÖ, weil deren burgenländischer Landestrupp Melchiors Rücktritt gefordert hatte. ÖVP-Vizegeneralin Gaby Schwarz echauffierte sich darüber, dass in einem Posting der Landes-SPÖ Melchior "als Sau bezeichnet" wurde – konkret hieß es auf deren Facebook-Seite: "Was juckt die Eiche, wenn sich die Sau an ihr reibt."

Zu dem Politspektakel sagt ein Regierungsinsider: Angesichts der fortschreitenden Pandemie – in Österreich wurden binnen der letzten 24 Stunden erstmals über hundert Corona-Tote gezählt – hätte das Land "andere Sorgen". Die überzogenen türkisen Reaktionen ließen sich wohl damit erklären, dass Kurz und sein Umfeld von den desaströsen Infektionszahlen ablenken wollen – nun eben mit dem Doskozil-Disput.

Zeitnahe Wiederholung steht an

Doch die SPÖ ließ dem Kanzler zur Wochenmitte weiterhin keinerlei Verschnaufpause: Gegen Mittag sezierte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner als vormalige Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit Kurz’ geplante Massentests aus virologischer Sicht. Das Problem an den Antigentests sei, dass sie jene Personen, die sich in der Inkubationszeit befänden, nicht erfassen, erklärte Rendi-Wagner – weil sie zunächst fälschlicherweise negativ aufscheinen und erst in zwei bis drei Tagen positive Ergebnisse aufweisen. Dazu hielt Rendi-Wagner, die ein möglichst breites, regelmäßiges Durchtesten nach Gruppen – also zunächst von Pflegepersonal und Lehrern – durchaus befürwortet, fest: Durch eine einmalige Testung ergebe sich kein Gesamtbild, die Tests müssten nach fünf bis zehn Tagen mindestens einmal wiederholt werden.

Immerhin: Renate Anderl, Präsidentin der Arbeiterkammer, gab sich nach dem Kanzlergipfel zufrieden, auch wenn noch viele Fragen offen seien – die Regierung habe zugesichert, dass die freiwilligen Tests zeitnah wiederholt werden sollen. (Nina Weißensteiner, 18.11.2020)