Die Schweizer Wirtschaft ist besser für die Pandemie gerüstet als die österreichische. Trotzdem steht ein zweiter harter Lockdown im Nachbarland nicht zur Debatte.

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Im Herzen Europas, entlang der Alpen, liegt eine stolze Skination, eine kleine exportorientierte Volkswirtschaft, deren achteinhalb Millionen Einwohner mit der schlimmsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg ringen. Die Rede ist natürlich von der Schweiz.

Beim westlichen Nachbarn nahm die zweite Welle der Corona-Pandemie Anfang Oktober an Fahrt auf. Die Eidgenossen verzeichneten Ende der ersten Novemberwoche rund 900 Neuinfektionen pro einer Million Einwohner. Zur gleichen Zeit wurden in Österreich etwas über 600 Fälle registriert. Mittlerweile hat Österreich die Schweiz eingeholt und überholt. Insgesamt dürfte die Schweizer Wirtschaft aber um vieles glimpflicher durch die Krise kommen als die österreichische. Woran liegt das?

Zunächst der Stand der Dinge: Die jüngsten Prognosen für Österreich haben sich angesichts des zweiten harten Lockdowns weiter eingetrübt. Die am Donnerstag veröffentlichte Schätzung des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) rechnet heuer mit einem Einbruch des heimischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von acht Prozent.

Immerhin: "Aus jetziger Sicht dürfte der zweite harte Lockdown der Wirtschaft weniger schaden als der erste" sagt der Wifo-Ökonom Stefan Schiman im STANDARD-Gespräch. Im Vergleich zum Frühling sind die globalen Wertschöpfungsketten nicht derart zum Erliegen gekommen. Die Industrie dürfte demnach im Vergleich zum Vorquartal kaum Einbußen verzeichnen.

Ohne Lockdown durch die Krise

Und die Schweizer Wirtschaft? Die soll heuer nur um 3,8 Prozent schrumpfen, wie die jüngste Prognose der Expertengruppe des Bundes im Oktober prognostizierte. Der neuerliche Anstieg der Infektionszahlen dürfte an den Wachstumsraten zwar noch kratzen. Das Minus wird aber heuer vom zweiten Quartal bestimmt, betont Jan-Egbert Sturm, Leiter der Konjunkturforschungsstelle KOF in Zürich, zum STANDARD. Daran werde das jetzige Geschehen wenig ändern.

Die Schweizer Wirtschaft steht also viel besser da als die österreichische. Warum? Im Gegensatz zu Österreich hat die Regierung in der Schweiz die Wirtschaft im Herbst nicht durch einen harten Lockdown heruntergefahren. Je nach Kanton gelten neben Masken- und Abstandspflicht diverse Beschränkungen wie maximale Gruppengrößen und frühere Sperrstunden, aber von Ausgangsbeschränkungen wie in Österreich oder auch im Frühjahr in der Schweiz ist man weit entfernt. Derzeit debattieren Gesundheitsexperten und Wirtschaftsvertreter über einen Teil-Lockdown, vor allem in der Gastronomie und für Veranstaltungen, aber den Detailhandel zuzusperren ist weiterhin tabu für Bern. Und in Sachen Teil-Lockdown gilt Österreichs Wirtschaftslage in Schweizer Medien als abschreckendes Beispiel.

Rudolf Minsch, Chefökonom des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse, sieht einen Lockdown sogar als kontraproduktiv an, wie er dem Schweizer Rundfunk sagt: "Er würde nur für Unmut sorgen und schlimmstenfalls zur Folge haben, dass sich die Leute gar nicht mehr an die Maßnahmen halten."

Besser aufgestellt

Ob ein neuerlicher Lockdown wie in Österreich oder nicht, die Schweizer Wirtschaft ist von Haus aus widerstandsfähiger, was die Pandemie betrifft. Das hat im Wesentlichen drei Gründe, wie Jan-Egbert Sturm erklärt:

Zum einen spielt der Tourismus in der Schweiz eine geringere Rolle als in Österreich. Gemessen am Beitrag zur Wirtschaftsleistung machte das Gastgewerbe im Jahr 2018 nur 2,6 Prozent in der Schweiz aus. In Österreich war der Tourismus im selben Jahr für knapp zehn Prozent des BIP verantwortlich. Auch ohne behördliche Sperren der Hotellerie sorgten Reisewarnungen dafür, dass die Branche heuer sehr leidet. Das trifft Österreich ungleich härter als die Eidgenossen.

In der Schweiz kommt hinzu, dass die Bevölkerung aufgrund der hohen Kaufkraft als Touristen im Ausland viel Geld ließen. Heuer gaben die Menschen ihr Einkommen lieber zu Hause aus. Der Handel hat den Einbruch im zweiten Quartal im dritten quasi verdaut.

Die Schweiz profitiert außerdem in dieser Krise von ihrem starken Finanz- und Versicherungssektor. Anders als in der Finanzkrise sind Banken diesmal kaum betroffen.

Und schließlich profitiert die große Pharmaindustrie in der Schweiz, man denke an Roche und Novartis, in Zeiten einer Pandemie sogar. Was beide Länder gleichermaßen trifft, ist die schlechte globale Konjunktur, die sich auf Exporte auswirkt.

Unterm Strich zeigt das Beispiel der Schweiz, wie eine Wirtschaft mit vielen Standbeinen weniger krisenanfällig ist. (Leopold Stefan, 19.11.2020)