Spielwaren für Kunden unerreichbar hinter Folie? Sortimentsbeschränkung wird zum Machtkampf zwischen Regierung und Supermärkten.

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Wien – Im Einzelhandel schlägt seit dem Lockdown die Stunde der Anwälte. Ob die ungleichen staatlichen Hilfen, die verbotenen Elektrogeräte und Spielwaren im Lebensmittelhandel oder der nur Wirten vorbehaltene Abholservice: Die neuen Regeln rund um geschlossene Geschäfte bieten unzählige Angriffspunkte.

Zu einem Machtkampf zwischen Regierung und Supermärkten spitzt sich die verpflichtende Sortimentsbeschränkung zu. Nach Spar, Hofer und Lidl ließ am Mittwoch auch die Drogerie Müller wissen, ihre bisherige Produktpalette weiter in vollem Umfang anzubieten. Das Sozialministerium wiederum pocht auf die Einhaltung seiner Verordnung, kündigt Kontrollen an und erinnert an 3.600 Euro Strafe pro Vergehen.

"Eine Verhöhnung"

Der Vorarlberger Spielzeughändler Mario Sieber fühlt sich von Interspar verhöhnt. Dieser werbe in Bälde in Prospekten mit 25-Prozent-Rabatten auf alle Spielwaren. "Das ist unlauterer Wettbewerb. Einzelne Konzerne tanzen der Regierung auf der Nase herum. Ich verstehe nicht, warum hier weggeschaut wird." In Feldkirch habe ihm die Bezirkshauptmannschaft zugesichert, nach anfänglichen Abmahnungen auch zu strafen, erzählt er dem STANDARD. Bleibe das ohne Wirkung, werde er im Ländle im Namen seiner Branche Klage gegen Supermärkte einreichen, die sich nicht an die Lockdown-Vorgaben halten.

Im Frühjahr sei ihm dabei recht gegeben worden, sagt er. "Letztlich verlief dann aber alles im Sand." Auch Elektrohändler versuchten es mit Anzeigen gegen Spar und Co, seien aber von Behörden und Polizei mit dem Argument, man habe für so etwas aktuell keine Zeit, abgewimmelt worden, ist aus ihren Reihen zu hören. "Die Frechheit der Handelsriesen siegt."

Shitstorm der Kunden droht

Klar könnte man Anträge auf eine einstweilige Verfügung stellen, sagt Red-Zac-Vorstand Peter Osel. "Dann droht uns aber ein Shitstorm: Gegen Konsumenten, die sich breite Angebote im Lebensmittelhandel wünschen, wird kein Händler gewinnen."

Für viel Emotion sorgt zudem das Verbot von "Click and Collect", also dem Abholen bestellter Ware vor den Geschäften. Anwalt Georg Eisenberger sieht keinen Grund für Händler, sich daran zu halten – solange auch Lebensmittelkonzerne eine Norm der Verordnung ohne politischen Aufschrei für ungültig erklärten.

In der Verordnung wird die Differenzierung zur Gastronomie damit argumentiert, dass im Handel nicht kontrollierbar sei, ob Kunden, die Ware abholen, diese vorbestellt haben oder nicht. Eisenberger verweist auf Bestellbestätigungen und Abholscheine.

Liefern auf den Parkplatz?

Auch Osel wähnt Händler rechtlich auf der sicheren Seite: Ware zuzustellen sei nach wie vor zulässig, der Ort der Lieferung könne ja auch ein Gehsteig oder Parkplatz vor dem Geschäft sein, welches nur nicht betreten werden darf. Das Risiko gehe dabei jedoch der Kunde ein. Die Ausgangsbeschränkungen erlauben es ihm, nur all das stationär zu kaufen, was der Grundversorgung dient.

Damit sollen Menschentrauben vor Geschäften verhindert werden. "Warum die Ansteckungsgefahr bei einer Abholung von Speisen geringer sein könnte als bei einer Abholung von einem Radiowecker, wird jedoch kein Mediziner erklären können", meint Eisenberger. Ein Wecker dient allerdings, anders als eine Pizza, für den Gesetzgeber nicht zwingend als Daseinsvorsorge.

Finanziell ins Mark treffen wird der aktuelle Lockdown viele Elektrohändler nur bedingt. Sie steigerten ihre Umsätze heuer um 21 Prozent. Vom Herd über den Dörrautomaten bis zur Gefriertruhe: Viele Österreicher rüsteten ihre Haushalte in der Krise technisch auf. Osel rechnet daher für die Branche mit einem Umsatzersatz für November von nur 20 Prozent.

Buch vom Bäcker?

Auf 40 Prozent hoffen Buchhändler, die mit einem blauen Auge durch das Jahr kommen. Großen Ketten bleibt damit zwar finanziell wenig Luft, kleine Händler mit nur einem Standort könnten jedoch den Mehraufwand für die Zustellung abdecken. Auch auf ihrem Wunschzettel steht die Möglichkeit von Abholstationen. Portofreier Versand schlucke nämlich gut zehn Prozent der Spannen, erläutert Helmut Zechner, Vorsitzender des Buchhandelsverbands.

Theoretisch könnte die Branche ihre Bücher beim Bäcker ums Eck hinterlegen. Strafen riskiert freilich auch hier der Kunde, der in Zeiten des Lockdowns Brot, aber keinen Lesestoff ins reale Einkaufssackerl legen darf. Wie auch immer – einzelne kleine Wiener Händler haben dieser Tage bereits liebevoll verzierte Bücherklappen vor ihre Geschäftstür gestellt.

Apotheken für die Seele

In Großbritannien, Italien und Belgien seien Buchhändler vom Stillstand der Wirtschaft ausgenommen. "Sie sind dort Apotheken für die Seele", sagt Zechner. Ob das aus gesundheitlicher Sicht klug ist, darüber können Virologen trefflich streiten.

Mit dem Vorsprung, den Amazon Buchhändlern während des ersten Shutdowns einräumte, rechnet Zechner diesmal nicht. Der US-Onlineriese konzentrierte damals alle Kräfte auf gefragte Produkte, die für ihn lukrativer sind und ließ Kunden bis zu zehn Tage lang auf ihre Bücher warten. "Diesen Gefallen wird uns Amazon kein zweites Mal tun." (Verena Kainrath, 19.11.2020)