Online-Graduierung am 13. November: der Hochschullehrgang Islamische Religionspädagogik im österreichischen Kontext.
Foto: Uni Graz

Nehmen wir an, der 16-jährige Deniz schließt sich einer islamistischen Gruppierung an und ist plötzlich Feuer und Flamme für den Islam, obwohl er bisher nicht besonders religiös war. Plötzlich teilt er seine Umwelt in haram, also nach islamischem Recht verboten, und halal, also nach islamischem Recht erlaubt, auf. Die österreichische Gesellschaft erlebt er nun als sündig und verkehrt, sozialen Halt findet er in seiner islamistischen Gruppe. Die Geschichte von Deniz ist erfunden, aber sie steht stellvertretend für ein reales Phänomen: dass sich nämlich Burschen, die in Österreich aufwachsen, zu radikalen Islamisten oder gar Fanatikern des Jihad – und im schlimmsten Fall, wie in Wien, zu Terroristen – werden.

"Da geht's in Richtung Radikalisierung, wenn ganz ein rigides Schwarzweißbild vorherrscht", sagt Michael Kurzmann. "Also wenn ganz klar ist: Wer ist gut und wer ist böse." Kurzmann ist Sozialarbeiter und Psychoanalytiker und leitet das ursprünglich aus Schweden stammende Projekt "Heroes" beim Verein für Männer- und Geschlechterthemen in der Steiermark. Es geht darum, junge Männer, die aus sogenannten Ehrkulturen stammen, es aber sozusagen geschafft haben und liberalen Werten positiv gegenüberstehen, zu Role-Models auszubilden. Damit gehen die spezifisch geschulten "Heroes" dann in Schulen und versuchen, Burschen aus ihnen nahestehenden Kulturkreisen, etwa über Rollenspiele, zur Selbstreflexion anzuregen.

Religionsunterricht gegen Extremismus

Foto: Christa Strobl
Wolfgang Weirer und Mevlida Mešanović etablierten einen österreichweit einzigartigen Lehrgang für islamische Religionspädagogen.
Foto: Mevlida Mešanović

Ein anderes Projekt, das sich zwar nicht nur, aber maßgeblich auch um Radikalisierungsprävention in einem frühen Stadium bemüht, findet sich ebenfalls in der Steiermark: Der katholische Religionspädagoge Wolfgang Weirer und die islamische Religionspädagogin Mevlida Mešanović von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Graz haben in einer österreichweit einzigartigen Kooperation mit der IGGÖ einen Weiterbildungslehrgang für bereits im Dienst stehende islamische Religionspädagogen in Kärnten und in der Steiermark etabliert. Der zweijährige Lehrgang, dessen Absolventen am 13. November graduiert haben, war auch dringend notwendig. Denn nur 40 Prozent der islamischen Religionslehrer in den beiden Bundesländern haben bisher eine fachliche Ausbildung in Österreich genossen.

Aber was kann eine gute islamische Religionspädagogik, die mit liberalen Werten vereinbar ist, dazu beitragen, dass sich Burschen nicht radikalisieren? Weirer, der vorausschickt, dass er sich als katholischer Religionspädagoge nicht zu sehr in eine innerislamische Debatte einmischen möchte, sieht ähnlich wie Kurzmann in fundamentalistischen Strömungen "eine starke Schwarzweißlogik": Die Aufgabe religiöser Bildung sei es, "diese Logik zu durchbrechen und zu sagen, es gibt nicht überall die eine Antwort". Dabei sei es die Chance des islamischen Religionsunterrichts, eine wertschätzende Begegnung auch mit Menschen aus anderen Kulturen zu fördern: "Das weiß ich aus eigener Anschauung, dass das auch gelingen kann." Für den 16-jährigen Deniz, der, wie wir am Anfang erwähnt haben, gerade dabei ist, sich in einer islamistischen Gruppe zu radikalisieren, könne sein Religionslehrer nämlich "auch ein Role-Model sein": "Ich glaube, diese Kontrasterfahrung ist etwas ganz Wichtiges: zu sehen, ja, so kann ich meine Religion auch verstehen."

Der Minister bremst

Glaubt man Weirer, könnte islamischer Religionsunterricht also einer der Schlüsselfaktoren sein, um islamistischen Extremismus in einem frühen Stadium zu bekämpfen. Dafür braucht es aber auch eine reguläre Ausbildung für islamische Religionslehrer, die es zurzeit in Kärnten und in der Steiermark schlicht nicht gibt. Derzeit gibt es nämlich in Wien und Innsbruck je ein Bachelor- und ein Masterstudium in Islamischer Religionspädagogik. Die Bachelorausbildung in Wien findet seit 2015 an der Kirchlich Pädagogischen Hochschule in Kooperation mit der IGGÖ statt, nachdem die zuvor bestandene private Akademie für Islamische Religionspädagogik (IRPA) unter anderem wegen augenscheinlicher Nähe zur Muslimbruderschaft in Kritik geraten war. Die restlichen Studiengänge in Wien und Innsbruck finden an staatlichen Unis statt.

Mangels Ausbildung im Süden Österreichs setzt sich Weirer politisch für ein Lehramtsstudium für islamische Religion in der Steiermark ein, worin ihn auch die Stadt Graz und das Land Steiermark unterstützen. Alle (!) Parteien des Grazer Gemeinderats haben 2018 einem Antrag zugestimmt, der das Wissenschaftsministerium zur Einrichtung einer entsprechenden Professur auffordert. Und auch wenn sich die Stadt Graz und das Land Steiermark an einer solchen Professur laut STANDARD-Informationen sogar finanziell beteiligen würden, heißt es vom Bund: bitte warten!

So heißt es aus dem Büro von Wissenschaftsminister Heinz Faßmann (ÖVP): "Die Entscheidung über die Einrichtung eines Studiums Islamische Religionspädagogik" obliege "grundsätzlich der Universität Graz". Deren Rektor, Martin Polaschek, meint wiederum, die Einrichtung des Lehramtsstudiums für islamische Religion sei ihm zwar ein großes Anliegen, "wir können das aber ohne zusätzliche Unterstützung aus dem Bildungsministerium derzeit nicht finanzieren". Wolfgang Weirer analysiert nüchtern: "Minister Faßmann sagt, die Uni soll das Geld in die Hand nehmen. Die Uni sagt, wir stehen ohnehin am Anschlag unserer finanziellen Ressourcen. Es ist ein bissl ein Schwarzer-Peter-Spiel." Es wird abzuwarten sein, ob dieses Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Universität und Bund munter weitergeht oder ob sich hier nach dem Terroranschlag von Wien noch etwas tut. (Raffael Reithofer, 23.11.2020)