Bei der Vielfalt ist es nicht leicht, den Überblick zu bewahren. Jedes Mal, wenn Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) vor die Kameras tritt, zählt er die Instrumente auf, die für Wirtschaftshilfen zur Verfügung stehen. Umsatzersatz für Gastronomie und Handel, Kurzarbeitsgeld, Fixkostenzuschuss, Investitionsprämie, Kredithaftungen.

Mit dem zweiten Lockdown ist fix, dass die Rettungspakete teurer werden als gedacht. So stellt sich die Frage: Können wir uns das leisten? Die kurze Antwort lautet: Ja. Als eines der reichsten Länder kann Österreich die Kosten stemmen. Mehr als alles andere rettet die Republik, dass die Europäische Zentralbank für niedrige Zinsen sorgt. Zu Jahresbeginn war geplant, dass die Republik 32 Milliarden Euro an Krediten nimmt. Es werden tatsächlich um die 60 Milliarden. Trotz dieser Zusatzbelastung wird Österreich 2021 weniger Zinsen für seine Schulden zahlen als in den vergangenen 30 Jahren. Das liegt daran, dass alte, teure Verbindlichkeiten auslaufen und mit niedriger verzinsten Darlehen ersetzt werden. Den Schuldenturm werden wir vorerst nicht spüren.

Geschlossene Bar in der Wiener Innenstadt.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Die zweite Wahrheit lautet, dass das nicht so bleiben wird. Wenn die Impfung bald da ist, stehen die Chancen gut, dass im kommenden Herbst ein Sparpaket ansteht. Das hat mehrere Gründe. So gibt es in der Eurozone Vorgaben, wonach Schulden auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung gedrückt werden müssen und Neuverschuldung begrenzt sein muss. Deutschland und Österreich haben schon klargestellt, dass man sich an die Vorgaben wieder halten will. Finanzminister Blümel sagt: "Wir helfen in der Not und sparen, wenn’s gut läuft." Und tatsächlich ist nicht gesagt, dass die Zinsen im Euroraum derart niedrig bleiben.

Megaherausforderung

Wenn Österreichs Wirtschaft stark wächst und keine Zukunftsausgaben anstünden, gäbe es keine Probleme. Im Idealfall wird die Wirtschaft brummen, Steuereinnahmen steigen. Doch ob die Konjunktur stark anzieht, ist fraglich. Außerdem steht viel an: Die Gesellschaft altert, für Pflege- und Altenbetreuung werden Milliarden benötigt. Die Klimakrise ist eine Megaherausforderung. In Bildung muss investiert werden. Das Ganze vollzieht sich vor einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung.

Werden also Sozialbudgets nach der Krise gekürzt? Kommen höhere Massensteuern, gibt es Erbschaftssteuern, oder setzen wir das Pensionsalter rauf? Diese Fragen werden sich stellen, aber niemand stellt sie derzeit laut. Es ist richtig, dass der Staat hilft, aber jede Ausgabe muss hinterfragt werden.

Das geschieht zu wenig. Selbst führende Ökonomen, die früher auf der Bremse standen, halten nicht dagegen. Martin Kocher ist als Chef des Fiskalrats beauftragt, über die Budgetentwicklung zu wachen. Von ihm kommt keine Kritik. Dabei gibt es Ansatzpunkte: Deutschland entschädigt wie Österreich die Gastronomie per Umsatzhilfe, rechnet aber Kurzarbeit und andere Hilfen ein. Warum tut Österreich das nicht? Umsatz ist sowieso ein schlechter, weil unscharfer Kennwert, sagt der deutsche Ökonom Gabriel Felbermayr im STANDARD.

In Deutschland werden solche Debatten geführt. Dabei hat der Nachbar vor der Krise Budgetüberschüsse erwirtschaftet. Österreich ist das kaum gelungen, wir haben mehr investiert und das Sozialsystem mehr ausgebaut. Das bedeutet auch: Nach der Krise wird die Neuausrichtung für uns schmerzhafter sein. (András Szigetvari, 19.11.2020)