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In der Pandemie stieg auch die Arbeitslast. Entschädigt dafür wurden die Lagermitarbeiter nur kurzfristig.

Foto: reuters/stapeleton

Webshops haben in der Pandemie einen Boom erlebt. Geschlossene Geschäfte und virusbedingtes Daheimbleiben haben dem stationären Handel, der sowieso zuvor schon mit der steigenden Bedeutung des Online-Shopping zu kämpfen hatte, einen Riegel vor die Tür geschoben, der Handelsverband befürchtet, dass 6.000 Geschäfte in Österreich vor dem Aus stehen könnten. Und so wird dem wohl größten Profiteur der Krise der Weg bereitet: Amazon.

Das Unternehmen schreibt Rekordzahlen, wie es sie in seiner 26-jährigen Geschichte noch nicht gegeben hat: Im dritten Quartal verdreifachte sich der Gewinn auf 6,3 Milliarden Dollar, und auch im vierten Quartal, das traditionell aufgrund des Weihnachtsgeschäfts besonders umsatzstark ist, erwartet der Konzern gar "beispiellose" Erfolge.

Fragwürdige Arbeitsbedingungen

Getragen wird das vor allem auf dem Rücken von Amazons Belegschaft, die in Lagerhallen rapide Produkte sortieren und zum Versand bereitstellen muss. Die Arbeitsbedingungen wurden in den vergangenen Jahren immer wieder kritisiert, im Laufe der Corona-Krise hat sich das aber weiter zugespitzt.

So haben etwa einem Bericht des "Guardian" zufolge Mitarbeiter einer Lagerhalle in Großbritannien pro Produkt 6,7 Sekunden Zeit, um dieses von einem roboterartigen Gerät, das die Waren befördert, zu entnehmen und richtig einzusortieren. Dabei werden sie, wie der Norddeutsche Rundfunk im Oktober recherchierte, in Echtzeit überwacht, um ihre Leistung zu messen und auf diese Weise zu kontrollieren, ob sie produktiv genug sind.

Dafür müssen Mitarbeiter ihre Arbeitsschritte scannen. Vorgesetzte haben sofort einen Zugriff auf die Aufzeichnung und können einsehen, ob der jeweilige Lagerbeschäftigte eine bestimmte Durchschnittsgeschwindigkeit erreicht. Ist jemand mehrere Minuten lang nicht im Dienst, etwa aufgrund eines längeren WC-Aufenthalts, ist das ebenso zu jedem Zeitpunkt nachvollziehbar.

"Hilfestellungen" bei Bedarf

Amazon rechtfertigte dieses Vorgehen gegenüber der "Tagesschau" damit, dass man Mitarbeitern auf dieser Weise helfe, neue Prozesse zu erlernen, bei Bedarf gebe es "Hilfestellungen". Dadurch erfolgt aber auch ein automatisierter Vergleich der Mitarbeiter und ihrer Leistungen. Wer zu wenig oder zumindest weniger als die Kollegen leistet, muss mit einer Kündigung rechnen. Entschieden wird das durch eine Software. Schnelle Mitarbeiter bleiben, langsame müssen gehen – wodurch der Druck, rasch zu sein, immer mehr steigt, weil die Durchschnittsrate der Paketsortierung immer größer wird.

Im Zuge der Pandemie stieg die Arbeitslast aufgrund der Nachfrage noch weiter. "Die Beschäftigten legen seit Beginn der Corona-Pandemie Höchstleistungen an den Tag, oft ohne hinreichenden Schutz", sagt Orhan Akman von der deutschen Gewerkschaft Verdi. Trotzdem würden sie dafür finanziell nicht entschädigt werden. "Während Amazon-Chef Jeff Bezos Milliarden verdient, hat der Konzern die Zulage von zwei Euro pro Stunde, die den Beschäftigten im März gewährt wurde, Ende Mai wieder abgeschafft", so der Gewerkschafter.

Dazu kommt Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen in den Lagerhallen – so habe es viel zu lange gedauert, bis verpflichtende Mund-Nasen-Schutzmasken eingeführt wurden. Auch die Sicherheitsabstände konnten teils nicht eingehalten werden.

Konkurrenz ausstechen

Amazon war aber bereits vor der Pandemie ein Platzhirsch – auch aufgrund einer aggressiven Strategie, um Konkurrenten auszubooten. Wettbewerbshüter der EU-Kommission werfen dem Unternehmen Verstöße gegen das Kartellrecht vor: Das Unternehmen agiert nämlich sowohl als Marktplatzanbieter als auch selbst als Verkäufer.

Es hat den Vorteil, Informationen darüber sammeln zu können, welche Produkte Kunden interessieren, wie viel sie dafür ausgeben würden, wer die großen Player auf dem Markt sind – und auch, wie übersättigt dieser ist. So weiß Amazon auch, wann ein bestimmtes Segment einen neuen Teilnehmer vertragen könnte, der die Mitbewerber aussticht.

Gemeinsam mit Amazons massiven finanziellen Möglichkeiten und seiner Strategie kann die Firma Produkte zu einem günstigeren – weil künstlich geschaffenen – Preis anbieten als Konkurrenten, insbesondere Start-Ups. Der Konzern setzt bei seinen Produkten nämlich auf Ökosysteme: Beispielsweise werden E-Reader der Marke Kindle besonders günstig an Kunden gebracht, um dann mit E-Books Gewinn zu machen.

Zusätzlich zu seinem Datenschatz hat Amazon im Vergleich zu den Unternehmen, die auf seinem Marktplatz verkaufen, einen unkomplizierten Vertriebsweg, da es selbst als Logistikanbieter fungiert – und gleichzeitig die Möglichkeit, die eigenen Erzeugnisse aggressiv zu bewerben, während gleichwertige Konkurrenzprodukte nach hinten verlagert werden. Der Ausfall des stationären Handels verwandelt den Konzern nun gänzlich zum Koloss. (Muzayen Al-Youssef, 20.11.2020)