Das 300 Millionen Euro schwere Bauprojekt ORF-Zentrum half Bau-Tycoon und Strabag-Mastermind Hans Peter Haselsteiner (76) als ORF-Stiftungsrat wieder "auf Schienen" zu bringen – nach einer "herausfordernden" Situation, als die Projektsummen erst aus dem Ruder liefen.

Sein zweites großes Ziel als Mitglied des obersten ORF-Gremiums hat Haselsteiner inzwischen abgeschrieben – eine Gesetzesnovelle, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so unabhängig von der Politik wie möglich zu machen.

Die nächste ORF-Führung bestimme Kanzler Sebastian Kurz im Sommer 2021 ganz allein mit der türkisen Mehrheit im "nur scheinbar unabhängigen" Stiftungsrat, sagt Haselsteiner im STANDARD-Interview. Sie zeige kein Interesse, daran etwas zu ändern, und die Grünen enttäuschten da.

Haselsteiner gibt sein Parteimandat der Neos im ORF-Stiftungsrat vor diesem Hintergrund ab. Eine – noch ungenannte – "Medienexpertin mit hoher fachlicher Kompetenz und Schwerpunkt Digitalisierung" solle die Funktion im obersten ORF-Gremium übernehmen. Dafür brauche es Medienfachleute, da sei er "Laie". Neos-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger habe schon eine kundige Kandidatin, der Klub im Nationalrat entsendet sie.

"Über die ORF-Besetzung entscheidet Bundeskanzler – wie einst Caligula"

STANDARD: Sie ziehen sich aus dem ORF-Stiftungsrat zurück – warum verlassen Sie das wichtigste ORF-Gremium?

Haselsteiner: In den nächsten Monaten und Jahren kommen auf ORF-Stiftungsräte Aufgaben zu, die Medienfachleute übernehmen sollten. Diese Kompetenz konnte ich für mich nie in Anspruch nehmen. Ich bin da ein Laie.

STANDARD: Immerhin baut der ORF gerade für 300 Millionen Euro seine Unternehmenszentrale neu.

Haselsteiner: Ich habe den Neubau begleitet und die damit verbundenen Probleme und Thematiken. Das war eine herausfordernde Situation für den ORF, aber das ist jetzt auf einem guten Weg. Was ich gerne erreicht hätte, wäre eine Gesetzesnovelle, die den ORF und sein Statut reformiert und ihn unabhängiger macht. Da hätte ich gerne mitgeholfen.

STANDARD: Danach sieht es derzeit nicht aus.

Haselsteiner: In der Zwischenzeit ist klar: Diese Novelle kommt nicht. Das Bauprojekt ist auf Schienen. Und was noch zu tun bleibt, ist nicht mein Kerngebiet. Also stellt sich die Frage: Wer kann das besser als ich? Da wird die Klubobfrau und Parteichefin fündig werden und den Namen bekanntgeben.

STANDARD: Sie wollen Ihren Nachfolger oder Ihre Nachfolgerin noch nicht verraten?

Haselsteiner: Nein. Aber es wird jemand mit hoher fachlicher Kompetenz sein, eine Medienexpertin mit Schwerpunkt Digitalisierung.

STANDARD: Ist das nicht ein komischer Zeitpunkt für einen Rückzug aus dem Stiftungsrat? In ein paar Monaten, im Sommer 2021, bestimmt dieses ORF-Gremium die ORF-Führung für die nächsten fünf Jahre ab 2022. Eine fundamentale Entscheidung für diesen ORF.

Haselsteiner: Diese fundamentale Entscheidung ist ausschließlich in der Hand des Bundeskanzlers. Alles andere ist eine Illusion.

STANDARD: Weil die ÖVP seit der Koalition mit den Grünen die nötige Mehrheit in diesem Stiftungsrat allein hat?

Haselsteiner: Das ist ein Formalakt. Über die künftige ORF-Besetzung entscheidet der Herr Bundeskanzler – wie einst Caligula mit Daumen rauf oder Daumen hinunter.

STANDARD: Wo Sie nicht mehr mitstimmen über die nächste ORF-Führung, können Sie uns ja vielleicht noch offener sagen: Wie würde denn Ihr Anforderungsprofil für den ORF-Chef oder die ORF-Chefin aussehen, einen Generaldirektor für Österreichs größtes Medienunternehmen?

Haselsteiner: Ich würde mich der Antwort lieber entschlagen, ich bin nicht kompetent genug, ein solches Profil zu erstellen. Für mich, der ich – noch – von einer politischen Partei in den Stiftungsrat entsandt bin, ging und geht es in erster Linie darum: Wie kann man eine Struktur schaffen, die wahrlich politisch unabhängig ist und nicht nur scheinbar unabhängig. Ich hasse diese Scheinheiligkeit, wenn alle so tun, als würde der Stiftungsrat entscheiden. Da lachen die Hühner. Das ist Fiktion, beschämend für viele, die da drinsitzen.

STANDARD: Sie sitzen seit 2014* in diesem Gremium: Wie läuft es denn wirklich im Stiftungsrat?

Haselsteiner: In Wahrheit ganz einfach: Der Generaldirektor stimmt sich mit seinen drei Gesprächspartnern ab – das sind der Vorsitzende des Stiftungsrats und die zwei Ausschussvorsitzenden.

STANDARD: Also mit dem Ratsvorsitzenden Norbert Steger (FPÖ), mit Thomas Zach (ÖVP) als Leiter des bürgerlichen Freundeskreises und Vorsitzender des Finanzausschusses und mit Franz Medwenitsch (ÖVP), dem Vorsitzenden des Programmausschusses.

"Im Stiftungsrat sitzen zu wenige medienkompetente Menschen": Hans Peter Haselsteiner über das oberste ORF-Gremium.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Haselsteiner: In der Tagesarbeit gibt es keinen Kritikpunkt. Mit einer Ausnahme: Im Stiftungsrat sitzen zu wenige medienkompetente Menschen – es gibt allerdings Ausnahmen wie Medwenitsch. Stiftungsräte werden ja nach anderen Gesichtspunkten ausgewählt.

STANDARD: Nämlich?

Haselsteiner: Aus politischer Opportunität, überwiegend jedenfalls.

STANDARD: Und warum waren Sie dann dort?

Haselsteiner: Mein Anliegen war, nach Möglichkeit ein Modell zu implementieren, mit dem der ORF so unabhängig wie möglich wird – oder zumindest unabhängiger.

STANDARD: Wie soll das gehen?

Haselsteiner: Eine große Stifterversammlung mit nur 13 politischen Vertretern, 13 Vertretern gesellschaftlicher Gruppen von Unis und NGOs bis zu Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden und 26 Gebührenzahlern, ausgewählt wie Schöffen bei Gericht. Die Versammlung bestellt einen Aufsichtsrat nach öffentlichen Hearings, der bestellt einen Vorstand, befristet auf zwei Perioden.

STANDARD: Das Konzept ist schon ein paar Jahre alt – und offenbar weit entfernt von einer Umsetzung.

Haselsteiner: Reinhold Mitterlehner wäre als ÖVP-Chef und Vizekanzler bereit gewesen, aber der damalige Medienminister Thomas Drozda (SPÖ) oder Kanzler Christian Kern (SPÖ) hatten Bedenken. Und nun ist das Problem mit der Mehrheit einer Partei im Stiftungsrat so offensichtlich wie nie.

STANDARD: Die ÖVP von Sebastian Kurz wird sich diese Mehrheit nicht wegreformieren lassen.

Haselsteiner: Und die Grünen sind gelähmt, die haben sich über den Tisch ziehen lassen. Wichtig wäre, eine Diskussion in Gang zu bringen, das richtige Konzept wird sich dann finden. Auch das von mir vorgeschlagene Konzept ist als Diskussionsgrundlage zu verstehen.

STANDARD: Wie lautet denn Ihr Befund über die aktuelle ORF-Geschäftsführung?

Haselsteiner: Das würde ich nicht über die Medien ausrichten.

STANDARD: Aber Sie haben Alexander Wrabetz 2016 gewählt.

Haselsteiner: Es gab zwei Kandidaten, Alexander Wrabetz und Richard Grasl. Für mich war die Entscheidung ziemlich eindeutig. Auch wenn mir zuwider war, dass der eine ein SPÖ-Ticket hatte und der andere ein ÖVP-Ticket – in einem angeblich unabhängigen ORF. Grasls Konzept hätte eine noch wesentlich größere Abhängigkeit von ihm als Generaldirektor bedeutet.

STANDARD: Aber heute läuft doch eigentlich auch alles beim Generaldirektor zusammen – der ist Chef der Channel-Manager und eigentlich auch oberster Informationsverantwortlicher.

'"Für ein so großes Unternehmen ist es völlig unüblich, einen einzelnen Geschäftsführer zu haben."

Haselsteiner: Mehr oder weniger. Ich habe damals darauf bestanden, dass die Geschäftsordnung geändert wird und sich Herr Wrabetz zum Vorstandsprinzip bekennt. Das steht in seinem Vertrag. Nach außen ist aber bisher kaum erkennbar, dass die Geschäftsführung ein Gremium ist, das gemeinsam entscheidet. Für ein so großes Unternehmen ist es völlig unüblich, einen einzelnen Geschäftsführer zu haben.

STANDARD: Warum das?

Haselsteiner: Kein Eigentümer würde einen Alleinherrscher einsetzen, wenn's sein Geld ist.

STANDARD: Für die Politik scheint es praktisch zu sein.

Haselsteiner: Selbstverständlich ist das praktisch.

"Wenn man ihm dann sagt, dass sei eine intellektuelle Beleidigung und er soll einen anderen pflanzen, tut er erstaunt."

STANDARD: Sehen Sie irgendeine Reformchance?

Haselsteiner: Es scheint mir einen Konsens zwischen ÖVP und Grünen zu geben, dass daran nichts geändert wird. An der Verfassung des ORF, in seinem Statut ändert sich nichts, hat mir der Medienbeauftragte des Kanzlers, Gerald Fleischmann, erklärt: Er sehe keinen Reformbedarf, es funktioniere eh alles so gut, und der ORF-Stiftungsrat sei ohnehin unabhängig. Wenn man ihm dann sagt, dass sei eine intellektuelle Beleidigung und er soll einen anderen pflanzen, tut er erstaunt. Und die Grünen sind diesbezüglich eine große Enttäuschung.

STANDARD: Sie waren zuletzt im Stiftungsrat sehr allein mit einem Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung: Der Vorsitzende des Gremiums sollte demnach neu bestellt werden, sobald ein Zehntel der Mandate im Stiftungsrat neu besetzt wird.

Haselsteiner: Ich war die einzige Stimme für den Antrag, ein Stiftungsrat enthielt sich. Die übrigen waren dagegen.

STANDARD: Warum sollte der Vorsitzende neu bestellt werden?

Haselsteiner: Damit er weiterhin eine Legitimation hat. Wenn sich die Zusammensetzung des Gremiums über eine Funktionsperiode ändert, hat vielleicht am Ende kaum die Hälfte der Mitglieder für diesen Vorsitzenden gestimmt. So bleibt der FPÖ-Stiftungsrat Steger Vorsitzender bis ins Jahr 2022, wenn er nicht selbst geht.

STANDARD: Vielleicht sind alle anderen, außer Ihnen, so begeistert von Steger.

Haselsteiner: Ich habe meinen Antrag ja erklärt: In erster Linie sollte ein Vorsitzender die größtmögliche Legitimation haben, aber ich verhehlte nicht, dass der amtierende Vorsitzende ein zusätzliches Argument für diesen Antrag lieferte. Er ist ein erklärter und in zahllosen Äußerungen dokumentierter Gegner des ORF. Jemand, der dem ORF schweren Schaden zugefügt hat oder zufügen will, sollte diesem Gremium nicht vorsitzen. Und wenn er mit den Äußerungen nur seiner Partei gedient haben sollte, dann müsste er auch die Konsequenzen ziehen. Da aber die Grünen und die Türkisen der Meinung sind, dass man das so belassen sollte …

"Natürlich geht es da um die Parteiinteressen. Aber das ... pipifein – aus der Sicht der ÖVP."

STANDARD: Sie haben erwähnt, dass Sie mit Gerald Fleischmann gesprochen haben, dem Medienbeauftragten des Bundeskanzlers. Was ist Ihr Eindruck von der Medienpolitik der Kurz-ÖVP?

Haselsteiner: Diese Medienpolitik ist geprägt von höchster Professionalität und Konsequenz.

STANDARD: Professionalität im Sinne unabhängiger Medien oder Professionalität im Sinne der medialen Darstellung von Parteichef und Partei?

Haselsteiner: Natürlich geht es da um die Parteiinteressen. Aber das ... pipifein – aus der Sicht der ÖVP. Dafür ist ein römischer Einser zu vergeben – für Präzision und strategische Vorausschau. Medienpolitik im Sinne der Partei- und Regierungsinteressen. Das ist legitim, aber demokratiepolitisch sind die Rahmenbedingungen nicht gut.

STANDARD: Was wäre demokratiepolitisch gut?

Haselsteiner: Weniger Einfluss, weniger Gängelband, weniger Millionen, die mit Erwartungen verknüpft sind.

STANDARD: In der Wirtschafts- und Werbekrise mit dem Corona-Lockdown ist 2020 der Anteil öffentlicher Inserate und Förderungen gestiegen. Das hat vermutlich die Existenz einiger Medien gesichert – andererseits aber die Abhängigkeit von öffentlichen Geldern erhöht.

Haselsteiner: Sie sind ein Betroffener, daher will ich mich nicht äußern. Man kann auch von Korruption sprechen.

STANDARD: Korruption kann aber erst entstehen, wenn eine Gegenleistung erbracht wird. Sonst könnte es schlimmstenfalls ein Korruptionsversuch sein.

Haselsteiner: Geschenkt. Das genügt schon. Was wurde nicht alles darüber geschrieben, warum – mit welcher Erwartungshaltung – ich den Neos 100.000 Euro gegeben habe ... Für die Millionen an Steuergeld, die die Medien erhalten haben, soll und kann sich niemand was erwarten?

STANDARD: Die Neos – vor allem ihr damaliger Mediensprecher Niko Alm – haben noch vor ein paar Jahren den ORF in seiner heutigen Form und die Gebührenfinanzierung des ORF infrage gestellt. Inzwischen plädiert die Partei des Wirtschaftsliberalismus für Gebühren oder gar eine Haushaltsabgabe. Wie sieht das der Neos-Mitbegründer?

Haselsteiner: Die Finanzierung des ORF ist auch bei den Neos in Diskussion. Ich glaube, dass eine Mehrheit für eine Haushaltsabgabe zu gewinnen ist. Die Mehrheit möchte einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgesichert haben. Natürlich sind so gesicherte Einnahmen ein Widerspruch zum Wunsch, dass der ORF unternehmerisch und sparsam wirtschaftet. Aber man kann dafür Anreize schaffen, für Wertschöpfung im eigenen Land, für ein eigenes Profil ...

STANDARD: Aber Sie sind nicht nur für den ORF, solange Sie das Gesetz als Stiftungsrat seinem wirtschaftlichen Wohl verpflichtet?

Haselsteiner: Der ORF ist eine wichtige Säule der Medienlandschaft und damit der Demokratie. Ich halte diesen öffentlich-rechtlichen Rundfunk für wichtig. Und wenn ich ihn unterstützen will, muss ich ihn auch finanzieren. Aber auch ich würde mir wünschen, dass es für diese Finanzierungen Bedingungen und Lenkungsmaßnahmen gibt. Dass man die Geschäftsführung zwingt nachzudenken, was dieser Auftrag bedeutet.

"Der ORF schleppt – wie andere österreichische Institutionen – eine jahrzehntealte Bürde hinter sich her."

STANDARD: Haben Sie den Eindruck, dass der ORF heute nicht so sparsam, wirtschaftlich und zweckmäßig agiert, wie es geboten wäre?

Haselsteiner: Der ORF schleppt – wie andere österreichische Institutionen – eine jahrzehntealte Bürde hinter sich her. Es gibt im ORF noch Verträge nach dem Prinzip wünsch dir was, die nur noch von der Nationalbank und vielleicht ein paar anderen übertroffen werden. Bei den neuen Verträgen ist das sehr abgespeckt.

STANDARD: Unser Ausgangspunkt war Unabhängigkeit.

Haselsteiner: Das wäre das Anliegen.

STANDARD: Wenn das weitaus größte Medienunternehmen des Landes großteils öffentlich finanziert ist und öffentlich kontrolliert ist, also politischer Kontrolle unterliegt ...

Haselsteiner: ... das ist der Istzustand.

STANDARD: ... ist das kein Widerspruch zu wirtschaftsliberalem Denken? Könnten nicht private, privat finanzierte Medien unabhängiger sein?

Haselsteiner: Wenn Sie in die USA schauen, wo öffentlich-rechtliche Medien praktisch keine Rolle spielen, dann können sie die segensreiche Wirkung von Fox News beobachten. Ich möchte das nicht. Ich habe nichts gegen Fox News. Ich habe auch nichts gegen "Oe24" ...

STANDARD: ... oder Servus TV, das scheint sich mehr und mehr als österreichische Variante von Fox News zu positionieren.

Haselsteiner: Ich habe nichts dagegen. Aber ich möchte nicht den ORF dagegen eintauschen oder dadurch in Gefahr bringen lassen. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk mit einem demokratiepolitischen Auftrag wird immer wichtiger. Verlässliche Information, nicht manipuliert, mit Redakteursstatuten und Vielfalt der Meinungen. Je mehr und abstruser die Fülle von Desinformation auf uns einströmt, desto wichtiger wird das. Und diese Desinformation kommt an, sie wird geglaubt.

STANDARD: Ein wesentlicher Teil der Menschen will offenbar nicht wissen, was ist, sondern was ihre Sicht der Welt bestätigt.

Haselsteiner: Und damit ist ein Geschäftsmodell verbunden. Es kann ein wirtschaftlicher Vorteil daran geknüpft sein, Menschen in die Irre zu führen. Da muss jeder Liberale die Grenze ziehen. Daher glaube ich, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Europa eine ganz, ganz wichtige Rolle spielt. Gerade wenn es die Tendenz zu autoritären Regimen, zu autoritären Persönlichkeiten gibt.

"Das Jahr 1933 wäre wieder möglich. Nicht nur in der Türkei oder in Ungarn."

STANDARD: Ungarn oder Polen haben aber auch gezeigt, wie schnell ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk auf Linie zu bringen ist.

Haselsteiner: Daher braucht es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der politisch unabhängig ist. Wie es auch Höchstgerichte braucht, die politisch unabhängig sind. In der Justiz fängt es an, bei den Medien geht weiter. Das sind Grundpfeiler der Demokratie. Wenn die weg sind, sind wir beim Teufel. Das Erschreckende ist ja: Das Jahr 1933 wäre wieder möglich. Nicht nur in der Türkei oder in Ungarn.

STANDARD: Vermutlich ist auch das unabhängigste System mit den nötigen Mehrheiten umkehrbar.

Haselsteiner: Und es wird auch kein perfektes Modell geben. Es geht um so wenige Schwächen wie möglich und so viel Unabhängigkeit wie denkbar. Da könnte das Gesetz noch große Verbesserungsschritte machen. Ich bedaure, dass es mir nicht gelungen ist, dafür Mitstreiter zu finden.

STANDARD: Und die nun mit einer Mehrheit im ORF-Stiftungsrat ausgestattete ÖVP hat vermutlich besonders wenig Interesse daran.

Haselsteiner: Regierungsparteien agieren so, als wären sie ewig an der Macht. Es ist erstaunlich, dass sie nicht weiterdenken, dass wieder andere an die Macht kommen. Es wird nicht ewig dauern, bis die Mehrheiten wieder umgedreht werden. Es wäre für alle sinnvoller, sich auf ein vernünftiges Modell zu einigen. Für die Neos ist die Verfassung des ORF ein Thema. In unseren Augen ist der ORF zu wenig unabhängig, zu sehr am Gängelband, nicht nur über die öffentliche Finanzierung, sondern vor allem über die Möglichkeit, unmittelbaren Einfluss auf die Geschäftsführung zu nehmen, indem man sie bedroht mit der Abwahl oder belohnt mit der Wiederwahl.

"Alexander Wrabetz hat viele Talente, er ist ein sehr gescheiter Mensch. Und er ist ein wirklich erstaunlicher Diplomat."

STANDARD: Haben Sie einen Tipp für Ihre Nachfolgerin für die Generalswahl 2021? Oder sagen Sie: Eh egal, die Türkisen suchen sich die nächste Führung ohnehin allein aus.

Haselsteiner: Schauen wir einmal, wie die Ausschreibung aussieht. Und dann werden wir sehen, ob es unter dem gegebenen Regime Kandidaten gibt. Dieses ORF-Gesetz ist für einen jungen, guten Supermann nicht attraktiv.

STANDARD: Weil der ORF-Chef nur 420.000 Euro pro Jahr plus Dienstwagen erwarten darf?

Haselsteiner: Nein. Solche Menschen wollen diese politische Einflussnahme nicht.

STANDARD: Hätten Sie jemanden, wüssten Sie jemanden?

Haselsteiner: Immer den armen Breitenecker (lacht).

STANDARD: Markus Breitenecker, der Gründer und langjährige Boss von Österreichs größter privater Sendergruppe ProSiebenSat1Puls4, wäre ein Kandidat nach Ihren Vorstellungen?

Haselsteiner: Er scheint mir jedenfalls ein tüchtiger Fachmann zu sein, das muss man ihm lassen. Aber ich bin kein Medienprofi. Ich glaube, es gäbe ein paar, die infrage kämen.

STANDARD: Der amtierende ORF-General Alexander Wrabetz wirkt sehr entschlossen, 2021 noch einmal anzutreten. Würden Sie darauf wetten, dass Wrabetz noch einmal als ORF-Generaldirektor verlängert wird?

Haselsteiner: Alexander Wrabetz hat viele Talente, er ist ein sehr gescheiter Mensch. Und er ist ein wirklich erstaunlicher Diplomat. Ich würde nicht darauf wetten. Vor einem Jahr hätte ich dagegen gewettet. Heute würde ich das nicht mehr tun. Ich glaube, seine Chancen sind intakt. Es sind aber noch neun Monate. Da kann noch viel passieren, auch im letzten Augenblick. Wer wird sich nicht aller bei Kurz anstellen mit: Ich möchte das unbedingt werden!

STANDARD: Ich glaube, da steht schon eine ganze Reihe. (Harald Fidler, 20.11.2020)