Komponist Friedrich Cerha überarbeitete für Wien modern seine "Mikrogramme", die an Filmmusik von Elmer Bernstein erinnerten.

Foto: H. Corn

Auf die neue Normalität des Sommers 2020 folgte bald der alte Ausnahmezustand: ein Herbst des pandemischen Missvergnügens. Konzerthäusern und den darin stattfindenden Festivals wurde die Präsenz ihres Publikums untersagt. Doch in der schiachen neuen Welt lindert die Technik einen Teil der Verlustschmerzen: Das Streaming ersetzt die Besucherströme und versorgt Interessierte mit Live-Eindrücken. So wurde und wird auch beim Festival Wien Modern während des Lockdowns feste musiziert. 44 Prozent der Konzerte konnten im November im Netz oder via Ö1 präsentiert werden, nur ein Fünftel der ursprünglich geplanten Veranstaltungen musste ersatzlos gestrichen werden.

Das Konzert des Klangforums Wien im Mozart-Saal des Konzerthauses konnte am Mittwochabend stattfinden; eine Handvoll Musikjournalisten durfte – nach vor Ort absolviertem und bestandenem Covid-Schnelltest – sogar dabei sein.

Schwingungskunde mit Alexa

Uraufführungen eines Jung- und eines Altmeisters der hiesigen Tonschöpferschaft bildeten das Zentrum des von Johannes Kalitzke freundlich-korrekt koordinierten Programms. Matthias Kranebitter, jüngst mit dem Erste-Bank-Kompositionspreis ausgezeichnet, lud mit seinem Werk Encyclopedia of pitch and deviation zu einer Viertelstunde komprimierten Schwingungskundeunterrichts mit dem Sprachassistenten Alexa.

Der 40-jährige Komponist, dessen Kammeroper Amerika oder Die Infektion im Oktober beim Festival des Sirene-Operntheaters begeistert hatte, setzte sich in umfassender Weise mit dem Festivalmotto "Stimmung" auseinander und beschäftigte sich mit Planetenbahnobertönen wie mit Insektenflügelschlaggeschwindigkeiten – gesellschaftskritische Nebentöne miteingeschlossen. Schnelle Schnitte zwischen Turbomodus und Slow Motion forderten Konzentration und unterhielten genauso wie virtuose Verschmelzungen von Zuspielungen und Präsenzmusik.

Aufgeräumte Klänge

Ein erzählerischer Gestus, eine abwechslungsreiche Dramaturgie und klare, aufgeräumte Klangbilder fesselten in Friedrich Cerhas Neufassung seiner Mikrogramme. Deren Herzstück erinnerte mit ihrer gediegen gearbeiteten Melodramatik an Elmer Bernsteins Filmmusik zu Todd Haynes’ Far from Heaven. Abwechslungsreiche Filmmusik ohne Film bot Johannes Kalitzkes Werckmeister Harmonies: von Horror über Action bis Romanze, alles dabei. Bei Joanna Bailies Symphony-Street-Souvenir konnte man wiederholt der Zeit beim Verdicken und beim Einfrieren zuhören: ein tonsetzerisches One-Trick-Pony, jedoch nicht ohne Faszination. (Stefan Ender, 20.11.2020)