Christoph Wiederkehr (Neos) und Michael Ludwig (SPÖ) wollen eine "Fortschrittskoalition" eingehen. Darüber, wie viel pinke Handschrift in dem Abkommen enthalten ist, gibt es unterschiedliche Ansichten.

Foto: Hendrich

Die rot-pinke Koalition sei nichts anderes als Rot-Grün "mit neuem Anstrich". So fiel diese Woche die schnelle Reaktion der Wiener ÖVP auf das erste sozialliberale Koalitionsprogramm aus. De facto ginge es genau so weiter wie bisher, kritisierte der designierte Klubchef der Türkisen, Markus Wölbitsch.

Liberale Inhalte vermisst auch der Leiter des wirtschaftsliberalen Thinktanks Agenda Austria, Franz Schellhorn. "Mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen" habe man den Sozialdemokraten "alle Wünsche erfüllt und keine einzige liberale Kernforderung" durchgebracht, kritisiert er.

Schwierige Verortung

An der pinken Basis werden diese Bedenken nicht geteilt. 95 Prozent der Mitglieder stimmten für die "Fortschrittskoalition", wie Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und der designierte Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) die Zusammenarbeit nennen.

"Die einen sagen, wir sind links, die anderen sagen, wir sind neoliberal", fasste es Wiederkehr im Wahlkampf selbst zusammen. Für ihn allesamt "veraltete Kategorien". Aber natürlich spielt die klare Verortung einer Partei für viele Menschen eine wichtige Rolle. Und um für eine zweite Runde Rot-Pink infrage zu kommen, müssen die Neos zulegen. Da bietet sich der grüne Wählerpool natürlich an.

G'riss um grüne Inhalte

Die Frage, ob die Neos die neuen oder besseren Grünen sind, wird spätestens seit dem Nationalratswahlkampf 2019 thematisiert. Damals war der Klimaschutz durch den heißen Sommer und Fridays for Future Thema Nummer eins, und die Neos besetzten es rasch und intensiv, überzeugten darüber hinaus auch Klimaexperten mit einem runden Programm.

Im rot-pinken Koalitionspakt nimmt der Klimaschutz viel Raum und auch Budget ein. Ein Klimaschutzgesetz ist geplant, ein Zeitrahmen, um Co2-neutral zu werden, ebenso. Ambitionierte Ziele gibt es auch für den Radwegeausbau, für den jedes Jahr 20 Millionen Euro zur Verfügung stehen sollen – ein grünes Kernthema. Bis 2022 soll das Stadtzentrum außerdem verkehrsberuhigt werden. 25.000 neue Bäume im Straßenraum oder das Aufbrechen von Asphaltflächen, um Sträucher und Blumen zu pflanzen, ist ebenso verankert. Die Message ist klar: Umweltschutz geht auch ohne die Grünen.

Hier dürften jedoch auch die Roten eine Chance sehen: Schon im Wahlkampf versuchte Ludwig, seine SPÖ als Klimaschutzpartei zu positionieren. Nun hat er die Möglichkeit, das Öko-Image der SPÖ aufzubauen. Noch-Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky soll ein neues "Zukunftsressort" führen, und dem Klima- und Umweltschutz einen roten Anstrich verpassen.

Ein Pinker im roten Terrain

Dass Czernohorszky den Posten als Bildungsstadtrat an die Neos abgegeben hat, dürfte ihm nicht allzu schwergefallen sein. Inhaltlich sind die Pinken und die Roten prinzipiell auf einer Linie: Dass die Gesamtschulen ausgebaut, zusätzliches Personal eingestellt und ein Chancenindex für die Vergabe von zusätzlichen Ressourcen für Brennpunktschulen erarbeitet werden soll, ist hier und dort ein Anliegen gewesen und wurde teilweise auch in der letzten Legislaturperiode bereits auf den Weg gebracht.

Das Thema ist Wiederkehr ein Herzensanliegen. Vor zwei Jahren reiste er mit der pinken Bildungssprecherin Bettina Emmerling nach London. Dort wurden Anfang der 2000er Millionen in die Hand genommen, um Brennpunkt- zu Vorzeigeschulen zu machen – erfolgreich. Wiederkehr nahm viele Ideen mit nach Österreich – mehr Autonomie für Schulen etwa –, vor allem aber, dass es "den ganz großen Wurf" und keine Reförmchen, brauche.

Wie viel Spielraum Wiederkehr im Bildungsbereich haben wird, hängt schlussendlich aber davon ab, wie sehr Themen tatsächlich vor Parteizugehörigkeit gestellt werden. Denn das Ressort bleibt in rote Strukturen eingebettet. Mit Heinrich Himmer sitzt beispielsweise weiterhin ein Roter an einer Schlüsselposition – der Bildungsdirektion. (Lara Hagen, Oona Kroisleitner, 19.11.2020)