Die ersten freiwilligen Massentests in Österreich werden Anfang Dezember starten – in der Slowakei fanden sie – nicht ganz freiwillig – in mobilen Untersuchungszelten statt.

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Wien – Unter höchster Geheimhaltungsstufe und Hektik sind zu Wochenbeginn die Planungen für die Operation "Massentests" mit dem Gesundheits- und dem Verteidigungsministerium angelaufen, die Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Sonntag für Dezember angekündigt hat: Zunächst sollten laut Kurz nach dem Lockdown Lehrer abgetestet werden, danach und noch vor Weihnachten breitere Bevölkerungsteile, um möglichst virenfreie Festtage zu ermöglichen. Die Details zu dem "Angebot" für die Bevölkerung werden am Ende der Woche nachgereicht, hieß es im Vorfeld – und erst mit Freitagvormittag stand das konkrete Prozedere fest: Die Medien wurden zum Ablauf der Massentests nicht zu einer Pressekonferenz geladen, sondern mit einem Informations-Sheet aus dem Kanzleramt informiert.

Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) bei der militärischen Ehrenaufstellung am Nationalfeiertag – im Dezember rückt das Bundesheer für die Massentests aus, um zeitlich für einen möglichst zackigen Ablauf zu sorgen.
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Um 12.43 Uhr war es dann so weit: Gemäß dem an die Medien übermittelten Papier sind bereits sieben Millionen Tests bestellt, weitere Bestellungen in Planung – und es werden dafür "das Bundesheer und zivile Einsatzkräfte mobilisiert", wie es in dem Schreiben heißt. Der breit angelegte Massentest werde zudem mehrmals durchgeführt. Außerdem erfolge schon seit Wochen der Ausbau der Screening-Programme für Alten- und Pflegeheime.

Konkret sollen für die Massentests die Antigentests der Firmen Roche und Siemens zum Einsatz kommen. Beide Tests werden derzeit von der Wissenschaft (zum Beispiel Med-Uni Wien) sowie der Ages als die verlässlichsten auf dem Markt verfügbaren Tests bewertet, heißt es in der Medienunterlage. Bei Roche wurden diese Woche über die Bundesbeschaffungs-GmbH (BBG) vier Millionen Tests bestellt, bei Siemens drei Millionen – macht eben insgesamt sieben Millionen Stück. Der vorläufige Kostenpunkt dafür beträgt rund 50 Millionen Euro. Weitere Bestellungen von Kontingenten befänden sich in Vorbereitung.

Pädagogen am 5. und 6. Dezember dran

Am ersten Dezemberwochenende werden am Samstag, dem 5. 12., und Sonntag, dem 6. 12. – quasi gegen Ende des harten Lockdowns – alle Lehrerinnen, Lehrer, Kindergartenbetreuerinnen und Kindergartenbetreuer getestet. Für die Abwicklung und Abnahme der Tests wird es über hundert Stationen in allen Bezirkshauptstädten geben. Für große Flächenbezirke sind zusätzliche Stationen möglich.

Nähere Information für das gesamte Lehr- und Betreuungspersonal über Zeitpunkt und Ablauf der Testung wird vom Bildungsministerium über die Landesbildungsdirektionen sowie Bezirksschulbehörden koordiniert. Eine zweite Testung erfolgt in der darauffolgenden Woche. "Diese Testreihe umfasst rund 200.000 Personen in ganz Österreich", ist im Kanzleramtspapier zu lesen.

Danach kommt die Polizei

In einem zweiten Schritt werden am 7. und 8. Dezember alle rund 40.000 Polizistinnen und Polizisten getestet, heißt es weiter. Die Organisation der Testungen erfolgt über die Landespolizeidirektionen. Diese Testungen werden ebenfalls über die rund hundert Teststationen in den Bezirkshauptstädten abgewickelt.

Bevölkerung in virusbelasteten Gemeinden zuerst

Für die Vorbereitung der breit angelegten Testreihe kurz vor Weihnachten werden ebenfalls in der ersten Dezemberwoche schon in ausgewählten Gemeinden mit hohen Inzidenzwerten Gratistestungen an der Bevölkerung durchgeführt.

Abgewickelt werden die Testungen über Teststationen in den jeweiligen Gemeinden. Dazu werden kommende Woche die Gemeinden und genauen Testtage definiert. Dies erfolgt in enger Abstimmung mit den Ländern und den lokalen Behörden.

Das gesamte Pflegepersonal an Kliniken und in Alten- und Pflegeheimen müsse jetzt schon wöchentlich getestet werden, heißt es außerdem in dem Papier. Davon seien gewisse Berufe der sozialen Dienste nicht umfasst, etwa Essen auf Rädern. Diese sollen im ersten Pilotdurchgang dazukommen.

Breiter Massentest in mehreren Wellen

"Aufbauend auf den Erfahrungen der ersten Testreihen Anfang Dezember" erfolge in der Woche vor Weihnachten dann der österreichweite Massentest in allen Gemeinden, wie das Kanzleramt informiert. Zudem soll zu Beginn des neuen Jahres ein zweiter Massentest im ganzen Land durchgeführt werden. Der Gemeindebund sei darauf vorbereitet, in den kommenden Tagen werden die Details bezüglich Ablauf und Vorgehen der Gesundheitsbehörden konkret abgestimmt, ist im Kanzleramts-Sheet weiter zu lesen.

Unterstützung durch das Bundesheer

Das Verteidigungsressort befände sich bereits intensiv in den Vorarbeiten zur logistischen und organisatorischen Abwicklung der Tests, ist weiters zu lesen. Neben Logistik und Organisation werden auch Sanitäter zur Durchführung der Tests herangezogen. Insgesamt wird das Bundesheer "mit mehreren tausend Soldaten" die Abwicklung der Massentests unterstützen. Die personelle Einteilung obliege dem Bundesheer.

Neben dem Bundesheer werden zur Durchführung der bundeweiten Tests die Gesundheitsbehörden, Blaulichtorganisationen, Feuerwehren sowie freiwillige Helfer im Einsatz sein, heißt es zudem, und: "Die Probenentnahmen werden ausschließlich von geschultem Gesundheitspersonal durchgeführt. Dazu werden die Gesundheitsbehörden gemeinsam mit dem Bundesheer und den Rettungsorganisationen entsprechende Mitarbeiter bereitstellen und zusätzliches Personal schulen." Die Ergebnisse der einzelnen Tests lägen nach "rund 15 Minuten" vor.

Zentrale Steuerung durch Militär

Die organisatorische und logistische Abwicklung der Massentests liegt beim Bundesheer, bestätigt das Kanzleramt – dies war bereits bekannt. Das Gesundheitsministerium werde – in enger Abstimmung mit den Gesundheitsbehörden auf Länder- und Bezirksebene – "mit umfassender medizinischer und epidemiologischer Kompetenz unterstützen und die erforderlichen gesundheitsbehördlichen Prozesse im Rahmen der Massentestung sicherstellen", wird im Kanzleramt garantiert.

Kanzler Kurz bittet um Unterstützung

Kanzler Sebastian Kurz selbst ließ von sich folgende Zitate übermitteln: "Mit den Massentests eröffnen wir im Kampf gegen die Pandemie ein neues Kapitel und wollen damit den Menschen ein Weihnachtsfest im engen Familienkreis ermöglichen. Dieses Vorhaben erfordert einen hohen logistischen Aufwand, aber bringt enorme Vorteile. Wir können schnell eine hohe Zahl an infizierten Personen lokalisieren und somit noch stärker die Infektionsketten durchbrechen."

Massentests seien bisher nicht möglich gewesen, seien "aber jetzt eine effiziente Alternative zu Lockdowns von mehreren Wochen". Die Teilnahme erfolge freiwillig. Und Kurz weiter: "Einige Minuten für einen Test können einige Wochen Lockdown des ganzen Landes verhindern. Deshalb bitten wir schon jetzt die gesamte Bevölkerung, dieses bundesweite Projekt zu unterstützen und sich daran zu beteiligen. Diese Massentests sind bis zur Impfung eine große Chance für Österreich, den Weg zur Normalität zurückzufinden."

Auch Minister Anschober betont Freiwilligkeit

"Damit Testungen epidemiologisch sinnvoll sind, müssen diese mehrmals wiederholt werden", erklärt Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) in dem an die Medien übermittelten Schreiben. "Sie müssen außerdem niederschwellig und gratis zugänglich und auf freiwilliger Basis erfolgen." Intensive Testungen, Screenings und Massentestungen könnten ein probates Mittel zur Pandemiebekämpfung sein, weil die eingesetzten Antigentests hochansteckende Personen frühzeitig identifizieren können, auch wenn diese Personen symptomlos seien.

In weiterer Folge sei dadurch eine schnelle Absonderung dieser Personen und damit verbunden eine Unterbrechung der Infektionsketten gegeben. Außerdem können Massentestungen auch ein zusätzliches Risikobewusstsein in der Bevölkerung bewirken. Entscheidend ist, so Anschober, "dass durch die Tests kein falsches Sicherheitsgefühl entsteht, sondern dass sie nicht als Ersatz, sondern als zusätzliche Maßnahme zu Abstand, MNS und Hygiene angenommen werden – denn sie stellen immer eine Tagesaufnahme dar".

Rote Länderchefs fordern Einbindung

Nach der Kritik von Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil und Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker, von Kurz' Vorstoß "aus den Medien erfahren" zu haben beziehungsweise davon "völlig überrascht" worden zu sein, forderte am Freitag auch Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (ebenfalls SPÖ) die Regierung zu transparenterem Handeln auf.

"Zum Schutz der Gesamtbevölkerung" sei es unerlässlich, über ihre Strategie gegen das Virus "abgestimmter zu informieren und zu kommunizieren". Zwar sei "erfreulich", dass Türkis-Grün nun zu einer von Experten lange geforderten Ausweitung von Corona-Tests übergehen wolle. Andererseits sei der gewählte Weg "eine wenig Vertrauen schaffende Taktik, bei der der eigentliche Zweck, die Bevölkerung miteinzubeziehen, hintangestellt" werde.

In einer ersten Reaktion versicherte Lehrergewerkschafter Paul Kimberger, dass die Lehrerschaft die Massentests positiv sehe, begrüßt wurden diese auch von der Industrie. Die Gesundheitsreferenten der Länder forderten ein Konzept für die Testungen ein.

FPÖ und Neos zerpflücken Papier

FPÖ-Klubchef Herbert Kickl wetterte, die Massentests kämen "einer emotionale Erpressung des ganzen Volkes" gleich. Als "unrühmliche Fortsetzung des bisherigen Krisen-Managements in der Pandemie" bezeichnete Neos-Gesundheitssprecher Gerald Loacker die Ankündigung von Kanzler Kurz, Massentests in Österreich noch im Dezember durchzuführen. "Wieder einmal kam die mediale Ankündigung vor einer ordentlichen Planung. Bei den geplanten Massentests sind derzeit mehr Fragen offen als Antworten auf dem Tisch", monierte Loacker.

Tatsächlich ist in dem Informationspapier des Kanzleramts etwa nicht angeführt, was geschieht, wenn sich Personen der genannten Berufsgruppen den angebotenen Tests entziehen. In der Slowakei wurden Testverweigerer generell in Quarantäne geschickt, also mit Arbeitsverboten und Ausgangssperren belegt. Hierzulande bräuchte es für ein solch rigides Vorgehen aber ein neues Gesetz mit Verfassungsmehrheit, erklärten Juristen schon zu Wochenbeginn – und eine solche ist – siehe Kritik der Opposition – derzeit eben nicht in Sicht.

Bisher großer Zuspruch in Südtirol

In Südtirol war bereits zu Beginn der Massentests am Freitag der Zustrom der Bevölkerung groß, vermeldete die APA. In einigen Orten bildeten sich vor den Teststationen Schlangen. In anderen Gemeinden wurde ein Online-Vormerksystem eingerichtet, in wieder anderen Gemeinden wurden den Bürgern Zeitfenster vorgeschlagen, in denen bestimmte Ortsbereiche an der Reihe waren. (Nina Weißensteiner, 20.11.2020)