Kopf hoch und Rosinen picken, wenn der Schmarrn schon mal angerichtet ist: Ministerin Klaudia Tanner, Oberbefehlshaber Alexander Van der Bellen und Kanzler Sebastian Kurz.

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In den 1990er-Jahren, der Kalte Krieg war gerade zu Ende und heiße Kriege waren auf vergleichsweise kleine Dimensionen geschrumpft, hat sich das Bundesheer einen neuen öffentlichen Auftritt verpasst: "Schutz und Hilfe" wolle es geben, lautete der Slogan – ergänzt wurde er dann mit "wo andere nicht mehr können".

Umgehend haben sich für das Bundesheer neue Aufgaben gefunden, die es seit dem Schutz der Grenze zu Italien im Zuge der Südtirol-Krise in den 1960er-Jahren nicht mehr gehabt hatte: Mehr als zwei Jahrzehnte lang waren Soldaten zur Überwachung der Ostgrenze eingesetzt. Und weil das für die Republik so bequem war, haben Regierungen in unterschiedlicher politischer Zusammensetzung mit immer größerer Selbstverständlichkeit auf die Assistenzleistungen des Bundesheers zurückgegriffen.

Verändertes Selbstbild des Bundesheers

Das hatte deutliche Auswirkungen auf die innere Befindlichkeit des Bundesheers: Zunächst waren viele Soldaten froh, dass der Politik überhaupt bewusst geworden ist, dass man das Bundesheer braucht. Dann kamen die positiven Rückmeldungen aus der Zivilbevölkerung, die Grenzschutz und Katastrophenhilfe aus eigenem Erleben heraus höher bewertet als die Fähigkeit zur militärischen Landesverteidigung.

Schließlich die militärische Planung: deren Aufmerksamkeit wurde immer mehr auf die Bereitstellung von allen möglichen Assistenzleistungen gelenkt – bis hin zu den im heurigen Sommer lancierten Überlegungen, die militärischen Kernaufgaben bis auf weiteres hintanzustellen.

Es gibt ja genug anderes zu tun.

Rosinenpicken wie bei den Agrarbudgets

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner hat das zwar heruntergespielt – aber gleichzeitig begonnen, die Rosinen aus dem nun einmal angerichteten Schmarrn zu picken. Die Ministerin ist bekanntlich eine erfahrene Agrarpolitikerin und daher gewohnt, mit Bauernschläue für ihre Anliegen möglichst viel Budget herauszuholen.

Daher hat Tanner dafür gesorgt, dass während des ersten Lockdowns dem Bundesheer mit Verlängerung des Grundwehrdienstes und dem Aufbieten von Milizeinheiten besondere Aufmerksamkeit zuteilgeworden ist – in den folgenden Budgetverhandlungen konnte sie die personellen Notwendigkeiten des Verteidigungsressorts ebenso wie den Investitionsbedarf in die Waagschale werfen.

Assistenzleistung als Gegengeschäft

Das gibt es aber nicht umsonst, Bundeskanzler Sebastian Kurz verlangt Gegenleistungen: Am vergangenen Sonntag wurden die Soldaten von der Ankündigung flächendeckender Covid-19-Tests überrumpelt – am Freitag wurde klargestellt, was man ohnehin wusste: Weil alle anderen Institutionen wieder einmal überfordert sind, ist logisch, dass dem Bundesheer die "organisatorische und logistische Abwicklung" der Massentests übertragen wird. Eine Herkulesaufgabe, wie die Berechnungen des Grazer Logistikexperten Marc Reimann ergeben: Wenn man 1.000 Teststellen 15 Stunden am Tag betreibt, dann braucht man einen Monat, um die gesamte Bevölkerung durchzutesten.

Auch wenn die Teststationen erst nach und nach sowie Zielgruppe für Zielgruppe hochgefahren werden, dürften das anstrengende und pannenanfällige Wochen für das Militär werden – Tanner meldete am Freitag erwartungsgemäß: "Das Bundesheer ist immer da, wenn es gebraucht wird – auch in diesem Fall! Als strategische Reserve der Republik bringen wir nun neben unserem personellen Aufgebot mit Sanitätern und anderen Soldaten auch unsere Expertise in den Bereichen Logistik und Organisation ein."

Fast vergessen: Sanität wurde kaputtgespart

Sie verschweigt, dass ihre sozialdemokratischen Vorgänger (unterstützt vom in Militärfragen oft grenzwertig agierenden Rechnungshof) genau die jetzt benötigten Sanitätskräfte des Bundesheers geschwächt haben. Und sie wird sich nicht darauf ausreden können, sollte es bei Organisation und Abwicklung der Tests nicht so laufen, wie es sich der Regierungschef wünscht.

Für das Bundesheer bedeutet das jene Art von Einsatz, an die man sich seit Jahrzehnten gewöhnen hat müssen: Mit unzulänglichen Mitteln in einen Einsatz ziehen und mit Improvisationstalent und Soldatenglück die Aufgabe so gut wie möglich bewältigen.

Und es bedeutet auch, die budgetären Versprechungen im Auge zu behalten: Das erhöhte Budget soll ja nicht nur für Hilfsdienste beim Stochern in fremden Nasen zur Abnahme von Corona-Proben eingesetzt werden, sondern zur Ertüchtigung des Bundesheeres bei seiner fast vergessenen Kernaufgabe, der militärischen Landesverteidigung. (Conrad Seidl, 20.11.2020)