Meine liebste Kuschelposition ist die Wiege. Dabei lehnen sich meine Kundinnen und Kunden rückwärts an mich, und ich kann sie wie ein Baby im Arm halten. Dabei kraule ich ihren Kopf oder Nacken. Das ist mein Job, ich bin professionelle Kuschlerin.

Es geht aber nicht gleich mit der Wiege los, sondern wir fangen langsam mit Handhalten an. Das ist für manche mit einem fremden Menschen schon komisch. Nach circa zehn Minuten fühlen sich die Leute wohl und lassen sich fallen. Dann kuscheln wir in engeren Positionen, die man auch von zu Hause kennt.

ELISA MEYER (34) ist Profikuschlerin und Gründerin des Kuschlernetzwerks Kuschelkiste. Mit dem Unternehmen bietet sie Kuschelstunden, Kuschelpartys und Workshops an und bildet angehende Kuschler aus.
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Ich fühlte mich mit Fremden schon immer schnell wohl, konnte sie in den Arm nehmen. Viele Freunde sagten, sie könnten das nicht. Da schien mir der Job wie für mich geschaffen, als ich vor vier Jahren über berufliche Kuschler in den USA gelesen habe. Im deutschsprachigen Raum gab es damals noch keine Kuschler. Also habe ich mich bei den Koryphäen in Großbritannien und den USA ausgebildet.

Kuscheln mit Maske

2016 habe ich in Wien – wo ich gerade mein Doktorat machte – den Verein Kuschelkiste gegründet. Das Ziel: ein Netzwerk an Kuschlern in jeder großen Stadt aufzubauen. Zwei Jahre später wurde daraus mein Einpersonenunternehmen in Leipzig, wo ich mittlerweile lebe und das hauptberuflich mache. Es ist ein Vollzeitjob: Ich biete nicht nur Kuschelstunden für 70 Euro an, sondern auch Kuschelpartys und Workshops zu Berührungskunst und bilde angehende Kuschler aus.

Anfang des Jahres zählte die Kuschelkiste 50 Kuschler in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg. Wegen Corona haben allerdings ein paar eine Pause eingelegt: Derzeit sind wir circa 30. In Corona-Zeiten fallen auch die Veranstaltungen weg. Finanziell musste ich mich nicht sorgen, ich habe Corona-Zuschüsse bekommen.

Auch im Lockdown wurde und wird auch derzeit nicht gekuschelt – diese Inaktivität macht mir etwas zu schaffen. Ansonsten bieten wir aber Kuschelstunden unter Corona-Bedingungen, die auch für Friseure oder Masseure gelten, an. Das heißt, wir kuscheln mit Maske, fassen uns nicht zu viel ins Gesicht und bevorzugen abgewandte Kuschelpositionen, wie Löffelchen. Bei ängstlicheren Kunden mache ich zum Beispiel, Streichelmassagen mit Abstand.

Etwa ein Viertel kommt seit der Pandemie nicht mehr – aus Angst vor einer Ansteckung. Die anderen kommen regelmäßig, und ich habe auch einige neue Kunden. Im November hatte ich zum Beispiel vier Anfragen – davon kommt dann die Hälfte auch wirklich. Regelmäßig habe ich etwa fünf Stammkunden.

Kunden kommen aus Einsamkeit

Nach dem Lockdown im Frühjahr sind die Anfragen stark gestiegen – immerhin hatte man mehrere Monate nicht kuscheln gedurft. Dann will man es besonders. Ich merke, dass gerade in Corona-Zeiten das Bedürfnis nach Berührung wiederentdeckt wird und sich die Menschen nicht mehr so dafür schämen. Wir waren isoliert, das ist anstrengend, stressig und psychisch belastend. Viele erkennen, dass man etwas dagegen tun kann, dass Körperkontakt wichtig ist. Ich sehe die Pandemie fast als eine Art Startschuss für das Kuschelbusiness.

Elisa Meyer kuschelt für Geld – aber nicht erotisch. Vor allem Männer kommen zu ihr, um in den Arm genommen zu werden.
privat

Bereits vor Corona kamen die Kunden vor allem aus Einsamkeit. Manche haben zwar ein gutes Umfeld, können sich da aber nicht fallenlassen, so verletzlich zeigen wie beim Kuscheln. Wir reden auch, da kommen oft verdrängte Themen hoch. Andere haben keine Kontakte, kuscheln das erste Mal seit ihrer Kindheit wieder. Da haben wir teilweise sehr junge Kunden.

Es kommen auch Menschen, die eine Depression, Angststörung oder Burn-out haben. Wir sind keine Psychotherapeuten, das ist klar, und das sagen wir auch. Aber allein das Festhalten und das Da-Sein lockern die depressive Verstimmung für einen Moment. Man fühlt sich gut und psychisch wie körperlich entspannt. Das liegt am ausgeschütteten Kuschelhormon Oxytocin. Viele schöpfen so auch wieder Lebensfreude, andere gewinnen Selbstvertrauen, weil durch das Kuscheln eine Sicherheit entsteht, die sie vielleicht als Kind nicht bekommen haben. Auch wenn man etwas Schlimmes erlebt hat – wenn man den Job verloren hat oder jemand gestorben ist –, fühlt man sich durch das Oxytocin getröstet.

Mehr Männer

Circa 70 Prozent meiner Kunden sind Männer. Das hat sich schon etwas ausgeglichen seit dem Vorjahr, vorher waren es 90 Prozent. Das liegt wohl daran, dass Männer mehr Berührungsmangel haben, unterkuschelt sind und immer noch ein Männerbild vorherrscht, dass sie stark sein müssen. Ich denke, dass Frauen mehr Möglichkeiten haben, sich ihre Kuscheleinheiten zu holen, etwa bei Freundinnen. Und für sie ist es noch nicht so normal, für so eine emotionale Sache zu bezahlen.

Auch wenn professionelles Kuscheln intim ist, ist es nicht sexuell oder romantisch. Das machen wir im Vorgespräch klar und unterzeichnen das auch vor der Stunde in einem Vertrag. Wir kuscheln angezogen, in gemütlicher Kleidung – Jogginghose statt Jeans – und es darf weder unters T-Shirt gefasst noch Geschlechtsteile, Brüste und Po gestreichelt werden.

Sollte das jemand missachten, sagen wir, dass das nicht geht. Passiert es mehrmals, brechen wir ab – aber das ist noch nie passiert. Wenn jemand durchs Kuscheln erregt wird – was ich bei Männern ab und zu erlebe –, ist das nicht schlimm. Sondern normal, wenn man lange einsam war. Dann machen wir eine Pause und ändern die Position.

Nicht anerkannt

Damit der Beruf nicht in der Schmuddelecke verschwindet, will ich mit der Kuschelkiste auch daran arbeiten, dass er anerkannt wird. Kuscheltherapie ist auch in der Forschung noch unbekannt. Deshalb habe ich eine Umfrage gestartet, um Fakten für die Wirkung zu sammeln, und arbeite da auch mit dem Haptikforscher Martin Grunwald zusammen.

Privat kuschle ich natürlich auch sehr viel. Für Profikuschler ist es wichtig, eine Person zum Kuscheln zu haben, um nicht Bedürfnisse am Kunden auszulassen. Dann schmiege ich mich am liebsten seitlich an und werde so im Arm gehalten. Da kann ich voll abschalten.

Denn auch wenn das Kuscheln mit Kunden oder Freunden von außen gleich aussieht, fühlt es sich für mich nicht gleich an. Ich bin zwar entspannt, aber ich habe die Verantwortung, muss aufpassen, dass es meinen Kunden gut geht. Und dass ihnen nicht der Arm einschläft." (Selina Thaler, 21.11.2020)