Seit fast einer Woche ist Österreich wieder im Lockdown, dem zweiten harten seit dem Frühling. Wie kann der dritte abgewendet werden?

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Da ist ein Knick in dieser leidigen Kurve, die seit acht Monaten von Politik, Wissenschaft und Bevölkerung angestarrt wird. Jene Linie, die die Zahl der aktiven Corona-Fälle in Österreich anzeigt, geht seit einer Woche nicht mehr steil bergauf, sondern läuft nun recht horizontal geradeaus. Das gibt Hoffnung.

Tatsächlich scheint der zweite Lockdown gegriffen zu haben, ohne grobe Einschnitte sähe die Kurve wohl ganz anders aus. Trotzdem starben in den 24 Stunden von Donnerstag auf Freitag erneut über 100 Menschen mit dem Virus. Wieder lagen mehr Covid-Patientinnen und -Patienten in den Spitälern und auf den Intensivstationen als am Vortag, und erneut wurden fast 7000 Infektionen registriert. Es wird dauern, bis diese Zahl sinkt und diese Linie nicht nur geradeaus, sondern sogar bergab geht. Nicht nur Wochen, sondern Monate.

Was also tun? Der Lockdown lässt sich nicht für immer in die Länge ziehen, auch wenn das das wirksamste Mittel gegen die weitere Virus-Verbreitung wäre.

Monate zwischen Freiheit und Sorge

Doch es gibt ein Leben abseits der Infektionsgefahr. Der Stillstand des Alltags zieht einen Rattenschwanz von Konsequenzen nach sich. Was hilft es, wenn niemand infiziert ist, aber eine substanzielle Zahl von Menschen ihren Job verloren haben, vereinsamt und psychisch krank geworden sind. Auch dafür ist die Beweislage erdrückend: Armut macht krank. Es ist eine der ersten Lektionen, die jene lernen, die für die öffentliche Gesundheit im Lande verantwortlich sind.

Wie also machen wir weiter? Dass der Winter ein harter wird, steht fest – ganz egal, ob die Impfung immer näher kommt, und egal, ob sich Millionen von Menschen bald durch Massentests zumindest für einen kleinen Moment lang in Sicherheit wiegen können. Die nächsten Monate werden weiter eine Berg- und Talfahrt zwischen Freiheit und Sorge sein.

Wir kennen das mittlerweile. Und trotzdem gilt es nun, den Winter zu meistern, indem wir einerseits die Gesundheit aller schützen, andererseits aber nur "das, was nötig ist" von unserer Freiheit aufgeben, wie es die Regierung oft schon formuliert hat.

DER STANDARD hat daher elf To-dos zusammengetragen, die einerseits einen dritten Lockdown abwenden können und uns andererseits möglichst sicher durch die kalte Jahreszeit tragen könnten.


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I: Viele neue, unterschiedliche Impfstoffe

Mit einem Pieks wäre die Infektionsgefahr gebannt, und die Corona-Pandemie würde abflauen. Die ganze Welt wartet auf diese Möglichkeit. Es sieht gut aus, dem Vernehmen nach könnten die Impfungen im ersten Quartal 2021 beginnen. Denn: Die klinischen Studien von insgesamt drei Impfstoffen (Pfizer/Biontech, Astra Zenca/Oxford, Moderna) sind abgeschlossen. Gestern haben Pfizer und Astra Zeneca ihre Dossiers bei der FDA zur Zulassung eingereicht, Europa soll nächste Woche folgen. Jetzt sind die Behörden am Zug, um die Daten auf Wirksamkeit und Sicherheit zu überprüfen. Aufgrund positiver Zwischenberichte äußerte EU-Präsidentin Ursula von der Leyen, dass die Zulassung noch Ende des Jahres erteilt werden könnte.

Und sollte das tatsächlich passieren, dann läuft die Verteilungsmaschinerie an. Denn die Hersteller produzieren ihre Impfstoffe bereits seit Längerem, die Vakzine stehen also zur Verfügung. Von der Leyen forderte die EU-Mitgliedsländer auf, Impfpläne zu erstellen. Unter den Regierungschefs besteht Einigkeit, dass es keine Bevorzugung einzelner Länder geben darf. Wer wie viel bekommt, ist bereits geklärt: Die Aufteilung erfolgt nach dem jeweiligen Anteil an der Gesamtbevölkerung, der im Fall Österreichs zwei Prozent beträgt.

Innerhalb der Staaten selbst wird es darum gehen, welche Bevölkerungsgruppen zuerst geimpft werden. Aller Voraussicht nach haben medizinisches Personal und Risikogruppen Vorrang. Schon jetzt ist absehbar: Die globale Nachfrage wird von diesen drei Herstellern niemals gedeckt werden können. Auch andere Pharmafirmen sind mit ihren Covid-Impfprojekten weit fortgeschritten, laufend neue Anträge zur Zulassung sind zu erwarten.


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II: Antigen-Massentests

Antigentests weisen, anders als PCR, nicht die RNA von Sars-CoV-2 nach, sondern Proteinfragmente. Das geht rasch und das Ergebnis steht binnen 30 Minuten nach Entnahme des Abstrichs bereits fest. Werden solche Tests regelmäßig dort eingesetzt, wo Infektionsgeschehen vermutet wird, können asymptomatisch Infizierte schneller lokalisiert und isoliert werden. Unter Gesundheitsexperten sind Antigentest aber immer noch umstritten, da das Ergebnis nur eine Momentaufnahme darstellt.

Mittels Massentestungen sollen nun breite Teile der Bevölkerung getestet werden. In Pflege- und Altersheimen sind regelmäßige Tests durchaus sinnvoll, da Infektionen meist vom Personal eingeschleppt werden. Testet man die Gesamtbevölkerung, müssten zumindest 50 Prozent teilnehmen. Idealerweise mehr als einmal.


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III: Genauere Botschaften

Ein Meter Abstand, Maske tragen: Darauf beschränken sich im Kern die Empfehlungen der Regierung. Es bedürfe dringend genauerer Aufklärung über die "Hochrisikosituationen", sagt Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS): etwa darüber, dass ein Meter Distanz indoor meist nicht reicht, dass die Ansteckungsgefahr mit der Lautstärke steigt, dass Sprechen in engen Räumen – vom Lift bis zur U-Bahn – gefährlich ist. Dass etwa Gesangsvereine bis zuletzt ein Dauerbrenner in den Cluster-Analysen waren, sei symptomatisch für das fehlende Problembewusstein.

Die Bevölkerung werde Regeln erst verinnerlichen, wenn sie diese versteht, sagt der Experte: "In Deutschland werden die Menschen viel besser aufgeklärt." Gerade vor den geplanten Impfungen sei genaue Information bitter nötig – sonst bestehe Gefahr, dass viele nicht hingehen.


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IV: Für Motivation sorgen

Nicht nur bei Corona-Leugnern sinkt die Akzeptanz für die Maßnahmen der Regierung. Auch in weiten Teilen der Bevölkerung kommt zunehmend Unverständnis auf. Das hat mehrere Gründe: Einerseits dauert die Pandemie schlicht schon zu lange, Corona-Müdigkeit kommt auf. Aber nicht nur das: Wie DER STANDARD in zahlreichen Kommentaren und Leserbriefen liest, gesellt sich dazu Unverständnis über Ungleichbehandlungen.

Wie kann es etwa sein, dass Waffenhändler offen haben, der Bücherladen aber nicht? Und warum redet der Bundeskanzler von einzigen Kontaktpersonen, die Singles zu definieren haben, wenn davon nichts im Gesetz steht? Klare Informationen sind gefragt und immer wieder die Erinnerung, warum wir all das auf uns nehmen. Aus demselben Grund wie schon vor Monaten: um Tote zu vermeiden.


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V: Alte Menschen schützen

Zahlenfüchse haben in der Corona-Pandemie nicht nur die Infektionszahlen und die Intensivbettenkapazitäten im Auge, sondern auch die Mortalitätsstatistik. Das Coronavirus ist vor allem für ältere Menschen gefährlich, umso mehr, wenn sie auch noch Zusatzerkrankungen haben und auf fremde Hilfe bei der Betreuung angewiesen sind.

Deshalb würde es Sinn machen, die Testkapazitäten in den Pflegeheimen massiv auszubauen. Denn auch unter alten Menschen gibt es asymptomatisch Infizierte, also Menschen, die ihre Erkrankung nicht bemerken, aber sie anderen weitergeben. Zudem könnten sämtliche Betreuungspersonen und Besucher, die die Infektion derzeit in die Häuser bringen, stärker als bisher überprüft werden. Mit intensivierter Antigentestung könnten damit Ausbrüche verhindert werden.


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VI: Verantwortungsvoll feiern

Wenn wir im zweiten Lockdown gut durchhalten und die Zahlen stark zurückgehen, seien vielleicht auch "Weihnachten wie früher" möglich, meinte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) bei der Verkündung der Ausgangsbeschränkungen. Um einen dritten Lockdown zu verhindern, sei diese Botschaft aber eher ungeeignet, mahnen Experten.

Zu Ostern, das in den ersten Lockdown fiel, galt es, große Familientreffen und Feiern zu vermeiden – die große "Wiederauferstehung" wurde vom Kanzler ja für nach den Feiertagen angekündigt. Sebastian Kurz bleibt auch für die Weihnachtsfeiertage dabei: Auch wenn die Zahlen zurückgehen, gilt es, vorsichtig und eher im kleinen Kreis zu feiern. Sich für den großen Weihnachtsexzess mit Antigentests abzusichern ist nicht ratsam. Falsch-negative Resultate können nicht ausgeschlossen werden.


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VII: Neustart: Contact-Tracing

Laut einer Imas-Umfrage hat jeder Österreicher durchschnittlich vier enge Freunde, die er am liebsten persönlich trifft. Die Anzahl der Menschen, die man tatsächlich darüber hinaus trifft, ist viel höher. In der Pandemie sind all diese Sozialkontakte eine Herausforderung. Jeder Kontakt könnte theoretisch eine Infektion sein.

Eine bewährte Strategie in jeder Epidemie bleibt deshalb das Contact-Tracing, das durch die vielen Neuinfektionen nicht mehr möglich war. Es fehlt Personal, um die dutzenden Sozialkontakte eines einzelnen Infizierten nachvollziehen und den behördlichen Bescheid für eine Quarantäne aussprechen zu können. Ziel des jetzigen Lockdowns ist deshalb, die Infektionen wieder so weit einzudämmen, dass das Contact-Tracing wieder möglich werden kann. Das Problem: Freunde zu treffen bleibt ein menschliches Bedürfnis.


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VIII: Spitalspersonal entlasten

Nicht nur die Bettenanzahl, auch die personelle Ausstattung in den Spitälern ist momentan an ihre Grenzen geraten. Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, Ärztinnen und Ärzte berichten von Überforderung und Überlastung. Das Arbeitszeitgesetz ist seit mehreren Wochen ausgesetzt, Überstunden aber auch Krankenstände häuften sich, erzählen Beschäftigte.

Lösungsansätze gibt es. In einigen Spitälern wird um pensionierte Kollegen geworben, die aushelfen sollen. Allerdings meinen Personalvertreter, dass das allein nicht ausreichend sein dürfte.

Das Spitalspersonal appelliert nicht nur an die Bevölkerung, sich an die Corona-Regeln zu halten, um sie zu entlasten. Mit Blick Richtung Gesundheitshotline 1450 bzw. Hausärzte wird gebeten, Patienten nur in dringenden Fällen in die Krankenhäuser zu schicken.


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IX: Ein Digitalisierungsschub

Ein Satz, den man vor dem zweiten Lockdown oft gehört hat, war: Die Aufklärung von Corona-Infizierten und Kontaktpersonen muss schneller gehen. Aus Sicht des Simulationsforschers Niki Popper könnte ein Digitalisierungsschub dabei helfen. Dafür müsste man die Bevölkerung etwa zur Selbstmeldung und der Angabe von Kontaktpersonen auf einer Onlineplattform motivieren. Das könnte die Contact-Tracing-Teams entlasten.

Popper geht es aber auch um die Datenlage. Eine Hilfe für Prognosen wäre die Nachvollziehbarkeit, wie viele Cluster innerhalb von 48 Stunden aufgelöst werden können. Nur so ließe sich erkennen, wie lange die Aufklärungssysteme noch funktionieren, um rechtzeitig zu reagieren. Dasselbe gelte für die Spitalsressourcen. Es brauche regionale Daten, um die Lage besser einschätzen zu können.


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X: Mehr Mund-Nasen-Schutz

Mund-Nasen-Schutz hat eine zentrale Funktion: Er ist eine Tröpfchenbremse. Das schützt zwar nicht mit Sicherheit vor einer Infektion, aber doch beträchtlich. Vor allem: Masken sind tatsächlich auch eine permanente Erinnerung und lassen zu keinem Zeitpunkt vergessen, dass wir gerade mitten in einer Pandemie sind. Einstweilen ist der Mund-Nasen-Schutz im Freien noch nicht vorgesehen.

Doch gerade weil die Menschen durch den strengen Lockdown nach draußen drängen, kommt es auch in den Einkaufsstraßen, in Städten oder bei beliebten Ausflugszielen zu Menschenansammlungen. Das Einhalten von Mindestabständen ist an einem sonnigen Herbsttag in der Praterhauptallee dann nur mehr schwer möglich. Insofern könnte Maskenpflicht bei Menschenansammlungen auch im Freien zu einem Thema werden.


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XI: Jederzeit ein Test-to-go

Jeder kennt die Situation: Man hat jemanden getroffen, ist zu nahe gekommen und danach unsicher. Hab ich mich angesteckt? Vor allem, weil man doch die Großeltern besuchen wollte. Die beste Lösung: zu jedem Zeitpunkt schnell und unverbindlich einen Test machen können, um sich von dieser Sorge freizutesten. Ohne Wartezeit und gratis.

In der Stadt Wien haben Teststraßen gut funktioniert. Effizient wäre, wenn es sie in vielen anderen Bezirken der Stadt und an vielen Orten in den Bundesländern gäbe. Auch eine gute Lösung: mobile Teststationen, die Routen abfahren, um gezielt, spontan und lokal Leute zu überprüfen. Auf diese Weise wäre gesichert, dass geschultes Personal die Abstriche nimmt. Ärzte betonen: Bei "Do it yourself" besteht Verletzungsgefahr. Dafür wären dann aber Gurgeltests eine Alternative.

(Lara Hagen, Gerald John, Jan Michael Marchart, Julia Palmai, Karin Pollack, Gabriele Scherndl, 20.11.2020)