"Ich war nie gefällig, mit Rückgrat kann man es nicht allen recht machen." Ingrid Korosec beschreibt sich selbst zum 80er

Foto: Regine Hendrich

Mit Ingrid Korosec zu frühstücken, das war früher, in Vor-Corona-Zeiten, ein journalistischer Anfängerfehler. Zwar wurde man freundlich ins noble Café des Hotel Imperial bestellt, das mit einem köstlichen Buffet lockte. Allerdings war das um sieben Uhr früh – zu einer Zeit, da Jungjournalistinnen noch Schwierigkeiten hatten, die Bettschwere abzuschütteln und unfallfrei eine Kaffeetasse zu heben.

Sie allerdings war um diese Zeit wie aus dem Ei gepellt, frisch, munter – und hatte bereits eineinhalb Stunden Workout hinter sich. Ingrid Korosec war jene ÖVP-Politikerin, deretwegen ein bekanntes Fitnessstudio in der Wiener Innenstadt extra früher aufsperrte. Das geht nun gerade alles nicht, worunter Korosec nach eigenen Angaben "sehr leidet".

Das hindert sie aber nicht daran, weiterhin jeden Morgen eineinhalb Stunden mit Hometrainer und Hanteln zugange zu sein. Dann arbeitet sie den ganzen Tag im Homeoffice, online und mit vielen, vielen Telefonaten – und schläft maximal vier Stunden. Ingrid Korosec wird am Sonntag 80 Jahre alt.

Sorge um die Senioren

Als Vorsitzende des ÖVP-Seniorenbunds, der 300.000 Seniorinnen und Senioren vertritt, und des überparteilichen Seniorenrats, der dies für zwei Millionen Menschen im Land tut, ist sie momentan sehr gefragt: "Die Corona-Pandemie stellt uns vor enorme Herausforderungen", sagt Korosec.

Telefondienste für einsame Seniorinnen und Senioren müssen organisiert, die Pflegeheime kontaktiert und spontane Hilfen orchestriert werden. Was die ÖVP-Seniorenchefin beruhigt: "Diesmal sind wir besser vorbereitet, es werden nicht alle Heimbewohner rigoros von der Außenwelt abgeschirmt."

Das habe im Frühjahrslockdown teils dramatische Folgen gehabt: "Alte Menschen wollen ihre Angehörigen unbedingt sehen. Dafür nehmen sie das Risiko, an Covid zu erkranken und zu sterben, in Kauf." Sorge bereite ihr die teils geringe Bereitschaft der Bevölkerung, sich selbst zu disziplinieren.

Karenzzeit für Männer

Disziplin und eine gewisse Härte sich selbst gegenüber sind Korosecs Wesensmerkmale. Sonst wäre sie wohl nicht seit 40 Jahren Mandatarin, hätte nicht 40 Jahre lang zusätzlich bei Adeg im Management gearbeitet, wäre nicht die erste ÖVP-Generalsekretärin und die erste Volksanwältin gewesen – und jetzt die erste Seniorenchefin.

Sie selbst empfand ihre vielfachen Beschäftigungen nie als Plackerei. "Ich habe immer alles gerne gemacht, und ich glaube schon, dass ich etwas bewirken konnte", sagt sie. Am meisten in ihrer langen Laufbahn bewegte sie der Kampf um das Gleichbehandlungspaket 1992 und das Recht auf Karenzzeit für Männer 1990, den sie, in der rot-schwarzen Koalition, gemeinsam mit Johanna Dohnal ausfocht.

"Es war ein Drama", erinnert sie sich, "die Männer in meiner Partei waren alles andere als begeistert." Unnötig zu erwähnen, dass Dohnal dies spiegelgleich in der SPÖ durchstehen musste. Doch dann, als alles durchgestanden und das Gesetz auf dem Weg war, habe sie zufällig einen Wahlneffen auf der Straße getroffen, erzählt Korosec. Und der erzählte ihr, dass er jetzt in Babykarenz gehen werde. "Ich krieg’ heute noch eine Ganslhaut, wenn ich daran denke", sagt sie, "weil das plötzlich möglich war."

Dass bis heute nur ein Fünftel aller Väter von der Möglichkeit der Babykarenz Gebrauch macht, habe sie erwartet: "Ich wusste, dass es ein langer Weg wird, bis das als normal gilt." Wichtig sei ihr vor allem gewesen, "dass Arbeitgeber auch bei Männern nie sicher sein können, ob sie wegen Elternschaft ausfallen".

Für Korosec ist das eine Frage der Einkommens- und Karrieregerechtigkeit. Dafür hat sie sich immer eingesetzt – in ihrer jetzigen Position konzentriert sie sich vor allem auf den gewaltigen Gender-Gap bei den Pensionen. Eine "bürgerliche Feministin" hat sie ein verärgerter ÖVP-Grande einmal genannt.

Kein Wohlfühljob

Korosec tut das mit einem Lächeln ab: "Ich war nie gefällig, mit Rückgrat kann man es nicht allen recht machen." Auch ihr Styling habe nicht allen in der ÖVP gefallen: Zu bunt, zu auffällig, habe es oft geheißen. Sie blieb ihrem Stil treu und wünschte sich heute, "dass auch die jungen Frauen in der Politik ein bisserl mutiger und lustiger wären".

40 Jahre Politik haben natürlich Höhen und Tiefen, zehn Bundes- und neun Landesparteiobmänner hat Korosec er- und überlebt. Über ihre Jahre als ÖVP-Generalsekretärin (1991 bis 1995) sagt sie: "Da lernt man die Menschen kennen. Und viel Strategie. Zum Wohlfühlen war’s eher nicht."

Auch der Typus des Bundesparteichefs habe sich stark gewandelt: "Vom Patriarchen im Trachtenanzug zum Slim-Fit-Manager", nennt sie das. Die Veränderung findet sie gut: "Eine Partei, die sich nicht ändert, ist dem Untergang geweiht."

Denn der Zugang der Bürger zur Politik sei ein ganz anderer als früher: "Sie sind viel informierter, und man muss bei jeder Wahl um sie kämpfen." Einzig dass alles immer schneller werde, mache ihr zu schaffen: "Es bleibt so wenig Zeit, über Politik nachzudenken." (Petra Stuiber, 22.11.2020)