Die Zeit des Take-away-Essens und des Lieferservice hat wieder begonnen. Ich möchte daher allen Menschen, die trotzdem gern gut essen wollen, die frittierte Pizza ans Herz legen.

Das mag zunächst wie etwas klingen, was sich betrunkene amerikanische Studenten ausgedacht haben, tatsächlich ist es in Neapel fast so verbreitet wie im Ofen gebackene Pizza. Jede Pizzeria bietet auch frittierte Pizzen (Pizza fritta) an, und eigene Lokale sind auf nichts anderes spezialisiert. Im Gegensatz zur gebackenen Version aber ist ihr der Weltruhm bisher verwehrt geblieben.

Foto: Peter Mayr

Dabei kann sie richtig gut sein: Sie ist außen knusprig und innen fluffig und saftig und weich, befriedigt die niedrigen Instinkte nach Crunch und Fett und schafft es trotzdem, eine gewisse Kultiviertheit zu bewahren. Sie vereint den Italo-Wohlfühlfaktor von Gnocchi alla Sorrentina oder Lasagne mit räudigem Straßenküchencharme. Und wenn sie gut gemacht wird, ist sie, wie alles gut Frittierte, überhaupt nicht fettig, sondern erstaunlich leicht. Ich habe sie schon an heißen neapolitanischen Sommertagen genossen – und es nachher trotzdem nicht bereut.

Foto: Peter Mayr

Pizza fritta ist eine frittierte Calzone (Ripiena, wie sie in Neapel genannt wird) oder eine Art gefülltes Langos: Der Pizzateig – der gleiche wie für die gebackene Variante – wird ausgerollt, gefüllt, zusammengefaltet und im Fett oder Schmalz goldgelb gebacken. In kleinen Imbissen kann sie direkt so, im Stehen, in Butterpapier genossen oder mitgenommen werden.

Foto: Peter Mayr

Die puristischen alten Läden bieten nur eine einzige – nämlich die klassische – Füllung an: Ricotta, Fior di Latte, Tomaten und Cicoli, eine Art Speck, und jede Menge Pfeffer. Der frische Ricotta verleiht ihr herrlich-milchige Noten, Pfeffer, Tomaten und Cicoli sorgen für die Würze, der Fior di Latte dafür, dass alles zusammenhält und beim Essen schöne Fäden zieht. Wer alles will, bestellt "completa", Individualisten lassen einzelne Zutaten weg. In moderneren Pizzerien ist die Auswahl an Füllungen natürlich größer.

Im Gegensatz zur Ofenvariante wird Pizza fritta auch gern süß serviert, sei es mit Marmelade bestrichen oder mit Nutella gefüllt. Kleine frittierte Pizzateigstücke, nur mit Zucker gestaubt oder mit Nutella zum Dippen serviert, sind ebenfalls eine beliebte und oft ungefragt servierte Nachspeise.

Foto: Peter Mayr

Straßenessen

Während klassische Pizza als Zustellessen völlig ungeeignet ist (weil bei Eintreffen unweigerlich kalt und ruiniert, siehe Fußnote), ist Pizza fritta gemacht dafür, mitgenommen und etwas später verspeist zu werden: Frisch aus dem Fett ist sie so heiß, dass sie ohnehin nicht verletzungsfrei genossen werden kann (ähnlich wie ein Käsekrainer-Hotdog). Weil sie viel weniger Oberfläche und viel mehr Volumen hat, kühlt sie nur relativ langsam aus; und im Gegensatz zu ihrer berühmten gebackenen Verwandten schmeckt sie auch lauwarm ausgezeichnet und bleibt erstaunlich lange knusprig.

Foto: Peter Mayr

Pizza fritta war einst ein Straßenessen für hungrige Arbeiter: fett, schnell, aus billigen Zutaten gemacht – und dank jeder Menge Pfeffer trotzdem genießbar. Bis heute wird sie oft an Straßenständen verkauft und im Stehen ohne Besteck gegessen oder mitgenommen. Wann genau sie entstanden ist, darüber scheiden sich die Geister. Manche behaupten, Pizza fritta sei die Urpizza und älter als ihr berühmtes Pendant, andere meinen, sie sei in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aufgekommen.

Foto: Peter Mayr

Eine Mischung ist wohl die wahrscheinlichste Variante: Pizzaioli dürften schon sehr früh begonnen haben, Teigreste in kleinen Stücken zu frittieren und zu verkaufen – so richtig populär kann die gefüllte, üppige Variante aber erst geworden sein, als Fett und Pfeffer billig wurden.

Mein Lieblings-Pizza-fritta-Laden in Neapel ist Da Gennaro, eine kleine Bude, die nichts außer Pizza fritta completa anbietet und fast ein wenig den Charme eines alten Tokioter Tempura-Lokals hat. Ebenfalls hervorragend ist Maserdona, eine Institution am Bahnhof, in der die schönen Fotos entstanden sind.

Foto: Peter Mayr

In Wien hat die Pizza fritta sehr lange, wenn überhaupt, ein Schattendasein geführt. In der Pizza Mari, der Mutter des Wiener Pizzerienbooms, wurde sie anfangs angeboten, dann aber mangels Nachfrage wieder von der Karte genommen und nur mehr von Eingeweihten und neapolitanischen Gästen in der Küche verspeist.

Nun hat sie sich aber langsam eine kleine Fangemeinde erkämpft: Ihre Nachfolger, das Pizza-Quartier und die Disco Volante, haben die frittierte Pizza mittlerweile regelmäßig auf der Karte. Und die Mari selbst plant nun ein Lockdown-Comeback der einzig wahren Take-away-Pizza: Weil einer der Pizzaköche zu Hause Frittierer war, wird's an den Adventwochenenden frisch frittierte Pizza und Glüh-Negronis geben. Kommen und probieren Sie!

Anmerkung in eigener Sache: Teile dieses Textes – und die schönen Fotos – sind aus dem Buch "Tutto Napoli", an dem die Maria Fuchs (Pizza Mari), der Peter Mayr und ich gerade arbeiten. Es hätte diesen Winter erscheinen sollen, nun wird es eventuell Covid-bedingt verschoben und kommt nächstes Jahr. Mehr Infos bald hier! (Tobias Müller, 22.11.2020)

Foto: Peter Mayr

Fußnote: "Pizza ist eine Sternschnuppe des Genusses: Zwei Minuten nachdem sie aus dem Ofen gekommen ist, ist sie nur noch halb, nach fünf Minuten nur noch ein Drittel so gut, und die letzten hastig hinuntergeschlungenen Bissen sind nichts mehr als eine wehmütige Erinnerung an verglühte Größe. In Neapel gibt es daher Menschen, die behaupten, in der Pizzeria auf dem Tisch neben dem Ofen zu bestehen, weil sie dort noch eine Spur wärmer ankommt. Außer einem Soufflé fallen mir keine vergänglicheren Gerichte ein." Eigenzitat von hier.