Die Nachwehen der Finanzkrise sollten sich in Österreich in einem dauerhaften Problem manifestieren. Die damaligen Kursverluste waren zumeist binnen weniger Jahre wieder aufgeholt, unter der danach eingeschlagenen steuerlichen Benachteiligung von Wertpapieren leidet das Land weiterhin. Zunächst wurde 2011 die Behaltedauer von einem Jahr gestrichen, ab der Kursgewinne von Wertpapieren steuerfrei waren, seit 2016 werden zudem Wertpapiererträge mit 27,5 Prozent Kapitalertragssteuer (KESt) belegt – während Zinserträge von Spareinlagen nur mit 25 Prozent KESt besteuert werden.

Der Wortstamm ist kein Zufall: Auch mit Steuern kann ein Lenkungseffekt erzielt werden.
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"Die steuerliche Benachteiligung von Wertpapieren hat natürlich Umschichtungseffekte", sagt Rupert Sausgruber, Leiter des Instituts für Finanzwissenschaft und öffentliche Wirtschaft an der WU Wien. "Jede Form steuerlicher Ungleichbehandlung ist problematisch." Im konkreten Fall führt dies Sausgruber zufolge zu "nicht optimalen Veranlagungsstrategien der Österreicher." Soll heißen, es fließt dadurch noch mehr Kapital als bei Steuergleichheit in derzeit fast unverzinste Sparbücher – wo sie einem dauernden Kaufkraftverlust durch die Inflation ausgesetzt sind.

Kaufkraftverluste

So ist das Gesamtvolumen an Spareinlagen seit 2011 von 209 auf zuletzt 271 Milliarden Euro im zweiten Quartal 2020 deutlich angestiegen, obwohl die Zinserträge währenddessen kontinuierlich Richtung null gesunken sind. Vergangenes Jahr rechnete Erste-Bank-Chef Peter Bosek vor, dass Sparer seit 2015 Jahr für Jahr etwa 1,6 Prozent ihrer Kaufkraft verloren haben – was sich bis Ende 2019 auf den stolzen Betrag von 14,7 Milliarden Euro summierte. Der Kapitalstock der Österreicher erodiert also sukzessive auf Sparbüchern.

Bei Aktien sieht die Rechnung trotz der Corona-Krise freilich anders aus: Der deutsche Leitindex Dax spielte seit Anfang 2015 inklusive Dividenden fast 40 Prozent ein, und der heimische ATX brachte ebenfalls mehr als 14 Prozent ein – also genug, um die Geldentwertung aufzufangen.

"In einer Zeit, in der es auf klassische Spareinlagen keine Zinsen gibt, sollten Maßnahmen ergriffen werden, um Privatanlegern den Weg in Wertpapier-Investments zu vereinfachen", sagte Bosek "Die Kapitalertragssteuer auf Wertpapiere bewirkt leider das genaue Gegenteil." Der Bankchef verwiest auf eine Umfrage, wonach 15 Prozent jener Österreicher, die keine Wertpapiere besitzen, diese Veranlagungsform wählen würden, wenn es die 27,5-prozentige KESt auf Wertpapierinvestments nicht gäbe.

Auch Banken leiden

Gänzlich uneigennützig ist das Engagement heimischer Bankchefs freilich nicht, wenn sie sich wie Bosek gebetsmühlenartig für mehr Wertpapierinvestments aussprechen – denn auch die Banken leiden unter Null- und Negativzinsen. Ein klassisches Sparbuch ist auch für sie von Anfang an ein Verlustgeschäft – zumal Bankeinlagen bei der EZB mit 0,5 Prozent Minuszins belegt werden. Und da hierzulande der OGH Negativzinsen auf Spareinlagen einen Riegel vorgeschoben hat, bleibt den Instituten nichts anderes übrig, als die Gebühren zu erhöhen.

Jedenfalls legen laut einer aktuellen Umfrage der Bank Austria weiterhin 66 Prozent der Österreich ihr Vermögen auf Spareinlagen an, während nur 21 Prozent in Wertpapiere investieren.

Dieses Problems ist sich offenbar auch die türkis-grüne Regierung bewusst, die in dieser Legislaturperiode eine Behaltefrist für steuerfreie Kursgewinne wiedereinführen wollte. Allerdings dürfte die Corona-Krise zu Verzögerungen führen. "Einen konkreten Umsetzungstermin können wir aktuell noch nicht nennen", heiß es dazu aus dem Finanzministerium. Das Regierungsprogramm gelte jedoch weiterhin.

Unter Ex-SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann wurden ab 2011 Wertpapiere steuerlich benachteiligt.
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Während die Wiedereinführung der Behaltefrist ein Leichtes wäre, ist der Weg zurück zur steuerlichen Gleichbehandlung wohl ein weiter. Denn um die Wertpapier-KESt auf 25 Prozent zu senken, müsste auch der derzeitige Spitzensteuersatz von 55 auf 50 Prozent verringert werden. Denn dieser darf höchstens den doppelten KESt-Satz betragen, wie Wifo-Steuerexperte Simon Loretz betont – die Erhöhung des Steuersatzes der Wertpapier-KESt war ihm zufolge also weniger gegen privaten Wertpapierbesitz gerichtet als eine Notwendigkeit, um Reiche stärker zu besteuern.

Dennoch entfaltet diese Ungleichheit einen Lenkungseffekt. Um steuerliche Gleichheit herzustellen, wäre es einfacher, die Sparbuch-KESt auf 27,5 Prozent zu erhöhen – eine Maßnahme, die Loretz als extrem unpopulär einschätzt, denn: "Österreichern ist das Sparbuch heilig." Soll heißen, politisch wäre dies kaum umsetzbar.

Somit wird die steuerliche Benachteiligung von Wertpapieren wohl auch nach der türkis-grünen Regierung bestehen – samt negativer Folgen für Anleger und Banken. (Alexander Hahn, 22.11.2020)