Im Zuseherraum des Großen Schwurgerichtssaals im Wiener Landesgericht wurde auch während des Prozesses gegen Beata A. auf den Mindestabstand geachtet.

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Wien – "Ich hatte nie das Gefühl, dass etwas unsere Ehe zerstören könnte", versucht Angeklagte Beata A. vor dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Eva Brandstetter das Bild einer harmonischen Beziehung mit Emeke A. zu überzeugen. Kennengelernt habe sie den 34-Jährigen im Jahr 2016 über eine Partnerbörse im Internet, sagt die Ungarin, daher sei sie nach Österreich gekommen.

Im Jahr 2017 wurde geheiratet, wann genau, weiß die 29 Jahre alte Mutter eines sechsjährigen Kindes nicht mehr. Ganz so harmonisch dürfte die Verbindung doch nicht gewesen sein: Am Nachmittag des 18. August 2020 hatte der Ehemann plötzlich eine Schere im Schädel stecken. Das sei ein bedauerlicher Unfall gewesen, sagen die unbescholtene Angeklagte und ihr Verteidiger Thomas Nirk. Das sei ein Mordversuch gewesen, meint der Staatsanwalt.

Vorbestrafter Ehemann in Haft

Vorsitzende Brandstetter lässt A. zunächst noch etwas weiter über die Ehe sprechen. Man erfährt, dass nur sie Geld verdient hat. "Womit hat Ihr Mann seinen Lebensunterhalt bestritten?", fragt Brandstetter. Die Angeklagte sagt, sie habe es vor der Hochzeit nicht gewusst. "Wie oft war Ihr Mann schon im Gefängnis?", lautet die nächste Frage der Vorsitzenden. "Ich glaube, ein- oder zweimal", hört sie als Antwort. Insgesamt hat das Opfer drei Vorstrafen wegen Verstößen gegen das Suchtmittelgesetz. Aus der jüngsten Strafhaft wurde er einen Tag vor der Tat bedingt entlassen.

"Gab es schon vorher einmal Gewalt?", interessiert Brandstetter. "Ja, 2018 hat er mich angegriffen, da bekam er zwei Wochen ein Betretungsverbot", lässt die Angeklagte übersetzen. Womit sie offensichtlich nicht gerechnet hat: Brandstetter hat sich den damaligen Akt besorgt. "Da ist auch gegen Sie als Beschuldigte ermittelt worden. Ihr Mann hat nämlich gesagt, dass Sie ihn Ende 2017 und Anfang 2018 jeweils mit einem Küchenmesser in den Handrücken gestochen haben. Die Polizei hat die kleinen Narben sogar fotografiert."

Scheidungswunsch vor Polizei

"Von Wunden höre ich jetzt zum ersten Mal. Das habe ich nicht gemacht", versucht A. es. "Die Fotos sind hier, die wurden Ihnen von den Polizisten gezeigt, und Sie haben die Aussage dazu damals verweigert!", hält ihr die Vorsitzende vor. Brandstetter verweist auch darauf, dass A. bei der Polizei 2018 sagte: "Ich will die Scheidung, ich will, dass er mich in Ruhe lässt." – "Ich habe das nicht ganz ernst gemeint", relativiert die Angeklagte.

Sie gibt zu, während der Haft ihres Gatten einen "Paul" aus Benin kennengelernt zu haben. Eine sexuelle Beziehung habe es aber mit diesem noch nicht gegeben, da sie die Angelegenheit erst mit ihrem Mann regeln wollte. Der habe von "Paul" aber gewusst. Elf Tage vor der angeklagten Tat hat sie gegenüber einem gemeinsamen Bekannten wieder von Scheidung gesprochen und dass sie bereits 10.000 Euro für die Verteidigung ihres Mannes ausgegeben habe.

Am 17. August kam Emeke A. aus der Zelle zurück in die Zwei-Zimmer-Wohnung, wo neben dem Paar und dem Kind der Angeklagten noch ein weiterer Afrikaner als Untermieter lebte. Es sei alles einwandfrei gewesen, beteuert die Angeklagte: "Ich habe ihm afrikanische Speisen zubereitet, und wir waren auch intim."

Angeblich in Zimmer eingesperrt

"Und wie kam es dann am 18. August zu einer nichtharmonischen Situation?", will Brandstetter wissen. A. erklärt es so: Ihr Ehemann habe einen Amtsweg erledigt und sich danach mit Freunden getroffen. Als er heimkam, habe er ihr vorgehalten, sie hätte ihn während seiner Haft betrogen. Nach einem kurzen Streit habe er sie im Wohnzimmer eingesperrt.

"Ich hatte Angst, dass er geht und mein sechsjähriger Sohn allein in der Küche ist", behauptet die Angeklagte. "Ich habe geschrien, er soll die Tür öffnen", aus Ohnmacht habe sie dann eine Papierschere, mit der sie sich eigentlich ein Heftpflaster zurechtschneiden wollte, aus drei bis vier Metern Abstand mit Wucht gegen die geschlossene Tür geschleudert.

Dummerweise habe just in diesem Moment das Opfer die Tür geöffnet, eine Klinge der Schere sei über seinem linken Auge im Kopf steckengeblieben. Wie der medizinische Sachverständige Wolfgang Denk ausführt, war die Verletzung gravierender, als sie äußerlich schien. Denn die Klinge drang durch die Schädelschwarte und den Schädelknochen bis in die Hirnhaut. Für Denk ist ist es "völlig absurd" anzunehmen, dass eine derartige Verletzung durch eine Wurf zustande komme. Die Schere müsse mit aller Kraft in den Kopf gerammt worden sein, ist er überzeugt.

Opfer kann sich angeblich nicht erinnern

Überraschenderweise spricht aber auch das Opfer als Zeuge von einem Unfall. Er wisse nicht, wie das Schneidwerkzeug in seinen Kopf gelangt sei, er habe seine Frau aber nicht in das Zimmer gesperrt. Interessant sind auch die Unterschiede in den Aussagen, warum nicht gleich die Rettung verständigt wurde. Angeklagte A. sagt, ihr Mann wollte das zunächst nicht, dann sei ihr klar geworden, dass sie nicht gut genug Deutsch spreche, daher habe sie einen Freund angerufen und um eine Alarmierung gebeten. Der Verletzte wiederum erzählt, seine Frau habe die Nummer des Rettung nicht gewusst.

Die Rot-Kreuz-Mitarbeiter die schließlich erschienen, berichten als Zeugen, die Frau habe sich sehr wohl auf Deutsch verständigen können. Das Ehepaar hätte aber berichtet, die Schere sei unglücklich von einem Regal gefallen – was den Einsatzkräfte so unglaubwürdig vorkam, dass sie bei der Einlieferung des Verletzten einem Arzt gegenüber den Verdacht des Fremdverschuldens äußerten.

Verletzter A., gegen den zu diesem Zeitpunkt ein Aufenthaltsverbot und eine Festnahmeanordnung der Fremdenpolizei vorlag, wartete keine Diagnose ab, sondern flüchtete und versteckte sich auf dem Dachboden des Spitals, wo ihn die Exekutive aufstöberte und überzeugte, dass seine Verletzung lebensgefährlich und eine Operation notwendig sei.

Für Ankläger umgekehrte Vorzeichen

Der Ankläger appelliert in seinem Schlussplädoyer an die Geschworenen, einen Mordversuch zu verurteilen. Es sei nicht ungewöhnlich, dass ein Opfer bei einer Beziehungstat den Angreifer oder die Angreiferin zu decken versuche. "Das erlebe ich immer wieder. Der Regelfall ist, dass die Frau das Opfer ist, hier ist es umgekehrt", ist er überzeugt. Verteidiger Nirk argumentiert dagegen, es habe sich maximal um eine schwere Körperverletzung gehandelt und sieht den Grundsatz "Pack schlägt sich, Pack verträgt sich" bestätigt.

Bei den Laienrichtern, sechs Männer und zwei Frauen, stößt er damit auf taube Ohren. Sie sprechen A. mit sechs zu zwei Stimmen wegen Mordversuchs schuldig. Das Gericht entscheidet sich für die Mindeststrafe von zehn Jahren. Als der Verteidiger sich mit seiner Mandantin im Nebenraum über Rechtsmittel berät, bricht die psychisch zusammen, ihr Schluchzen ist durch die geschlossene Tür zu hören. Am Ende nimmt sie sich Bedenkzeit, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 20.11.2020)