Die Grünen und auch der türkise Bildungsminister hatten sich vehement für offene Schulen eingesetzt.

Foto: Christian Fischer

Österreich musste also zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres herunterfahren. Das strapazierte nicht nur die Nerven der Gesellschaft, sondern auch die der Bundesregierung.

Eine Grüne beschreibt es so: "Je verheerender die Situation und je höher die Ansteckungszahlen, desto größer ist natürlich die Nervosität, da auch etwas falsch zu machen." Umso vehementer rangen ÖVP und Grüne um jede Maßnahme im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Da konnte es dem Vernehmen nach beiderseitig auch schon einmal lauter werden.

Besonders hart umkämpft war bis zuletzt vor allem die Frage, ob die Schulen offen halten oder doch geschlossen werden sollten – und plötzlich gab es zwischen Kanzleramt und Bildungsministerium auch innertürkisen Krach. Aber wie ist der Lockdown politisch zustande gekommen? Wann war klar, dass Österreich noch einmal zusperren muss? Und um welche Fragen und Details wurde bis zuletzt gerungen?

Ende des grünen Widerstands

Das erste offizielle Treffen für weitere Maßnahmenverschärfungen fand am Montag vor zwei Wochen statt. Kanzler, Vizekanzler und Gesundheitsminister kamen am Abend im Kanzleramt zusammen.

Als sie auseinandergingen, war klar: In wenigen Tagen wird der Bevölkerung ein harter Lockdown verkündet werden – vorbehaltlich, dass sich die explosiv steigenden Infektionszahlen nicht beruhigen. Im Teil-Lockdown befand sich Österreich da bereits.

Zwei Tage später wurde mit fast 10.000 registrierten Neuinfektionen ein weiterer Rekord aufgestellt. An diesem Mittwoch trat die Regierungsspitze wieder zusammen. Die Pläne wurden im Groben finalisiert.

Der größte Knackpunkt: die Schulen. Der Kanzler pochte schon seit Wochen auf einen harten Lockdown, der für ihn auch die Schließung der Bildungseinrichtungen beinhaltete. Die Grünen und auch der türkise Bildungsminister hatten sich vehement für offene Schulen eingesetzt.

Im Lauf der Woche wurden die Zahlen beobachtet und verschiedene Optionen durchdacht. Schlussendlich sei immer klarer geworden, dass angesichts der dramatischen Situation auf den Intensivstationen auch die Schüler möglichst zu Hause bleiben müssen, heißt es aus Regierungskreisen – so haben auch die Grünen ihren Widerstand aufgegeben.

Gerungen wurde noch um die Details: Wer kann in den Schulen betreut werden? Wie tut man mit Kindergärten? Das Ergebnis dieser Unterverhandlungen bezeichnen die Grünen als ihren Erfolg: Jeder, der möchte, kann seine Kinder in die Schulen und Kindergärten bringen. Betreuung steht dort allen offen – nicht nur "systemrelevanten" Eltern, wie es im Frühjahr hieß. Andere rechnen diesen Erfolg eher Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) an.

Auf den Barrikaden

Gerade der sonst so amikale Faßmann, der seit Jahren zum erweiterten Umfeld des Kanzlers gehört, stieg bei den Schulschließungen auf die Barrikaden. Gemeinsam mit dem ÖVP-nahen Corona-Sonderbeauftragten im Gesundheitsressort, Clemens Martin-Auer, trat er noch am 11. November dafür ein, den Präsenzunterricht unbedingt aufrechtzuerhalten. Faßmann schlug mobile Teams an den Schulen vor, die Antigentests vornehmen und gleich vor Ort auswerten.

Zu diesem Zeitpunkt wurde auch die Front gegen die Schulschließungen außerhalb der Bundesregierung immer und immer größer. Von Elternvertretern bis hin zur Wirtschaftskammer und Boulevardmedien formierte sich Gegenwind, den Kurz in dieser Ernsthaftigkeit in seiner politischen Laufbahn so wohl nur selten oder gar nie erlebt hatte.

Selbst die türkisen Bundesländer folgten ihrem Parteichef nicht mehr lautlos. Der Vorsitzende der Gesundheitsreferentenkonferenz, Salzburgs Landeshauptmann-Stellvertreter Christian Stöckl (ÖVP), warnte am 12. November vor einem "extremen personellen Engpass" im Gesundheitsbereich, wenn sich das medizinische Personal nun um die Kinderbetreuung kümmern muss.

Harte Wortgefechte

Die Kabinette im Kanzleramt und Bildungsministerium sollen sich wegen der Schulschließungen durchaus harte Wortgefechte geliefert haben, wird von Insidern erzählt. Zwischen den beiden Büros soll es atmosphärisch grundsätzlich eher schwierig zugehen.

Dem Gegenwind zum Trotz setzte sich Kurz in der Schließungsdebatte durch. Faßmann sei eben ein Wissenschafter. Keiner, der politisch-taktisch denke und auf den Tisch haut, während die türkise Truppe um Kurz jede Abweichung vom Kanzlerkurs zur Loyalitätsfrage erklären würde. Wenn man nicht für Kurz sei, dann sei man gegen ihn und falle ihm in den Rücken.

Die Debatte über die Schulschließungen sei der Beziehung zwischen Kurz und Faßmann nicht zuträglich gewesen, heißt es. Aber sie wurde auch nicht so hart geführt, dass die Gesprächsbasis der beiden ab sofort auf null stünde. Am Ministerstuhl des Abweichlers Faßmann wird jedenfalls nicht gesägt – wenn, dann müsste Faßmann aus Frust selbst einen Schlussstrich ziehen.

Keine Regeln für Kindergärten

Die Kindergärten sind übrigens völlig vorbehaltlos offen wie sonst auch. Sie sind in keiner der Verordnungen erfasst oder auch nur erwähnt. Faßmann hat den Ländern nur einen Brief geschickt, in dem er auf Hygienemaßnahmen und "weitestgehend normalen Betrieb" hinweist.

Dieses Schreiben ändert an der Rechtslage nichts, sagt der Verfassungsjurist Heinz Mayer. Kindergärten sind und bleiben im Normalbetrieb, außer die Länder würden eigenständig etwas anderes verfügen.

Auf Kabinettsebene liefen die Vorbereitungen vor dem Lockdown auf Hochbetrieb. Auch erste Verordnungsentwürfe waren früh fertig und wurden zwischen Gesundheitsministerium, Kanzleramt und Verfassungsdienst herumgeschickt. Insbesondere die Frage, welche Geschäfte offen bleiben müssen, weil sie unabkömmlich sind, sei im Detail gar nicht so einfach zu beantworten. "Man will ja keinesfalls etwas übersehen", formuliert es ein Kabinettsmitarbeiter.

An den juristischen Expertenrat ging eine finale Fassung der Lockdown-Verordnung am Samstag um zwei Uhr früh. Nicht ganz 15 Stunden später verkündete die Regierung die neuen Maßnahmen. (Katharina Mittelstaedt, Jan Michael Marchart, 22.11.2020)