Die Hitze brachte Rudy Giulianis Haartönung zum Rinnen.

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Washington – Vergleichbares gab es in der jüngeren US-Geschichte noch nicht: Am Freitag zitierte Donald Trump die beiden führenden Republikaner Michigans ins Weiße Haus, um ihnen nahezulegen, sich über die Entscheidung der Wähler hinwegzusetzen. Das Treffen ist Teil einer Strategie, von der sich der Präsident verspricht, seine Niederlage nachträglich in einen Sieg umzumünzen.

"Ungewöhnliche Schritte"

Mit juristischen Mitteln ist er bisher nicht weit gekommen. Bis auf zwei Ausnahmen wurden sämtliche Klagen abgeschmettert. Nun bedient sich der Präsident der Macht seines Amtes: Er will Druck auf Parteifreunde ausüben, damit sie das Blatt in Staaten, in denen Joe Biden gewann und in deren Lokalparlamenten Republikaner das Sagen haben, noch wenden.

Statt sich bei der Auswahl der Wahlleute nach dem Resultat der Abstimmung zu richten, soll eine konservative Abgeordnetenmehrheit eigene Elektoren benennen, bevor das Electoral College am 14. Dezember den Präsidenten bestimmt. Nach dem Motto, dass eine außergewöhnliche, unübersichtliche Lage außergewöhnliche Schritte verlangt.

Heftiger Widerspruch

In Michigan beispielsweise erhielt Biden 157.000 Stimmen mehr als Trump. So hartnäckig der Unterlegene behauptet, in Detroit sei massiv betrogen worden: Beweise hat er keine. Zwar gibt es kaum einen seriösen Experten, der Trump Erfolgschancen zubilligt, doch allein schon der Versuch provoziert heftigen Widerspruch. Mitt Romney, 2012 Präsidentschaftskandidat, spricht von einem Manöver, wie man es sich undemokratischer kaum vorstellen könne. Gretchen Whitmer, die Gouverneurin Michigans, empfahl dem Amtsinhaber, seine Energie nicht zu verschwenden und sich in den zwei Monaten bis zu seinem Abschied lieber auf ein "echtes Covid-Paket" zu konzentrieren. "Die Wahl wurde eindeutig entschieden. Sie war sicher, und sie war fair."

Sieger Biden ließ indes wachsende Ungeduld erkennen: "Es fällt schwer zu begreifen, wie dieser Mann denkt. Ich bin sicher, dass er weiß, dass er nicht gewonnen hat."

Weiterer Rückschlag in Georgia

Am Donnerstagabend (Ortszeit) erlitt Trump einen weiteren Rückschlag: In Georgia, jahrzehntelang eine Hochburg der Republikaner, wurde Biden zum Sieger ausgerufen, nachdem fast fünf Millionen Stimmzettel ein zweites Mal händisch ausgezählt worden waren. Die Nachzählung änderte an dem ursprünglichen Resultat nur Unwesentliches. Im Floyd County hatte man rund 2500 zunächst nicht berücksichtigte Wahlzettel entdeckt. Da der Landkreis im Nordwesten Georgias als "Trump Country" gilt, hatte dessen Team den Fehler als Indiz für massive Manipulationen hinzustellen versucht. Mit der nochmaligen Auszählung ist auch dieser Verdacht entkräftet. Da jedoch auch in Georgia die Republikaner im Parlament dominieren, rechnen Beobachter mit einem ähnlichen Vorstoß wie in Michigan.

Groteske Pressekonferenz

In Pennsylvania, wo Biden nach aktuellem Stand auf 81.000 Stimmen mehr als Trump kommt, fordern Rechtsberater des Verlierers, rund 683.000 Briefwahlstimmen für ungültig zu erklären. Zur Begründung heißt es, man habe Wahlbeobachter bei der Auszählung nicht nah genug herangelassen, als dass eine "echte Inspektion" möglich gewesen wäre.

Rudy Giuliani, der Ex-Bürgermeister New Yorks, der Trumps Anwaltsteam leitet, hatte die Forderung auf einer Pressekonferenz vorgebracht, die jeder neutrale Beobachter, der sie erlebte, nur bizarr nennen konnte. Während Giuliani von einer Wahlfälschung sprach, an der Venezuela maßgeblich beteiligt sei – dabei rann dem schwitzenden Anwalt an beiden Schläfen die dunkle Haartönung herunter –, kritisierte seine Kollegin Jenna Ellis Journalisten scharf, die vom Trump-Team Belege für Betrugsvorwürfe verlangten: "Ihre Frage ist grundsätzlich falsch, wenn Sie fragen, wo der Beweis ist." (Frank Hermann, 20.11.2020)